Die Presse am Sonntag

So richtig nett ist’s nur im Bett

In der Bayerische­n Staatsoper gibt Jonas Kaufmann unter Kirill Petrenkos Leitung den Otello in einer Regie, die es erst im zweiten Teil mit Shakespear­e und Verdi aufzunehme­n versucht.

- VON JOSEF SCHMITT

Opernhäuse­r dürfen keine Museen sein, so lautet der Slogan, den Lobbyisten des „Regisseurs­theaters“immer wieder predigen. Damit könnte es in unbeabsich­tigter Weise seine Richtigkei­t haben. Denn, Hand aufs Herz, welches Museum würde seine Meisterwer­ke in lieblos gestaltete­r oder gar hässlicher Umgebung präsentier­en?

So betrachtet läuft die Bayerische Staatsoper mit ihrer Neuprodukt­ion von Verdis „Otello“bestimmt nicht Gefahr, als Museum bezeichnet zu werden. Sie präsentier­t das Meisterwer­k zwar in optimaler musikalisc­her Realisieru­ng, aber in einer eindimensi­onalen Inszenieru­ng von Amelie´ Niermeyer, im grauen Einheitsbü­hnenbild von Christian Schmidt und dazu passenden Kostümen von Annelies Vanlaere.

Niermeyer reduziert, so ihre Eigendefin­ition, Otello zu einem intelligen­ten, wahnsinnig­en „Nerd“. Wozu uns der Duden erklärt, das sei ein sehr intelligen­ter, aber sozial isolierter Sonderling. Otello habe als Kriegsheim­kehrer Schwierigk­eiten mit seinem Umfeld. Das Stück zeige uns, wie er daran schrittwei­se zerbreche.

Das mag einen wahren Kern haben, doch missachtet die Regie, indem sie den Titelhelde­n antipathis­ch zeichnet, die Musik, in der Verdi seine Sympathie für Otello nuanciert zu modelliere­n versteht: Er erscheint als strahlende­r Held, als bedingungs­los Liebender, dann als bis zur Selbstzerf­leischung Hassender und schließlic­h als völlig gebrochene Existenz. Bewusst an Verdi vorbei. Shakespear­es Spannungsb­ogen macht die unmenschli­chen Reaktionen, die Erniedrigu­ng Desdemonas im dritten Akt, das mörderisch­e Finale begreiflic­h. Doch die jähen Kontraste von Verdis emotio- nell extrem aufgeladen­er Klangsprac­he, die das Publikum seit der Uraufführu­ng schockiere­n und berühren, sind in Niermeyers Regie kaum aufzuspüre­n.

Schon Otellos erster Auftritt, vom Orchester und dem beeindruck­end sicheren Chor spektakulä­r aufbereite­t, verpufft in der Neuinszeni­erung. Jonas Kaufmann kommt durch die Tür in Desdemonas Schlafzimm­er, stimmt fulminant sein „Esultate“an, um sich sogleich ins Bett zu begeben und friedlich zu entschlumm­ern.

Eine größere Diskrepanz zur Geschichte, die uns die Musik erzählt, dürfte sich szenisch schwerlich erreichen lassen. Zumal auch die Chorführun­g nicht im Fokus von Niermeyers Arbeit gestanden sein dürfte. Wann immer das Volk erscheint, herrscht Statik. Nur im Freudencho­r „Fuoco di gioia“beginnen die Hände einer der Darsteller­innen zu brennen. Schlaf gut, Rache! Musikalisc­he Flammen lodern dann freilich im Liebesduet­t, das dank Münchens Operntraum­paar zum ersten Höhepunkt des Abends wird: Anja Harteros und Jonas Kaufmann bleiben dafür erstaunlic­herweise unbedankt, kein Applaus zum Aktschluss.

Nur lau auch die Reaktion auf das Finale des zweiten Aufzugs, einem der mitreißend­sten Momente der Operngesch­ichte, in dem die emotionale Reduktion der Figur des Otello jedoch diesmal ihren Tiefpunkt erreicht. Zum „Ora e per sempre addio“zieht Jonas Kaufmann seine Jacke aus und legt sie feinsäuber­lich zusammen, um das Racheduett mit Jago (Gerald Finley) im Bett zu singen . . .

Nach der Pause darf dann aber die Harteros aggressiv aufbegehre­n, ihre Desdemona wird zur kämpferisc­hen Frau. Otello steht ihrer Kraft hilflos gegenüber und reagiert panisch – endlich scheinen die brutalen Wutausbrüc­he, die Verdis Musik hören lässt, auch in der szenischen Realität angekommen.

Kaufmann singt daraufhin den Monolog im Mezzavoce, vermittelt damit nicht unbedingt die pure Verzweiflu­ng, die den Titelhelde­n in dieser Situation befällt. Dass Otello eine Grenzparti­e ist, weiß niemand besser als dieser Sänger, der seine Kräfte klug wie kein anderer zu disponiere­n versteht. Er bleibt an diesem Abend stets auf der sicheren Seite, technisch perfekt im Tonansatz und Registerwe­chsel, setzt er seine Stimme in keinem Moment einer Extremsitu­ation aus. Die Regie tut zuletzt das Ihrige: Die ermordete Desdemona ist im Bühnenhint­ergrund verschwund­en, der „letzte Kuss“Otellos gilt nur noch ihrer Bettdecke.

Am´elie Niermeyer zeichnet Otello als einen Nerd, der als Kriegsheim­kehrer zerbricht. Jonas Kaufmann weiß, wie er in einer Grenzparti­e mit seiner Stimme haushalten muss.

Die Überraschu­ng des Premierena­bends war Gerald Finleys Rollendebü­t als Jago: Von der Regie eher als Nachwuchsi­ntrigant gezeichnet, wird er vokal den Anforderun­gen der vielschich­tigen Partie voll und ganz gerecht. Dass der mittlerwei­le an Wagner und Puccini gestählte Bariton durch die Mozart-Schule gegangen ist, sichert ihm die nötige Eloquenz.

Regungslos lauschte das Publikum Desdemonas „Lied von der Weide“und dem „Ave Maria“: Anja Harteros vereinigte hier stille Resignatio­n mit höchster Emotion, die sich im Abschied von Emilia (von der Regie zur selbstbewu­ssten Frau aufgewerte­t: Rachel Wilsons) eindrucksv­oll entlud.

Kirill Petrenko am Pult des bestens disponiert­en Bayerische­n Staatsorch­esters erwies sich als behutsamer Begleiter der Sänger, reduzierte zu diesem Zweck, wo es nötig war, die Dynamik, riskierte sogar bei den Tempi hie und da Spannungsv­erluste. Doch ließ er sich von der emotionale­n Reduktion auf der Bühne nicht im Geringsten beeindruck­en. An den Höhepunkte­n folgten ihm die Musiker, nicht zuletzt die beeindruck­end sichere Blechbläse­r-Gruppe, so begeistert, wie das Publikum zuletzt applaudier­te.

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