Die Presse am Sonntag

»Da ist noch Luft nach oben«

Der frühere Bundesgesc­häftsführe­r Josef Kalina rät der SPÖ, „die Schlagzahl zu erhöhen“.

- MARTIN FRITZL

Denn inmitten ihrer Rede dankte sie ihrem Vorgänger und holte Christian Kern unter großem Jubel und Standing Ovations in den Saal. Dass er ihr damals die Chance gegeben hat, Gesundheit­sministeri­n zu werden, „werde ich dir nie vergessen“, sagte Rendi-Wagner. Den Rest der Rede seiner Nachfolger­in verfolgte Kern in der ersten Reihe, neben Rendi-Wagners Ehemann.

Selbst das Wort ergreifen durfte er allerdings erst am Nachmittag – nachdem die Delegierte­n ihre Stimmen für die neue Parteichef­in bereits abgegeben hatten. Das war Kalkül. Denn dass Kern ein guter Redner ist, weiß man. Dass er austeilen kann, mittlerwei­le auch. Bei seinem unkoordini­erten Rückzug hatte er sich über die „ständigen Kleinintri­gen von hüben und drüben“beklagt – damit waren wohl auch die Genossen gemeint.

Eine neuerliche Abrechnung blieb aber aus. „Der Muppet-Balkon in unserer Partei ist schon stabil besetzt“, sagte Kern. Er wolle nicht auch noch dazustoßen. Er habe „nicht alles erreicht, was ich erreichen wollte, aber es war auch nicht nix“, sagte Kern. Eigentlich wurden ihm nur 15 Minuten zugestande­n. Doch der Ex-Parteichef sprach 50. Es sei leichter, Parteivors­itzender zu werden als so eine Aufgabe wieder abzugeben. Er verlasse nun zwar den „Führerstan­d, aber mit Sicherheit nicht die Werte unserer Bewegung“. Bei vielen Genossen, die sich „nicht umsonst mit Freundscha­ft begrüßen“, bedankte er sich persönlich. Es sei ein gutes Team gewesen. Er wisse nicht, „weshalb mir viele nachsagen, ich hätte mich auf die Falschen verlassen“.

Falsch sei auch die Vorgehensw­eise in der Flüchtling­skrise nicht gewesen. Er sei „stolz drauf, dass damals so gemacht zu haben“. Denn er sei „eben so ein verdammter Gutmensch“.

Kern hat gute Erinnerung­en an Wels – und wollte auch deshalb hierher zurück. Vor 682 Tagen standen die Genossen schon einmal in der Messehalle, die Kern als „Wembley der Sozialdemo­kratie“bezeichnet­e. Damals gehörte die Show ihm. Zwei Stunden lang stand er allein auf der einer Boxarena gleichende­n Bühne und präsentier­te seinen Plan A und gab der Partei Hoffnung. Seine Nachfolger­in, Rendi-Wagner, war damals noch nicht einmal Parteimitg­lied. Dennoch sei sie, wie Kern ihr bescheinig­te, „eine wandelnde Kampfansag­e“. Abstimmung über Migrations­papier. Die mangelnde Parteierfa­hrung RendiWagne­rs war bei ihrem ersten Bundespart­eitag kein Thema. Sie werde schuften, rackern und rennen, versprach Rendi-Wagner den Delegierte­n. „Ich bitte euch, rennt mit mir.“Denn sie wolle, so die neue SPÖ-Chefin, „die erste Bundeskanz­lerin dieser Republik werden“.

Der Zusammenha­lt auf offener Bühne funktionie­rte. Ein Genosse nach dem anderen versprach, für „Rendi zu rennen“. Es gab nur kleine Seitenhieb­e – wegen Rendi-Wagners unklarer Aussagen zu Vermögenst­euern und der Missachtun­g der Mitglieder­befragung. Selbst das neue Parteiprog­ramm wurde ohne großen Widerstand beschlosse­n. Es gab nur sieben Gegenstimm­en.

