Als man Kathedralen für Bücher erbaute
Folgt man dem Zeitgeist, müsste man sich von Büchern jetzt endlich verabschieden. Die besondere Aura, die die prächtig ausgestatteten Bibliotheken der Vergangenheit haben, fesselt uns aber immer noch. Zum Buch »Die schönsten Bibliotheken der Welt«.
Was für ein Sommer das war! Nein, nicht die Temperaturen sind gemeint, sondern die andauernd schlechten Nachrichten zum Thema Buch. Das war nicht das übliche Branchengejammere, sondern diesmal ging es ganz konkret um das Aussterben der Spezies Buchleser. Bei den Buchmessen in Frankfurt, Leipzig und demnächst auch in Wien wird trotzdem weiterhin das Buch als Leitmedium inszeniert, und das Gedränge zwischen den Regalen ist weiterhin groß.
Doch die Beunruhigung ist mit Händen zu greifen, man merkt das an der lächerlich krampfhaften Ausstattung mancher Buchhandlungsketten, wo man durch einen Korridor von Plüschtieren und Gesellschaftsspielen durchmuss, um zu Büchern zu gelangen. Da braucht es nicht die Studie des deutschen Börsenvereins für den Buchhandel, wonach sich in den vergangenen fünf Jahren mehr als sechs Millionen Deutsche völlig vom Buchlesen abgewandt haben.
Wie um der kulturkritischen Vision vom Aussterben des Buchs etwas entgegenzusetzen, hat der Taschen Verlag, berühmt für großzügig ausgestattete, schon vom Format her monumentale Bücher, 2018 einen Prachtband geliefert, der uns ins Bewusstsein ruft, was verloren zu gehen droht. Der Titel: „Die schönsten Bibliotheken der Welt“. Man sollte das beeindruckende Großformat mit den Fotos von Massimo Listri vorsichtshalber nicht auf einen zerbrechlichen Glastisch legen, er könnte zu Bruch gehen. Gern verwendet man für Schwergewichte wie dieses auch die Metapher des „Ziegels“, die wollen wir uns aber angesichts der kulturgeschichtlichen Bedeutung des Themas ernsthaft versagen. Kathedralen und Bibliotheken. Man schlägt dieses Buch auch nicht auf wie irgendein anderes. Es braucht viel Platz, sagen wir ruhig: einen eigenen Tisch, und beim Aufschlagen stellt sich eine gewisse Andacht ein, jenes Gefühl, das wir im Urlaub beim Betreten von Kathedralen oder eben großen Bibliothekssälen verspüren. Oder hängt es auch damit zusammen, dass es vom Format her ziemlich exakt den
„Die schönsten Bibliotheken der Welt“
Taschen Verlag Texte in Deutsch und Englisch von Georg Ruppelt und Elisabeth Sladek 560 Seiten 150 € liturgischen Büchern ähnelt, die wir schon als Kinder bei den Messfeiern an den hohen Festtagen bewunderten?
Hat man sich, dem Zeitgeist folgend, inzwischen ins Lager der Nichtleser begeben und glaubt, mit den Informationshappen im Internet sein Auslangen zu finden, hat der Band dennoch Spektakuläres zu bieten. Auch Buchstabenverächter sind Augenmenschen geblieben. Sie werden hier großzügig bedient: Der italienische Fotograf Massimo Listri publizierte bereits über 70 Fotobände, seine Arbeiten sind inzwischen auch ausstellungswürdig und werden in renommierten Museen gezeigt.
Die, die auch lesen wollen, erhalten einen Streifzug durch vierzehn Jahrhunderte Bibliotheksgeschichte. Bücher wurden immer schon gesammelt, doch die ältesten noch existierenden europäischen Buchtempel stammen aus dem frühen Mittelalter. Sie erfüllen die Voraussetzung für den Namen „Bibliothek“: Es muss eigene Räume dafür geben und einen Verantwortlichen. So besteht die Stiftsbibliothek St. Gallen in der Schweiz seit der Mitte des 8. Jahrhunderts, die Vatikanische Bibliothek in Rom seit etwa 800 und die Bibliothek der Erzabtei St. Peter in Salzburg seit der Mitte des 9. Jahrhunderts.
Damit sind wir schon bei der Essenz unseres Themas. Vierzehn Jahrhunderte umfassen etwa 45 Menschheitsgenerationen, von denen nur jeweils zwei bis drei direkt ein Stück Lebensweg miteinander zurücklegten, miteinander kommunizierten und Informationen direkt austauschten. Für alles, was sich vorher zugetragen hatte, musste man auf Wissen zurückgreifen, das hoffentlich gut aufbewahrt wurde und weitergegeben werden konnte.
„Gedächtnis der Welt“nennt Georg Ruppelt (er begann seine Laufbahn an der berühmten Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel) seine Hymne an die Bibliothek im Vorwort des Bu- ches: „Bibliotheken sind Speicher für die Tatsachen der realen Welt ebenso wie für die vielen Alternativwelten der Fantasie. Sie bewahren dabei den menschlichen Geist umfassend auf, in all seiner Vielfalt und Schönheit, in seiner Verkommenheit und Grausamkeit, in seinem Licht und seiner Finsternis . . . das Wissen um Gott und die Welt, Richtiges und Falsches, Reales und Erdachtes.“
Waren im Mittelalter die Bibliotheken ein Teil von Klöstern und Kirchen, änderte sich das nach der Erfindung des Buchdrucks. Die alten Pultbibliotheken verschwanden, man baute Saalbibliotheken mit Wandregalen, anders waren die wachsenden Büchermengen nicht mehr unterzubringen. An die Stelle der Klöster traten säkulare Bildungs- und Kulturträger, ab dem 16. Jahrhundert entwickelten sich die fürstlichen Büchersammlungen, die Hofbibliotheken in Heidelberg, München und Wien entstanden.
Sie waren für die Öffentlichkeit nur eingeschränkt zugänglich, hatten aber den Vorteil, dass es einen finanz-
Man schlägt so ein Buch nicht auf wie irgendein anderes. Es braucht eine gewisse Andacht.