In Brüssel steht ein Gräuel-Museum
Frankreichs Rückgabe von Kunstwerken aus kolonialen Sammlungen bringt ganz Europa unter Druck, einige Museen betrifft es besonders. Sie stehen etwa in London, Paris, Berlin, Wien – und nicht zuletzt bei Brüssel.
Es war nicht nur Gerede. In Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor genau einem Jahr seine Zuhörer überrascht – mit dem Wunsch, dass „in fünf Jahren die Bedingungen für vorübergehende oder endgültige Rückgaben des afrikanischen Kulturguts geschaffen sein mögen“. Das afrikanische Erbe solle in Paris gewürdigt werden, „aber auch in Dakar, Lagos, Cotonou“. Nun gibt er Gas.
Am Freitag hat er nicht nur verkündet, dass „unverzüglich“26 vom Staat Benin beanspruchte Werke (Kriegsbeute von 1892) restituiert werden sollen. Er hat auch einen von ihm beauftragten Bericht vorgestellt, in dem empfohlen wird, die Definition von nationalem Erbe zu überdenken – um den Weg für Rückgaben frei zu machen. Und er hat vorgeschlagen, noch im Frühling in Paris „alle afrikanischen und europäischen Partner“zu versammeln, um Rahmenbedingungen für die Rückgabe von Kunstwerken zu schaffen.
Viele Objekte im Mus´ee du Quai Branly kommen aus dem einstigen Kolonialmuseum.
Das alles ist spektakulär. Die nationalen Sammlungen seien unveräußerlich, hatte es lang geheißen, in den letzten Jahren hatten französische Museen begonnen, dieses Dogma in Frage zu stellen. Doch kein französischer Präsident hatte sich bisher zum Thema geäußert. Und nun scheint das Land sogar zum Zugpferd in der Frage der Rückgabe von in Kolonialzeiten nach Europa geschaffener außereuropäischer Kunst zu werden. Das „zivilisierende“Frankreich. Die Museen, die besonders davon betroffen sind, liegen in London, in Brüssel, Berlin und Bremen, (mit dem Weltmuseum) in Wien – und natürlich in Paris. 2006, zu einer Zeit, als ein französischer Präsident noch nicht an Rückgaben dachte, wohl aber an einen würdigen Umgang mit der ihn brennend interessierenden außereuropäischen Kunst – es war Jacques Chirac –, wurde nahe dem Eiffelturm, am Ufer der Seine, ein neues Prachtmuseum eröffnet, auf das hernach alle Völkerkundemuseen (wie sie früher hießen) der Welt schauten: das Musee´ du Quai Branly.
Wie ein riesiges, zum Teil knallig buntes, zum Teil üppig von Grün überwuchertes Schiff erstreckt sich das von Jean Nouvel gebaute Gebäude über 40.000 Quadratmeter – ein architektonisches Sinnbild des Anspruchs: Hier sollen die Kulturen dieser bunten, schöpferischen Welt als künstlerisch gleichberechtigt gezeigt werden. Das Besondere am Pariser Projekt war, dass es die Artefakte aus Übersee in erster Linie als Kunst behandelte – wie ein Jahrhundert davor schon viele Künstler der Moderne es taten.
Die 300.000 Objekte der Sammlung kamen aus zwei früheren Museen, eines davon das ehemalige Kolonialmuseum. „Museum der Kolonien“hieß es noch in den ersten Jahren nach seiner Gründung 1931, gewidmet war es „dem kolonisierenden und zivilisierenden Frankreich“. Das Musee´ du Quai Branly sieht sich als Gegenmodell – als Ort für den Dialog der Kulturen. Man wollte damit auch Abbitte leisten für die teilweise fragwürdigen Ursprünge der „nationalen“Besitztümer. Heute ist klar: Das reicht nicht. Und angesichts Macrons neuem Kurs fragen sich dieser Tage die Wissenschaftler und Museumsbetreiber: Was wird noch bleiben in den Museen? Blutspuren in Brüssel. 300 Kilometer weiter, am Ostrand der EU-Hauptstadt, beherbergt die Gemeinde Tervuren das „Königliche Museum von Zentralafrika“. Es entstand auf Wunsch des belgischen Königs Leopold II., ebenso wie die berühmte elf Kilometer lange Allee, die Tervurenlaan, die Tervuren mit Brüssel verbindet. Geld für die Prachtbauten kam aus dem Kongo, der Privatkolonie des Königs, wo die Bevölkerung seit Jahren mit Sklaverei und Zwangsarbeit für die Kautschukgewin- nung ausgebeutet wurde und der König die schrecklichsten Gräueltaten zuließ. Millionen starben, Statuen des Massenmörders stehen heute noch in Brüssel. Und das „Königliche Museum von Zentralafrika“kämpft mit seiner blutigen Vergangenheit: Seit 2013 geschlossen, soll es Ende des Jahres mit einem neuen Konzept eröffnet werden. Denn seine Bestände sind direkt mit der Kolonialisierung des Kongo verknüpft, sie entstanden aus dem Wunsch Leopolds II., den Belgiern „seinen“Kongo zu präsentieren. Erst nach der Unabhängigkeit des Kongo in den 1960er-Jahren weitete das Museum seine Bestände auf das restliche Afrika und weitere Kontinente aus.
Im „Königlichen Museum“kann man aber auch erahnen, wie schwierig die Restitutionsfrage ist. Das meiste von dem, was hier bewahrt wurde, bestünde vielleicht nicht mehr, wäre es nicht hierhergeschafft und als wertvoll behandelt worden. Die Bestände sind einzigartig. Außerdem – wer soll 180.000 ethnografische Objekte (so viele lagern hier), die meisten davon schlecht dokumentiert, auf ihre Herkunft prüfen?
Was das große deutsche Projekt zur Präsentation außereuropäischer Kulturen und ihrer Kunst zu bieten hat, wird man erst Ende 2019 sehen. Dann nämlich wird die teilweise Rekonstruktion des 1950 gesprengten Berliner Schlosses fertiggestellt sein und das darin eingerichtete Humboldt-Forum einer seiner erklärten Hauptaufgaben nachkommen: außereuropäische Kulturen in Ausstellungen zu präsentieren. Es hat zu dem Zweck die Sammlungen der außereuropäischen Kunst der Stiftung Preußischer Kulturbesitz übernommen. Doch das Projekt ist auch heftig umstritten. Kritiker haben dem Forum Geschichtsvergessenheit vorgeworfen, „eurozentrische Selbstgewissheit“, fehlende Provenienzforschung und Intransparenz. Lektion für die Deutschen. Die französische Kunsthistorikerin Ben´edicte´ Savoy trat aus Protest sogar aus dem Beirat aus. Und ausgerechnet sie hat nun, gemeinsam mit dem senegalesischen Ökonomen Felwine Sarr, in acht Monate langer Arbeit jenen von Macron beauftragten Bericht verfasst, der, am Freitag präsentiert, Frankreichs Präsident als Leitfaden dient. Ob Macron wohl auch eine heimliche Freude dabei empfindet, den Deutschen zu zeigen, wie es richtig geht?
Aber auch in Deutschland selbst gibt es vorbildliche Provenienzforschung.
Das »Königliche Museum« wurde mit Gräueln erkauft. Die Bestände sind einzigartig.