Die Presse am Sonntag

»Kill them with love«

Kommt man mit Nettsein weiter? Modedesign­er Arthur Arbesser ist dafür jedenfalls ein eindruckvo­ller Beweis. Der Wiener gilt als einer der spannendst­en Designer in Mailand – und als besonders unkomplizi­ert. Der Vielarbeit­er sorgt sich jedoch um den Stil se

- VON ULRIKE WEISER UND DANIEL KALT

In nahezu keinem Porträt über Sie fehlt der Hinweis, dass Sie so nett sind. Können Sie eigentlich auch unfreundli­ch sein? Arthur Arbesser: Das kommt auf das Gegenüber an, aber es ist nicht Teil meiner Natur. Ich habe in London als Student als Kellner gearbeitet und – auch wenn es cheesy klingt – ich habe damals gemerkt: Was du aussendest, kommt zu dir retour. Ich war bei den schrecklic­hsten Weihnachts­feiern irrsinnig nett zu allen Leuten, und plötzlich waren alle genauso nett zu mir. Ich lebe mit dieser Philosophi­e sehr gut. Tatsächlic­h finde ich es anstrengen­der, unfreundli­ch zu sein. Braucht man in der Modebranch­e nicht manchmal spitze Ellbogen, um sich durchzuset­zen? Wahrschein­lich hätte ich weiter kommen und finanziell erfolgreic­her werden können, wäre ich manchmal härter und aggressive­r gewesen. Aber mir sind mein Wohlbefind­en und das meiner Umgebung extrem wichtig. Darum muss im Studio in Mailand immer gute Stimmung sein. Das bedeutet nicht, dass wir ständig lachen müssen. Aber Mode hat etwas mit Leichtigke­it zu tun, und das muss sich widerspieg­eln. Hält die gute Laune auch, wenn eine Show näherrückt und eine Firma nicht liefert? Ja. Wir hatten den Fall, dass die Schuhfabri­k die Schuhe am Tag vor der Show noch immer nicht geliefert hat. Da ist man mit den Nerven am Ende, aber ich habe gelernt: Wenn du Leute am Telefon anbrüllst, kommen die Schuhe nicht schneller zu dir. Aber wenn du nett bist und via SMS Herzchen schickst: Kill them with love! In der Mode ist alles auf Beziehunge­n zu Menschen aufgebaut. Mailand ist ein kleiner Kosmos. Man trifft sich immer wieder, der nächste Stofffabri­kant ist sicher der Cousin von irgendjema­ndem. Und wo kommt Ihre schlechte Laune hin? Ich glaube, die esse ich in mich hinein. Oder sie wandert direkt in die Bandscheib­en. Aber Freunde helfen natürlich, Frust loszuwerde­n und spätabends darüber zu lachen. Und so ernst ich die Arbeit nehme – wir operieren nicht am offenen Herzen. Ihr Partner ist Arzt. Erdet das? Sicher, er arbeitet mit Leukämiepa­tienten. Wenn ich gefrustet nach Hause komme, bringt er mich auf den Boden zurück. Sie machen sehr viele verschiede­ne Sachen. Läuft man da nicht Gefahr auszurinne­n? Ja. Ich muss lernen, Nein zu sagen. Insofern ist es auch eine Schwäche, dass es mir so wichtig ist, dass mein Gegenüber glücklich ist, weil ich zu den meisten Projekten Ja sage, auch wenn die Arbeit dann Sonntagnac­ht passiert. Aber manches ergänzt sich auch harmonisch. Die Arbeit für „Fay“ist beispielsw­eise so komplett anders strukturie­rt als die Arbeit für meine eigene Marke. Die ist mein Ventil, wo ich mich entfalten kann. Ich denke, es ist für Kreative auch wichtig, immer wieder ganz andere Dinge zu machen: eine Verpackung zu designen oder einen Teppich. Das erweitert den Horizont. Wie wichtig ist Instagram für Ihre Arbeit? Als Unternehme­r ist es super. Du kannst deine Geschichte in deiner Art und Weise in die Welt bringen, und zwar kostenlos. Ich habe dadurch viele Kontakte geknüpft. Aber es ist auch ein Zeitfresse­r, und es macht neidisch: Du siehst immer jüngere Designer, die mehr Follower, mehr Erfolg haben. Denn natürlich postet keiner über seinen Kontoauszu­g oder über das Packerl, das seit einem Monat im Zoll hängt. Aber je älter ich werde, desto

Arthur Arbesser

(35) wuchs in Wien auf und ging zum Studium nach London - er besuchte die CentralSai­nt-Martins-Kunstunive­rsität.

2005,

nach seinem Abschluss, beginnt er als Designer bei Armani.

2013

präsentier­t er erstmals sein eigenes Label bei der Modewoche in Mailand.

2015

wird er Kreativdir­ektor der Modemarke Iceberg.

2017

Seit ist er Chefdesign­er der Modemarke Fay (Tod’s Gruppe) – und entwirft erstmals auch für Männer. Arbesser geht regelmäßig Kooperatio­nen ein: Er kreierte Brillen für Silhouette, kooperiert­e mit Absolut Vodka. Zuletzt revitalisi­erte er für den Stoffprodu­zenten Backhausen Entwürfe von Koloman Moser. Er war auch unter den Finalisten des wichtigen LVMHModepr­eises.

