WOLODYMYR GORBATSCH
nektierte Moskau im März 2014 die Krim. Wolodymyr Gorbatschs Vision zum Trotz liegt die Ukraine heute noch immer in jenem Teil Osteuropas, wo Ost und West um Einflusssphären streiten. Aus der russischen Umklammerung hat sie sich freigemacht, aber nicht völlig befreit. Der vom Kreml am Glühen gehaltene Krieg im Donbass erinnert die Ukrainer tagtäglich daran.
Auf der Habenseite Kiews steht das im Jahr 2014 unterzeichnete Assoziationsabkommen mit der EU. Dank Visumfreiheit können die Ukrainer nach Europa reisen. Der Warenaustausch mit der EU ist gestiegen, jener mit Russland ist gesunken. Die Ukraine kauft kein Gas mehr aus Russland, sondern importiert (russisches) Gas aus Polen, Ungarn und der Slowakei.
„Die Ukraine ist heute viel europäischer als noch vor fünf Jahren“, sagt Gorbatsch. Doch wie vielen geht ihm die Westintegration nicht weit genug. Das Land wolle mehr sein als ein Bollwerk des Westens. „Wir wollen vollwertiger Verbündeter sein, bisher sind wir nur Partner in einzelnen Projekten.“ Schwieriger Partner. Nach dem Umbruch herrschte in Kiew und in Brüssel Aufbruchstimmung. Das ukrainische Reformprogramm klang ambitioniert. Spricht man heute mit europäischen Diplomaten in Kiew, dann legen sich Sorgenfalten auf ihre Stirn. Es werde im Kreis der EU-Staaten immer schwieriger, für die Ukraine einzutreten, heißt es. Kiew gilt als schwieriger Partner. Reformgesetze werden durch eine Vielzahl von Ausnahmen entstellt. Große Würfe sind selten. Konditionalität ist nunmehr das Zauberwort bei der Auszahlung von Geldern und Krediten.
Der Chef der EU-Delegation in Kiew, der französische Diplomat Hugues Mingarelli, kennzeichnete die Lage unlängst vor Journalisten so: In der Ukraine sei ein „intensiver Kampf in jedem einzelnen Sektor“im Gange, ein Konflikt zwischen zwei parteiübergreifenden Strömungen: Reformkräfte gegen Vertreter der alten Garde.
Die Ukraine ist heute ein Reformflickenteppich. Als Positivbeispiel gilt die von Brüssel mit dem Projekt „U-Lead“unterstützte Dezentralisierungsreform. Gemeinden werden zusammengelegt, Lokalbudgets erhöht, das Bürgerservice verbessert. „Die Bürger spüren die Veränderung und engagieren sich mehr im Lokalen“, teilt die Leiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kiew, Gabriele Baumann, ihre Beobachtungen. Bei den Beamten habe sich der Wissensstand erhöht. „Es gibt kaum einen Kommunalpolitiker, der nicht geschult wurde.“Beim Kampf gegen Korruption und beim Aufbau einer unabhängigen Justiz mangelt es hingegen an Beamteninteresse. Vielleicht, weil es hier nichts zu verdienen gibt.
In diesem Bereich sind es nicht staatliche Akteure wie die Aktivisten des Reanimation Package of Reforms, die auf Erfüllung der Reformversprechen drängen. „Wir machen die Arbeit der Regierung, schreiben Gesetzesvorschläge“, sagt Olena Prokopenko, 32. Man sei enttäuscht von Präsident Petro Poroschenko. „Viele Reformen werden von der Präsidialverwaltung und seiner Partei blockiert.“ Dominanz der Altvorderen. Damit ist man beim Kern des Problems angelangt: Die ukrainische Gesellschaft hat sich erneuert, doch in der Politik dominieren die alten Eliten. Auch im Präsidentschaftswahlkampf (gewählt wird im März 2019) dominieren die Altvorderen der ukrainischen Politik: Präsident Petro Poroschenko, der sich auf die Fahnen heften kann, das Land zusammengehalten zu haben. Und Julia Timoschenko, neue Haartracht, popu- listische Parolen wie eh und je. Dazu gesellt sich der bekannte Showman Wolodymyr Selenskij, der in einem Film einmal einen fiktiven Präsidenten verkörperte. Sein gutes Abschneiden in den Umfragen erzählt vor allem von der Enttäuschung der Bürger. Und davon, dass neue Köpfe fehlen. Die Reformkräfte setzen indes auf die Parlamentswahl im Herbst, bei der die Karten – so die Hoffnung einiger Beobachter – neu gemischt werden könnten. Politikexperte in Kiew
Der Partei der Reform steht die Partei der Resistenz gegenüber.