Gedopte Gene
Von Brustkrebs bis Bluterkrankheit: Die Medizin hofft, mittels Gentherapie Patienten Heilung zu bringen. Doch die Erkenntnisse werden zuhauf für Doping missbraucht. Ein Genpass und lebenslange Sportsperren könnten Abhilfe schaffen.
Eero Mäntyranta sammelte Medaillen. Dreimal Gold, zweimal Silber, zweimal Bronze, lautete seine Bilanz allein nach den Olympischen Winterspielen der Jahre 1960 bis 1968. Erfolge, aufgrund derer er alsbald mit Dopingvorwürfen konfrontiert wurde. Erst zwei Jahrzehnte später sollten Forscher und mit ihnen Mäntyranta selbst dem Geheimnis des Finnen mit der markanten Strickhaube auf die Spur kommen: eine Genmutation.
Eine DNA-Analyse bestätigte, dass jenes Gen von Mäntyranta, das für den Rezeptor von Erythropoetin verantwortlich ist, eine Punktmutation aufwies: In seinem Blut fanden sich weit mehr Sauerstoff transportierende rote Blutkörperchen als üblich. Die Folge: enorme Ausdauer – aufgrund eines Verschuldens der Natur. Heute versuchen Forscher Gene gezielt zu manipulieren, um monogenetische Erkrankungen, wie die Bluterkrankheit, heilen zu können. „Leider zeigt der Lauf der Geschichte, dass medizinisch Segensreiches für Doping ausgenutzt wird“, kritisiert Sportmediziner Norbert Bachl. Gendoping mal drei. Neben der verbotenen Einnahme von Hormonen und Blutdoping kursiert das Schlagwort Gendoping in der Sportszene. Und das nicht nur theoretisch. „Gewisse Praktiken des Gendopings werden mit Sicherheit schon jetzt missbräuchlich verwendet“, vermutet der Direktor des Österreichischen Instituts für Sportmedizin. „Es bietet zu viele Möglichkeiten, um nicht zu versuchen, sie auszuschöpfen. Einen großen Markt gibt es derzeit aber nicht – noch nicht.“
Das könnte sich ändern. „Jene, die manipulieren wollen, sind jenen, die nachweisen müssen, stets einen Schritt voraus“, sagt Bachl. Denn: „So lang die Methode im stillen Kämmerlein durchgeführt wird und sich keiner verplaudert, so lang wissen die Kontrolleure nicht, wonach sie suchen müssen.“
Unterschieden werden drei Arten von Gendoping: Keimbahninterventionen, im Zuge derer es zu Manipulationen im embryonalen Zustand kommt, direktes Gendoping, bei dem Teile der DNA-Struktur einzelner Gene verändert werden, und indirektes Gendoping. Während Keimbahninterventionen nicht nur in Österreich per Gesetz untersagt sind, gilt im Leistungssport ein Verbot aller drei Verfahren. „Theoretisch gilt das Verbot auch im Breitensport, etwa bei Volksläufen, die Frage ist nur, ob da kontrolliert wird“, so Bachl, der im indirekten Gendoping momentan die größte Gefahr sieht, „da es die am leichtesten umsetzbare der drei Varianten ist“. Das Ziel ist es, Körperzellen oder Zellenbestandteile anzuregen, damit sie gewisse Proteine vermehrt produzieren – also Bausteine etwa für Hormone und rote Blutkörperchen.
„Fündig wird man bereits im Darknet“, sagt Bachl. „Dort wird etwa eine Antisense-RNA angeboten, die zu einer massiven Muskelhypertrophie führt.“Gemeint ist: Das Protein Myostatin, welches das Muskelwachstum hemmt, wird ausgeschaltet. In der Konsequenz wachsen die Muskeln unkontrolliert an.
