Die rote Kampfansage
Mit 97,8 Prozent wurde Pamela Rendi-Wagner zur ersten Frau an der Spitze der SPÖ gewählt. Sie selbst will nun die erste Kanzlerin werden. Auch Kern sprach – 50 Minuten lang.
In großen Lettern stand sowohl am Eingang als auch auf der in Rot getauchten Bühne der Welser Messehalle „nach vorn“geschrieben. Die Genossen dürfen, wollte man ihnen am SPÖ-Parteitag offenbar mitgeben, nicht mehr zurückblicken. Es sollte ein offizieller roter Neustart unter Pamela Rendi-Wagner sein.
Die teilte bei ihrem Einzug in die Halle das Rampenlicht und schritt mit einer Schar an Kindern über den roten Teppich. Der Applaus und die stehenden Ovationen verleiteten sie schon da zu Luftsprüngen. Ein paar Stunden später, als das Ergebnis ihrer Wahl zur SPÖ-Chefin bekannt wurde, sollte sie noch einmal hüpfen. Rendi-Wagner fuhr mit 97,8 Prozent ein gutes Ergebnis ein und hat einen Prozentpunkt mehr als einst ihr Vorgänger Christian Kern erreicht. Damit steht 130 Jahre nach der Parteigründung das erste Mal eine Frau an der Spitze der SPÖ.
„Es ist schwer, die richtigen Worte zu finden“, sollte das Erste, was die Genossen von Rendi-Wagner an diesem Tag zu hören bekamen, sein. Die Rührung war ihr anzusehen. Das liege, sagte sie, an der Herzlichkeit, die ihr die Partei entgegenbringe. Die würde sie gern zurückgeben und „jeden Einzelnen von euch ganz fest umarmen“.
Damit war noch vor Beginn der einstündigen Rede der neuen Chefin klar, was die eigentliche Botschaft, die man nach außen tragen wollte, sein sollte: Die SPÖ ist wieder geschlossen. Nach dem turbulenten Rücktritt Christian Kerns, dem Disput um die abgesagte Statutenreform, dem Streit um
»Ich möchte euch ganz fest umarmen, jeden einzelnen von euch«, so Rendi-Wagner.
die Kandidatenlisten zur EU-Wahl und den negativen Schlagzeilen rund um die sexistische Aussage des neuen Tiroler SPÖ-Chefs sollte nun wieder Ruhe in die Partei einkehren. Regierung „arrogant und armselig“. Nach anfänglichen Wortfindungsschwierigkeiten wirkte Rendi-Wagner souverän – auch wenn sie sich streng an das Skript, auf das sie häufig blickte, hielt. „Es geht heute nicht um mich“, sagte Rendi-Wagner und hielt sich am Rednerpult fest. Vielmehr gehe es um Jasmin. Jasmin, das ist eine 31-jährige Alleinerzieherin, die eben nicht auf die Butterseite gefallen sei. Um Menschen wie sie wolle sich die SPÖ kümmern.
Bisher war die inhaltliche Linie der neuen Parteichefin nur vage erkennbar. Rendi-Wagner machte sich rar. Nun sollte sie inhaltliche Pflöcke einschlagen. Sie tat das ohne Überraschungen. So forderte sie 5000 zusätzliche Lehrer für Brennpunktschulen, den flächendeckenden Ausbau der Ganztagsschulen, die Ehe für alle und leistbares Wohnen. Es soll, so ein inhaltlicher Vorstoß, künftig keine Mehrwertsteuer auf Mieten mehr geben.
Großer Applaus brandete unter den 650 Delegierten und 800 Gästen in der Messehalle immer dann auf, wenn Rendi-Wagner gegen die türkis-blaue Bundesregierung wetterte – mit Worten wie „feige“, „selbstverliebt“, „arrogant“und „armselig“. Kanzler Sebastian Kurz kritisierte sie ob seiner Untätigkeit als Staatssekretär und Minister und fragte: „Lieber Sebastian, was hast du in all diesen Jahren eigentlich gemacht?“Der ÖVP-Chef beschreibe ständig Probleme und kritisiere, dabei sollten Politiker doch eigentlich handeln, sagte der SPÖ-Chefin in aufgebrachtem Ton.
Überraschen konnte Rendi-Wagner dann doch. teil gegenüber der SPD, die sich auch mit einer starken Linkspartei herumschlagen muss und als Juniorpartner in der Großen Koalition stetig an Profil und Kraft verliert. In Umfragen gibt eine Mehrheit an, nicht mehr zu wissen, wofür die SPD steht. Dabei wirken auch Gerhard Schröders harte Sozialreformen nach, die viele Genossen noch heute als Verrat geißeln. SPD-Chefin Andrea Nahles deutet an, die Hartz-IVGesetze abräumen zu wollen. Das wollen die Grünen aber auch.
Parteilinke schielen gern über den Ärmelkanal. Soll man ein bisschen Jeremy Corbyn wagen? Der altlinke Brite verließ den dritten Weg Tony Blairs, träumte vom Sozialismus und führte Labour zu 40 Prozent. Andere Genossen wähnen im wirtschaftsliberalen Macron ein Vorbild. Macron und Corbyn eint, dass sie sich als Anführer von Bewegungen inszenierten, die Volatilität des Wählermarkts als Chance sahen.
Europas Sozialdemokraten droht jedoch bei der EU-Wahl im Frühjahr 2019 der nächsten Nackenschlag. Und bis zur nächsten Gartenparty mit einem SPÖ- und SPD-Kanzler dürfte es zumindest noch dauern.