»Da ist noch Luft nach oben«
Der frühere Bundesgeschäftsführer Josef Kalina rät der SPÖ, „die Schlagzahl zu erhöhen“.
Denn inmitten ihrer Rede dankte sie ihrem Vorgänger und holte Christian Kern unter großem Jubel und Standing Ovations in den Saal. Dass er ihr damals die Chance gegeben hat, Gesundheitsministerin zu werden, „werde ich dir nie vergessen“, sagte Rendi-Wagner. Den Rest der Rede seiner Nachfolgerin verfolgte Kern in der ersten Reihe, neben Rendi-Wagners Ehemann.
Selbst das Wort ergreifen durfte er allerdings erst am Nachmittag – nachdem die Delegierten ihre Stimmen für die neue Parteichefin bereits abgegeben hatten. Das war Kalkül. Denn dass Kern ein guter Redner ist, weiß man. Dass er austeilen kann, mittlerweile auch. Bei seinem unkoordinierten Rückzug hatte er sich über die „ständigen Kleinintrigen von hüben und drüben“beklagt – damit waren wohl auch die Genossen gemeint.
Eine neuerliche Abrechnung blieb aber aus. „Der Muppet-Balkon in unserer Partei ist schon stabil besetzt“, sagte Kern. Er wolle nicht auch noch dazustoßen. Er habe „nicht alles erreicht, was ich erreichen wollte, aber es war auch nicht nix“, sagte Kern. Eigentlich wurden ihm nur 15 Minuten zugestanden. Doch der Ex-Parteichef sprach 50. Es sei leichter, Parteivorsitzender zu werden als so eine Aufgabe wieder abzugeben. Er verlasse nun zwar den „Führerstand, aber mit Sicherheit nicht die Werte unserer Bewegung“. Bei vielen Genossen, die sich „nicht umsonst mit Freundschaft begrüßen“, bedankte er sich persönlich. Es sei ein gutes Team gewesen. Er wisse nicht, „weshalb mir viele nachsagen, ich hätte mich auf die Falschen verlassen“.
Falsch sei auch die Vorgehensweise in der Flüchtlingskrise nicht gewesen. Er sei „stolz drauf, dass damals so gemacht zu haben“. Denn er sei „eben so ein verdammter Gutmensch“.
Kern hat gute Erinnerungen an Wels – und wollte auch deshalb hierher zurück. Vor 682 Tagen standen die Genossen schon einmal in der Messehalle, die Kern als „Wembley der Sozialdemokratie“bezeichnete. Damals gehörte die Show ihm. Zwei Stunden lang stand er allein auf der einer Boxarena gleichenden Bühne und präsentierte seinen Plan A und gab der Partei Hoffnung. Seine Nachfolgerin, Rendi-Wagner, war damals noch nicht einmal Parteimitglied. Dennoch sei sie, wie Kern ihr bescheinigte, „eine wandelnde Kampfansage“. Abstimmung über Migrationspapier. Die mangelnde Parteierfahrung RendiWagners war bei ihrem ersten Bundesparteitag kein Thema. Sie werde schuften, rackern und rennen, versprach Rendi-Wagner den Delegierten. „Ich bitte euch, rennt mit mir.“Denn sie wolle, so die neue SPÖ-Chefin, „die erste Bundeskanzlerin dieser Republik werden“.
Der Zusammenhalt auf offener Bühne funktionierte. Ein Genosse nach dem anderen versprach, für „Rendi zu rennen“. Es gab nur kleine Seitenhiebe – wegen Rendi-Wagners unklarer Aussagen zu Vermögensteuern und der Missachtung der Mitgliederbefragung. Selbst das neue Parteiprogramm wurde ohne großen Widerstand beschlossen. Es gab nur sieben Gegenstimmen.
Am Sonntag könnte es allerdings schon heikler werden. Am zweiten Tag stehen neben der Absegnung der EUKandidatenliste nämlich auch umstrittene Anträge an. Dazu zählt die zu größten Teilen abgesagte Statutenreform, die als eines der Prestigeprojekte Kerns gilt und den Parteimitgliedern mehr Mitspracherecht geben sollte, genauso wie der Kriterienkatalog für Koalitionspartner und das Grundsatzprogramm zur Migration. Das war zumindest bisher stets umstritten. Eine Landesorganisation nach der anderen revoltiert gegen die Parteispitze. Ist die SPÖ völlig von der Rolle? Josef Kalina: Große Konfliktlinien sehe ich nicht, es gibt doch klare Solidaritätsadressen zum Beispiel des Wiener Bürgermeisters. Die Steiermark, Kärnten und Tirol sind doch Beispiele für gröbere Konflikte. Die Geschichte mit Kärnten ist auch bereinigt. Tirol ist ja kein Konflikt, sondern eine klassische Posse. Sie glauben, dass die SPÖ auf einem guten Weg ist? Aus unserer Forschung kann ich sagen, dass die Lage auf Bundesebene stabil ist. Eine Bewegung gibt es, nämlich ein signifikantes Ansteigen von Sebastian Kurz in der Kanzlerfrage. Aber bei der Sonntagsfrage hat sich seit der Wahl wenig geändert. Das heißt, die Wähler der Regierungsparteien sind mit ihrer Entscheidung sehr zufrieden, es brö- ckeln aber auch die Wähler der Oppositionsparteien nicht ab. Die Turbulenzen der vergangenen Wochen seit dem Abgang von Parteichef Christian Kern haben der SPÖ nicht geschadet? Die Pfeile sind minimal nach unten gegangen, ein paar Wähler haben sich erkennbar in den Warteraum begeben. Und wie kommt die neue Parteichefin an? Pamela Rendi-Wagner ist im eigenen Potenzial noch zu wenig zugänglich und zu wenig bekannt. Da ist noch Luft nach oben. Als ehemaliger Bundesgeschäftsführer: Zu welcher Strategie würden Sie der SPÖ jetzt raten? Das Wesentlichste ist, die Schlagzahl zu erhöhen. Das Potenzial, das sich vorstellen kann, SPÖ zu wählen, bringt der Frau Rendi-Wagner einen erheblichen Sympathie-Vertrauensvorstoß entgegen. Man mag sie. Sie kommt
Politik
Josef Kalina war Kanzlersprecher bei Viktor Klima, danach bei der „Kronen Zeitung“. 2005 wurde er Kommunikationschef der SPÖ, 2007 Bundesgeschäftsführer.
Beratung
2008 gründete Kalina die Agentur „Unique“, die in den Bereichen strategische Kommunikation, Lobbying und Marktforschung tätig ist. auch über die Parteigrenzen hinaus ganz gut an. Aber man weiß noch nicht, wofür sie steht. Sollte Sie kantiger auftreten und sich auf die Kernschichten konzentrieren oder die politische Mitte abdecken? Der Begriff der Kernschicht ist überholt, die Sozialdemokratie ist eine linke Mittelstandspartei geworden. Mit kantiger auftreten kann ich auch nichts anfangen. Die nächsten Wahlen finden erst in vier Jahren statt. Frau RendiWagner hat viel Zeit vor sich, sie muss sehr behutsam auftreten und darf das Pulver nicht frühzeitig verschießen. Wie soll sie mit der Migration umgehen? Die SPÖ tut sich schwerer als eine Partei wie die FPÖ, die Ressentiments verbreitet, sie hat aber ein äußerst kluges Migrationspapier verabschiedet: Bessere Integration derer, die da sind, aber starke Bremse beim Zuzug. Das muss sie vertreten.
»Der Muppet-Balkon in unserer Partei ist schon stabil besetzt«, sagt Christian Kern.