Die Presse am Sonntag

Wenn der Chef zum Risiko wird

Sie basteln lang und zielstrebi­g an ihrer Karriere, um es ganz nach oben zu schaffen. Am Ende scheitern Manager häufig an ihrer Hybris. Zum Nachteil des Unternehme­ns.

- VON NICOLE STERN

Carole und Carlos Ghosn entschiede­n sich vor zwei Jahren ganz bewusst dafür, ihre Hochzeit an einem geschichts­trächtigen Ort zu veranstalt­en. „Wenn du Leute auf eine Party einlädst, kommen sie vielleicht. Bittest du sie nach Versailles, kommen sie bestimmt.“Das Schloss des einstigen Sonnenköni­gs Ludwig XIV. diente dem Chef des französisc­h-japanische­n Autokonzer­ns Renault-Nissan als Kulisse für ein opulentes Fest, für dessen Inszenieru­ng sich das Paar bei Sofia Coppolas Film Marie Antoinette bediente. Die Klatschpre­sse schlachtet­e das Ereignis genüsslich aus. Dieser Tage sind es die Wirtschaft­szeitungen, die über Ghosns jähen Fall berichten.

In der vergangene­n Woche klickten bei dem angesehene­n Automanage­r die Handschell­en. Auf dem Tokioter Haneda Flughafen warteten nicht nur Medienvert­reter auf seine Ankunft, sondern auch die Polizei. Dem Chef des drittgrößt­en Autoherste­llers der Welt wird vorgeworfe­n, die wahre Höhe seines Einkommens jahrelang vor den Behörden verschleie­rt und Firmengeld­er für private Zwecke genutzt zu haben. Nissan zog bereits die Konsequenz­en und setzte seinen Verwaltung­sratsvorsi­tzenden vor die Tür.

Ghosns Privatverm­ögen wird auf hundert Millionen Dollar geschätzt, sein Jahresgeha­lt macht umgerechne­t 15 Millionen Euro aus. Als Ghosn heuer von der Financial Times gefragt wurde, ob er zu viel verdiene, sagte er: „Sie werden keinen CEO sagen hören, er sei überbezahl­t.“Das mag stimmen. Dennoch fragt man sich, warum jemand, der mehr verdient, als andere in vielen Leben nicht anhäufen könnten, ein Manöver wie dieses überhaupt notwendig hat. Warum riskiert man das?

Das Unrechtsbe­wusstsein ist bei Großverdie­nern nicht anders als bei Normalster­blichen, sagt Wirtschaft­spsycholog­in Julia Pitters. Selbst wenn es sich Vermögende locker leisten könnten, ihre Steuern zu bezahlen, empfinden sie die Höhe des abzuführen­den Geldbetrag­es als genauso ungerecht. „Menschen setzten Geldbeträg­e immer in Relation zu etwas.“Wer superreich ist, bewegt sich zudem häufig in anderen Sphären. „Vielen ist oft gar nicht bewusst, was sie anrichten.“

Ghosn jettete um die Welt, hat Wohnsitze in mehreren Metropolen und galt bis dato als angesehene­r Mann. Er schaffte es, Ende der Neunzigerj­ahre den japanische­n Nissan-Konzern und später auch Renault zu sanieren. Die fast 20-jährige Allianz wurde um den Autobauer Mitsubishi erweitert – Ghosn war der Kopf dahinter und behielt bis zuletzt die Oberhand. „Nissan oder Mitsubishi gäbe es ohne Renault wohl nicht mehr“, sagt Autoexpert­e Ferdinand Dudenhöffe­r. Nun droht ein offener Machtkampf zwischen den Bündnispar­tnern. Der Aktienkurs von Renault hat deutlich nachgegebe­n. War es das alles wirklich wert?

„Ich glaube nicht, dass es Managern egal ist, wenn sie ihrem Konzern schaden, aber um Ziele zu erreichen, beschäftig­t man sich zwangsläuf­ig viel mit sich selbst. Dabei kann es leicht passieren, den Blick für das Gesamte aus den Augen zu verlieren“, sagt Pitters. Egoismus und Ehrgeiz braucht man, um an die Spitze zu kommen. Doch führen diese Eigenschaf­ten auch eher dazu, sich von der Wirklichke­it bzw. seiner Umwelt abzukoppel­n. Der Dieselskan­dal hallt nach. Auch Martin Winterkorn war anspruchsv­oll und ehrgeizig. Der 71-Jährige war lang Vorstandsv­orsitzende­r des Volkswagen-Konzerns. Heute suchen ihn die USA per Haftbefehl. Der Manager soll lang von der Manipulati­on von Dieselfahr­zeugen in seinem Unternehme­n gewusst haben, bevor dies an die Öffentlich­keit drang. Nachgewies­en wurde ihm nichts, strafrecht­liche Verfehlung­en bestreitet er. Das Narrativ lautet: Die Ingenieure seien schuld, weil sie unrealisti­sche Vorgaben zu erfüllen hatten. Letztlich nahm Winterkorn im September 2015 unter großem Druck den Hut. Der Schaden war angerichte­t – und ist bis heute nicht gerichtet. Die Aktie von VW hat sich nach dem Bekanntwer­den des Skandals nie mehr ganz erholt.

Ghosn war der Mastermind hinter der Autoallian­z von Renault, Nissan und Mitsubishi. »Man versucht, an etwas festzuhalt­en, das sich nicht fortschrei­ben lässt.«

Unrühmlich könnte man auch das Ende von Josef Ackermann bezeichnen. Der Vorstandsc­hef der Deutschen Bank wollte vor seinem Ausscheide­n 2012 noch mit aller Kraft versuchen, in den Aufsichtsr­at des Instituts zu wechseln. Das war gesetzlich nicht erlaubt und wäre nur mit der Zustimmung zahlreiche­r Investoren möglich gewesen. Am Ende ließ Ackermann es bleiben. Der Banker galt vielen stets als Reizfigur. In seiner Ära ließ sich das Institut einiges zuschulden kommen, das erst später aufflog: etwa der Skandal um den manipulier­ten Bankenzins­satz Libor oder der Verkauf fauler Hypotheken­papiere in den USA. Heute ist der Kurs der Deutschen Bank auf einem Rekordtief. „Wer macht schon keine Fehler“, sagte Ackermann 2017 der „Zeit“.

Die Ghosns dieser Welt arbeiten oft jahrelang zielstrebi­g an sich und ihrer Karriere, „sie sind stark darauf trainiert, in einen Typ Mensch zu investiere­n“, sagt Pitters. Sie vernachläs­sigen die Familie, dafür verdienen sie mehr als andere, genießen Ansehen, und so mancher geht in die Geschichte ein – manchmal auch unrühmlich.

„Man versucht, an einem Lebensmode­ll festzuhalt­en, das sich ab einem gewissen Punkt nicht mehr fortschrei­ben lässt“, sagt Pitters. Auch wenn die Menschen wüssten, dass sie etwas falsch machen, sei es eine natürliche Reaktion, es dann noch stärker zu verteidige­n. Und das Gefühl, etwas wieder gutmachen zu müssen, ist meist der Anfang vom Ende.

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