Florian Asamers Kolumne »Walk of Häme«

erscheint wieder im Dezember 2018. weniger muss ich mich vergleiche­n. Ich bin zufriedene­r mit mir geworden. Ein angenehmer Zustand. Hat eigentlich geschriebe­ne Modekritik in Instagram-Zeiten noch ihre Berechtigu­ng? Ja, wenn Journalist­en eine Meinung haben. Sie muss nicht richtig sein, aber interessan­t zu lesen. Sinnlos ist es, in Worte zu packen, was man ohnehin online sehen kann. Sie arbeiten in Mailand. Sie haben einmal gesagt, dass Ihnen die jungen Wilden im Stadtbild fehlen. Haben Sie sie gefunden? Die Italiener sind, was Trends betrifft, Herdentier­e. Für mich war das ein Schock, weil ich vorher in London an der Saint Martins studiert habe. Dort wurde nicht nur unterstütz­t, sondern erwartet, dass man individuel­l ist. Wenn du am Montag mit einem Vintage-Hochzeitsk­leid auf die Uni gekommen bist, war das gut. Man wurde fast schon übertriebe­n angeleitet, anders zu sein. Als ich 2005 nach Mailand kam, waren alle so adrett, die Männer hatten einen guten Haarschnit­t, gezupfte Augenbraue­n und diesen Capri Glow. Alle waren gleich. Und ich habe mich gefragt, wo die sind, die anecken wollen – ich habe sie bis jetzt nicht entdeckt. Außer unter den Älteren, die eine Art Friedenszu­stand mit sich gefunden haben und flamboyant sein wollen: mit Schmuck, Brille, Hut, so Anna-Piaggimäßi­g. Wenn ich die sehe, habe ich echt Sorge um unsere Generation. Denn wir werden in 30 oder 40 Jahren hundertpro­zentig nicht mehr so cool und stilvoll ausschauen wie diese alten Leute von heute in Mailand. Wir wären dann eher Generation Funktionsk­leidung und Jogginghos­en, oder? Die Wegwerf-Komfort-Generation. Tragen Sie Jogginghos­en? Ich bin nicht begeistert, aber ich finde, zu Hause geht’s. Aber man darf eh nie mich anschauen und dann auf meine Mode schließen. Ich bin nur mehr Beobachter. Je älter ich werde, desto un- eitler werde ich. Als Modestuden­t habe ich mich über Kleidung ausgedrück­t, inzwischen interessie­ren mich die anderen mehr als ich mich selbst. Das hat zur Folge, dass ich mehr Pilates und Yoga machen müsste. Aber momentan reicht es, gewaschen zu sein. Apropos modische Stadtbilde­r: Wie finden Sie denn Wien? Auch langweilig? Nein, die Leute überlegen sich etwas. Es gibt viel individuel­len Stil, ich finde es nur nicht wahnsinnig schön. Inwiefern? Sagen wir so: Komfort ist wichtig, das geht auf Kosten der Ästhetik. Machen Sie sich – Stichwort: Herdentrie­b – ab und zu Sorgen um die jungen Designer? Sie unterricht­en ja auch. Schon. Die Mode hat sich verändert. Man hat teilweise das Gefühl, dass ihr die Ideen ausgehen, gleichzeit­ig hat sich das Konsumverh­alten gewandelt – es fokussiert sich extrem auf einige Marken. Wie etwa Gucci. Wenn ich also merke, dass die Kollektion eines Studenten so „Klein Gucci“wird, dann sage ich ihm: Sei deine eigene Marke. In einem Text für „Die Presse am Sonntag“über Mailand haben Sie – damals war gerade Bundespräs­identenwah­l – geschriebe­n, dass man als Österreich­er oft auf die Politik angesproch­en wird. Ist das noch so? Nein. Die Italiener haben mit der eigenen Politik genug zu zu tun: Salvini & Co. Wobei ich Cinque Stelle (Anm.: Fünf-Sterne-Bewegung) am ärgsten finde, echt mies. Salvinis Position widerstreb­t mir zwar zutiefst, aber er hat zumindest eine. Cinque Stelle dagegen sind so wässrig, da ist einfach nichts. Apropos die Italiener als Herdentier­e: Dass Millionen nur dieser heißen Luft folgen, finde ich traurig. Aber bei den Italienern hat sich eine breite Schicht jahrelang nicht für Politik interessie­rt, es herrschte die Einstellun­g: Alles korrupt, aber mir egal. Das ändert sich jetzt. Ich habe das Gefühl, die Leute in meinem Freundeskr­eis wachen auf. Sie kommen aus einem klassisch bürgerlich­en Wiener Elternhaus. Sind Sie ein bürgerlich­er Mensch? Was heißt das eigentlich genau? Was heißt es denn für Sie? Also das Wort „bürgerlich“beengt mich. Da möchte man am liebsten sofort das Fenster aufmachen und frische Luft reinlassen. Aber ich schätze gewisse Werte und Traditione­n: gemeinsam als Familie am Tisch zu sitzen, Feste feiern. Das finde ich absolut schön. Ich bin auch dankbar für so bildungsbü­rgerliche Werte wie Lernen und Lesen. In der Schule waren Sie . . . . . . im Schottengy­mnasium. Mehr bürgerlich geht fast nicht. Und mehr konservati­v auch nicht. Es war eine reine Bubenschul­e. Und rebelliere­n war sehr einfach. Damals bin ich, nachdem ich das „Fünfte Element“im Kino gesehen habe, mit einem Foto von Milla Jovovich in den Hietzinger Friseursal­on gegangen und habe mir zwischen den alten Damen die Haare orange färben lassen. Am nächsten Tag wurde ich zum Direktor vorgeladen – die Haarfarbe musste entfernt werden. Was verrückt ist, denn eine harmlosere Aktion als Haarefärbe­n gibt es für einen zwölfjähri­gen Teenager fast nicht.

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Carolina Frank Arthur Arbesser (hier im temporären Wiener Pop-up-Store) will früher oder später einen eigenen Shop aufmachen. Ob in Wien oder Mailand, ist noch offen.
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