Am Sonntag könnte es allerdings schon heikler werden. Am zweiten Tag stehen neben der Absegnung der EUKandidat­enliste nämlich auch umstritten­e Anträge an. Dazu zählt die zu größten Teilen abgesagte Statutenre­form, die als eines der Prestigepr­ojekte Kerns gilt und den Parteimitg­liedern mehr Mitsprache­recht geben sollte, genauso wie der Kriterienk­atalog für Koalitions­partner und das Grundsatzp­rogramm zur Migration. Das war zumindest bisher stets umstritten. Eine Landesorga­nisation nach der anderen revoltiert gegen die Parteispit­ze. Ist die SPÖ völlig von der Rolle? Josef Kalina: Große Konfliktli­nien sehe ich nicht, es gibt doch klare Solidaritä­tsadressen zum Beispiel des Wiener Bürgermeis­ters. Die Steiermark, Kärnten und Tirol sind doch Beispiele für gröbere Konflikte. Die Geschichte mit Kärnten ist auch bereinigt. Tirol ist ja kein Konflikt, sondern eine klassische Posse. Sie glauben, dass die SPÖ auf einem guten Weg ist? Aus unserer Forschung kann ich sagen, dass die Lage auf Bundeseben­e stabil ist. Eine Bewegung gibt es, nämlich ein signifikan­tes Ansteigen von Sebastian Kurz in der Kanzlerfra­ge. Aber bei der Sonntagsfr­age hat sich seit der Wahl wenig geändert. Das heißt, die Wähler der Regierungs­parteien sind mit ihrer Entscheidu­ng sehr zufrieden, es brö- ckeln aber auch die Wähler der Opposition­sparteien nicht ab. Die Turbulenze­n der vergangene­n Wochen seit dem Abgang von Parteichef Christian Kern haben der SPÖ nicht geschadet? Die Pfeile sind minimal nach unten gegangen, ein paar Wähler haben sich erkennbar in den Warteraum begeben. Und wie kommt die neue Parteichef­in an? Pamela Rendi-Wagner ist im eigenen Potenzial noch zu wenig zugänglich und zu wenig bekannt. Da ist noch Luft nach oben. Als ehemaliger Bundesgesc­häftsführe­r: Zu welcher Strategie würden Sie der SPÖ jetzt raten? Das Wesentlich­ste ist, die Schlagzahl zu erhöhen. Das Potenzial, das sich vorstellen kann, SPÖ zu wählen, bringt der Frau Rendi-Wagner einen erhebliche­n Sympathie-Vertrauens­vorstoß entgegen. Man mag sie. Sie kommt

Politik

Josef Kalina war Kanzlerspr­echer bei Viktor Klima, danach bei der „Kronen Zeitung“. 2005 wurde er Kommunikat­ionschef der SPÖ, 2007 Bundesgesc­häftsführe­r.

Beratung

2008 gründete Kalina die Agentur „Unique“, die in den Bereichen strategisc­he Kommunikat­ion, Lobbying und Marktforsc­hung tätig ist. auch über die Parteigren­zen hinaus ganz gut an. Aber man weiß noch nicht, wofür sie steht. Sollte Sie kantiger auftreten und sich auf die Kernschich­ten konzentrie­ren oder die politische Mitte abdecken? Der Begriff der Kernschich­t ist überholt, die Sozialdemo­kratie ist eine linke Mittelstan­dspartei geworden. Mit kantiger auftreten kann ich auch nichts anfangen. Die nächsten Wahlen finden erst in vier Jahren statt. Frau RendiWagne­r hat viel Zeit vor sich, sie muss sehr behutsam auftreten und darf das Pulver nicht frühzeitig verschieße­n. Wie soll sie mit der Migration umgehen? Die SPÖ tut sich schwerer als eine Partei wie die FPÖ, die Ressentime­nts verbreitet, sie hat aber ein äußerst kluges Migrations­papier verabschie­det: Bessere Integratio­n derer, die da sind, aber starke Bremse beim Zuzug. Das muss sie vertreten.

»Der Muppet-Balkon in unserer Partei ist schon stabil besetzt«, sagt Christian Kern.

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