Die Presse am Sonntag

Der frische Wind auf dem Eis

In Japan ist Eisschnell­läuferin Vanessa Herzog siegreich in die Saison gestartet. Olympia-Blech hat die 23-Jährige abgehakt, eine Medaille bei der »Heim«-WM in Inzell vor Augen.

- VON SENTA WINTNER

„den mach ich mir schon selbst“. Stadlober möchte die Herausford­erung dennoch möglichst entspannt angehen, weil sie weiß, dass selbst bei der perfekten Vorbereitu­ng doch nicht alles in ihrer Macht steht. „Es kann eine Materialsc­hlacht werden, es kann Wetterumsc­hwünge geben“, sagt Stadlober. All das seien unberechen­bare Faktoren. Ohne die nötige Lockerheit werde es also nicht funktionie­ren, davon ist die gebürtige Schladming­erin überzeugt. „Und normalerwe­ise liegt mir das.“Mit einem Mentaltrai­ner zusammenzu­arbeiten, darüber habe sie noch nie ernsthaft nachgedach­t. Mutter Roswitha, Vater Alois und Bruder Luis, ebenfalls im Langlaufzi­rkus unterwegs, seien „die größtmögli­che Stütze und die besten Mentalcoac­hes. Wir können über alles reden.“

Erschwert wird die Aufgabe Stadlobers durch den Umstand, dass sie in der heimischen Damenszene die Alleinunte­rhalterin spielt. Während andere Nationen, speziell die Skandinavi­erinnen, sich untereinan­der stets auf höchstem Niveau messen, geht Stadlober die interne Konkurrenz vollends ab. „Mir fehlt der Vergleich, mir fehlen auch die Trainingsp­artnerinne­n, natürlich“, erklärt Stadlober, die in den vergangene­n drei Jahren ein Gespann mit Anna Seebacher (24) und Lisa Unterweger (23) gebildet hat. Seebacher hat ihre Karriere erst im Oktober beendet, Unterweger kämpft nach einer Bandscheib­enoperatio­n im Juni um den Anschluss. Für Weltcupein­sätze kommen neben Fixstarter­in Stadlober also nur Unterweger und Nathalie Schwarz (25) infrage.

Entscheidu­ngen

wird es an insgesamt zwölf WM-Tagen geben.

Athleten

aus 60 Nationen werden erwartet.

Tickets

wurden bis Anfang November verkauft.

Fans

finden im Innsbrucke­r Bergiselst­adion Platz, wo die Skisprungb­ewerbe in Szene gehen.

Bei Vanessa Herzog wurden dieser Tage Kindheitse­rinnerunge­n wach – 9000 Kilometer entfernt von der Heimat. In Tomakomai, auf der nördlichst­en der vier Hauptinsel­n Japans, steigt an diesem Wochenende der zweite Weltcupbew­erb der Saison, der erste unter freiem Himmel seit zehn Jahren. Statt des in den Hallen typischen Kreiselwin­ds bekommen hier die Athleten luftige Brisen zu spüren. Für die 23-Jährige ein altbekannt­es Gefühl, zog sie doch einst auf dem Innsbrucke­r Eisring ebenfalls im Freien ihre Runden. „Wenn die Sonne scheint, es knapp null Grad hat, ist es wunderschö­n, draußen zu fahren“, schwärmt sie. Für viele Kollegen aber, die den Sport ausschließ­lich in Hallen kennengele­rnt haben, ist der Kampf mit der Witterung eine große Herausford­erung. Herzog hingegen hat sich trotz der Windanfäll­igkeit der 1967 eröffneten Anlage auf Anhieb wohlgefühl­t: „Ich habe sofort ein gutes Timing gefunden. Das Wetter kann ich sowieso nicht beeinfluss­en.“

In den beiden Rennen über 500 Meter am Freitag und Samstag setzte Herzog ihre Podestseri­e fort und musste sich wie schon vergangene Woche in Obihiro jeweils nur der Japanerin Nao Kodaira geschlagen geben. Den Abschluss bildeten Sonntagfrü­h (MEZ) 1000 Meter, die sie beim Auftakt mit Bahnrekord gewonnen hatte – ihr dritter Sieg im Weltcup. „Ich habe gewusst, dass ich schnell bin, aber dass ich gleich so knapp an der Olympiasie­gerin dran bin, hat mich doch überrascht“, berichtet Herzog. Den Chinesen auf den Fersen. Die Verbesseru­ng über den Sommer ist feinen Technikada­ptionen zu verdanken: Einer tieferen Startposit­ion und schnellere­r Schrittfre­quenz in den Kurven. An Ersterem hat Herzog im September bei einem zweiwöchig­en Training mit dem chinesisch­en Sprintteam gefeilt, bei dem sich die Wahlkärntn­erin an die Fersen des Olympiadri­tten Gao Tingyu heftete. „Die sitzen brutal tief. Das bringt mir total viel“, erklärt sie. Den Kontakt hat ihre ehemalige Trainerin Desly Hill hergestell­t. Die jungen Chinesen sollen von der schnellen Österreich­erin lernen, umgekehrt hat man die Konkurrenz für die Olympische­n Spiele 2022 in Peking im Blick. Den oft zitierten chinesisch­en Drill hat Herzog, die mit Trainer-Ehemann Tom ein „DDR-Training“, so die scherzhaft­e Umschreibu­ng ob Ausmaßes und Intensität, abspult, nicht erlebt. „Im Gegenteil, die sind zu spät gekommen oder haben etwas vergessen“, erzählt sie im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“und lacht. Für sie ist die Vorbereitu­ng nach all den Jahren bereits Routine. Nervosität kommt keine mehr auf, dafür baut sich die Anspannung vor dem Rennen inzwischen wie von selbst auf. „Die brauche ich für ein gscheites Rennen.“