„Unerschöpfliche Kondition, Kraft und Regenerationsfähigkeit, ohne per- manent Steroide einzunehmen, klingt für viele Hobby- wie Spitzensportler im ersten Moment wie ein Traum“, sagt Performance-Coach Richard Staudner. „Doch sie vergessen: Unser Körper ist nicht unendlich belastbar – die Folgen sind nicht abschätzbar.“
Tatsächlich ist die menschliche Leistungsfähigkeit polygenetisch. „Aktuell kennt die Sportmedizin ungefähr 250 Gene, die für sportlichen Erfolg verantwortlich sind“, so Mediziner Bachl. „Ihre Interaktionen kennen wir aber viel zu wenig. Würde etwa ein Ausdauer-Gen manipuliert, verbessert sich womöglich die Kondition, der Betroffene könnte aber aufgrund einer bislang unbekannten Wechselwirkung parallel dazu anfangen, zu viele rote Blutkörperchen zu bilden, er könnte eine Autoimmunerkrankung bekommen – im schlimmsten Fall ein Organversagen.“ Dem Sterben zum Trotz. Szenarien, die aufstrebende Sportler selten abschrecken. „Es geht um Ruhm und Geld“, sagt Bachl. Hinzu komme ein falsches Selbstbild: „Sie sagen sich: Mir passiert nicht, was die Statistik sagt.“Bachl und Staudner sind sich einig: Die Studie des US-Mediziners Bob Goldman würde heute nahezu dieselben Resultate ergeben wie 1982. Damals bekundete jeder zweite Hochleistungssportler, er wäre bereit, binnen fünf Jahren zu sterben, sofern ihm die Einnahme eines Dopingmittels eine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen garantieren würde. Im Zweijahrestakt wurde die Umfrage bis 1995 wiederholt. Die Ergebnisse änderten sich kaum.
„Das Streben nach dem Mehr trieb die Menschen schon immer an“, sagt Fitnesstrainer Staudner, der Athleten in der Kampfsportliga „Ultimate Fighting Championship“sowie im Tennis, Football oder Gewichtheben betreut. Dazu menge sich die Verlockung: „Im Gegensatz zum noch teuren Gendoping ist der Zugang zu herkömmlichen Dopingmitteln wie Testosteron einfach und billig, die Wirkung effizient. In vielen Studios sind Händler unterwegs, in den Garderoben wird offen über diverse Substanzen gesprochen.“Die Ware stamme meist aus ausländischen „Untergrundlaboren“– oder dem Internet. „Keine Sportart ist davor gefeit: Von der Rhythmischen Sportgymnastik über Biathlon bis Curling, überall wird gedopt.“Wer sich dem vermeintlichen Trend verwehren wolle, brauche nicht nur körperliche Beharrlichkeit und Geduld, sondern auch mentale Stärke. „Ohne Disziplin geht es nicht“, betont Staudner, „doch sie lohnt sich“, verweist er auf einen seiner Kunden, der aktuell in den Top 15 der Kampfsportelite boxt. „Innerhalb von zwei Jahren wurde er sechsmal auf Doping getestet, weil seine Physiologie abnormal erscheint. Dabei lautet sein Rezept: kluge Ernährung, eiserner Wille, intensivstes Training.“
»Wird die Produktion eines Stoffs einmal angeregt, ist sie nicht mehr zu stoppen.« »Die Ergebnisse bestimmter Dopingmethoden dürften vererbbar sein.«
„Viele wollen sich die Zeit nicht nehmen, sondern nur den schnellen Erfolg, um beim Clubbing oder im Bewerbungsgespräch mit ihrer Ästhetik zu punkten“, meint Staudner. „Klassisches Doping“unterstütze dabei und bringe zumindest einen vermeintlichen Vorteil: „Die Wirkung von Steroiden verebbt, sobald man sie absetzt; bei Gendoping ist dies nicht der Fall“, warnt Staudner, der in Wien drei CrossFit-Studios betrieben hat. „Wird die Produktion eines Stoffs einmal angeregt, ist sie laut jetzigem Wissensstand nicht mehr zu stoppen.“ Lebenslange Sperren? Ebenfalls ungeklärt ist die Antwort auf die Frage der Vererbung von epigenetischen Veränderungen: „Betreiben Eltern Leistungssport, verändert das jahrzehntelange Training zwar nicht die DNA, sehr wohl aber die Expressionsmuster verschiedener Gene“, sagt Sportmediziner Bachl. „Man nimmt an, dass diese Vorteile auf die Nachkommen übertragen werden können. Dasselbe dürfte aber auch gelten, werden Eltern mit anabol wirksamen Substanzen behandelt.“