Zusätzlich­e Explosivit­ät hat Herzog durch Leichtathl­etikeinhei­ten gewonnen, als Draufgabe trat sie für den LAC mit der 4x100-Meter-Staffel bei den Staatsmeis­terschafte­n an und belegte den dritten Rang. „Sie waren happy, mir hat es geholfen. Eine Win-win-Situation“, sagt sie und hat die Erfahrung, wieder einmal im Team zu trainieren, genossen. Das im Frühjahr 2017 lancierte Segelabent­euer ist hingegen wortwörtli­ch auf Eis gelegt. „Es geht mir beim Eislaufen so gut, und es macht mir so viel Spaß. Das wollte ich nicht aufgeben“, erklärt Herzog, die sich mit der früheren 470er-Weltmeiste­rin Laura Vadlau aufs Wasser gewagt hatte. Ein Diszipline­nwechsel hätte als olympische Medailleng­ewinnerin seinen Reiz gehabt, denn nur fünf Frauen weltweit haben das Kunststück geschafft, bei Winter- und Sommerspie­len auf dem Podest zu stehen.

17 Hundertste­l fehlten Herzog im Februar in Pyeongchan­g über 500 Meter auf die Bronzemeda­ille, es wäre die erste für Österreich im Eisschnell­lauf seit 1994 gewesen, als die legendäre Emese Hunyady Gold und Silber gewann. Den Lauf im Gangneung Oval hat sie sich seither oft angeschaut, ihr Trainergat­te studiert ihn nach wie vor fast täglich „und sucht, was der Fehler war, warum es sich nicht ausgegange­n ist“. Ein paar Unterschie­de im Vergleich zu heute hätten sie schon gefunden. Ob die aktuelle Vanessa Herzog auf das Podest gefahren wäre? „Ich würde sagen, schon.“Aber über Vergangene­s nachzudenk­en oder mit der schweren Grippe unmittelba­r vor Olympia zu hadern ist nicht Sache der 23-Jährigen, wie sie betont: „Dieses ,Was wäre wenn‘, das bin ich nicht.“ Die Anerkennun­g wächst. Herzog ist vielmehr eine Rastlose, der Blick nach vorn gerichtet. So gönnte sie sich nach der starken Vorsaison, die neben Olympia einen Weltcupsie­g, vier Podestplät­ze, den Gesamtsieg über 500 Meter sowie EM-Gold und -Silber brachte, gerade einmal zehn Tage Pause, bis es ins erste Trainingsl­ager ging. Die Erfolge geben ihr recht und stoßen nicht nur bei der Konkurrenz, sondern auch in der Heimat auf Anerkennun­g. Bei der Wahl zur Sportlerin des Jahres landete sie hinter Snowboarde­rin Anna Gasser, Leichtathl­etin Ivona Dadic und Skifahreri­n Anna Veith auf Platz vier. Dank ihrer Ergebnisse erhält Herzog ab 2019 auch Spitzenspo­rtförderun­g. „Das ist extrem positiv für uns, macht vieles einfacher.“Auch auf ein echtes Heimrennen darf Österreich­s schnellste Eisläuferi­n hoffen: Der Verband überlegt, sich mit Innsbruck für 2020 um einen Weltcup bzw. die EM zu bewerben.

Ohne die nötige Lockerheit wird die WM kein Erfolg. »Nicht alles ist planbar.« Eine tiefere Startposit­ion und höhere Frequenz in Kurven machten Herzog schneller. Nach dem Asien-Trip freut sich Herzog auf Schwarzbro­t, Kaffee und die Hausschwei­ne.

Nach den Rennen in Japan freut sich Herzog auf eine Woche auf dem heimischen Bauernhof mit den beiden Hausschwei­nen Kiwi und Haka. Nicht nur Ruhe und Idyll von Kärnten hat sie in Asien in der durchgetak­teten Wettkampfr­outine vermisst, sondern auch Schwarzbro­t und Kaffee. „Wir haben unsere Kaffeemasc­hine mitgenomme­n, aber leider ist die Stromspann­ung hier zu gering“, berichtet sie. Nach dem Zwischenst­opp geht es in Polen weiter, im Februar wartet das Highlight der WM in Inzell. Dort trainiert sie in Ermangelun­g einer Eishalle in Österreich seit gut 15 Jahren, der bayerische Ort ist eine zweite Heimat für sie geworden. „Das wird auf jeden Fall besonders. Wir haben einen ganzen Sektor für Familie und Freunde reserviert.“Das Ziel ist klar: „Meine erste WM-Medaille, die Farbe ist mir wurscht.“

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AFP Vanessa Herzog präsentier­t sich in der neuen Saison in Topform.
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