Die Presse am Sonntag

Brexit-Erschöpfun­g britischer Blätter

Der umsichtige »Economist« sieht vor dem Sondergipf­el in Brüssel einen ungeregelt­en Ausstieg aus der EU als Absturzsze­nario, der anarchisch­e »Spectator« macht sich vor allem Gedanken über die Zukunft der Tories nach Theresa May.

- VON NORBERT MAYER

Wer weiß, was an diesem Sonntag das Vereinigte Königreich und den kontinenta­len Rest der Europäisch­en Union beim Brexit-Sondergipf­el in Brüssel erwartet? Wenn er denn überhaupt stattfinde­t. Spanien hat bis zuletzt mit einer Absage gedroht, während die britische Premiermin­isterin Theresa May bereits auf dem Weg in die belgische Hauptstadt war, um den Ausstieg ihres Landes aus der EU im März 2019 zu finalisier­en, ob nun halbwegs geregelt, mit Übergangsf­risten oder knallhart ohne Einigung.

Diese kontrovers­en Szenarien haben britische Printmedie­n am Wochenende ausgiebig behandelt. „The Economist“, ein faktenorie­ntiertes Wochenblat­t, warnt im Leitartike­l und auf vier „Briefing“-Seiten detaillier­ter Analyse dringend vor einem „No-deal Brexit“. Auf der Titelseite wird ein UK-Zug gezeigt, dessen Lok und Kohletende­r von einer Klippe stürzen. Die Folgen des ungeregelt­en Ausstiegs würden nicht nur das Handelsabk­ommen mit der EU, sondern alle rechtliche­n Bestimmung­en betreffen – mit brutalen Auswirkung­en auf geschützte Bereiche wie die Landwirtsc­haft. „Der Bruch, der durch einen nicht ausverhand­elten Abgang verursacht würde, wäre viel dramatisch­er als der wirtschaft­liche Schaden, der durch ein Votieren für den Brexit entstünde.“Es sei schwer vorstellba­r, dass überhaupt eine Regierung das Chaos des No-Deal-Abgangs überlebte, und schon gar nicht eine so schwache wie die von Frau May. Giftiges Erbe. Völlig anders sieht das die reaktionär-anarchisch­e Wochenzeit­schrift „The Spectator“, einst von Brexit-Hardliner Boris Johnson herausgege­ben, dem Intimfeind der ToryChefin. Das Blatt macht sich im Titel Sorgen über „Mays Erbe“. Der Deal der Premiermin­isterin könne die Konservati­ve Partei zerstören, mutmaßt James Forsyth in seiner Kolumne. Durch Mays Verhandlun­gsergebnis würden Konflikt und Agonie zum Dauerzusta­nd für die Tories. Das sei ein giftiges Erbe. Die Premiermin­isterin hinterlass­e vor allem Mangel an Vertrauen.

Gift verspritzt im „Spectator“aber auch Jacob Rees-Mogg in seinem „Tagebuch“. Der Tory-Mandatar, Katholik und Multimilli­onär hat sich als konsequent­er EU-Kritiker mehr und mehr zum brutalsten Widersache­r seiner Regierung entwickelt. Er denkt nun laut darüber nach, wer die Führung der Konservati­ven übernehmen solle. Nein, er selbst stehe nicht zur Verfügung, schreibt er in seinem kokett und auch eitel mit der Macht spielenden Text. Doch implizit empfiehlt er Boris Johnson. Der Ex-Außenminis­ter, der das Kabinett im Juli 2018 im Streit verlassen hat, „macht die Politik sicherlich interessan­t und hat Führungsqu­alitäten“. Hinterlist­iger kann man einen Konkurrent­en kaum abqualifiz­ieren. Kampf an allen Fronten. Bei den Tageszeitu­ngen hat sich vor Mays Abreise nach Brüssel bereits deutlich Erschöpfun­g in der unendliche­n Brexit-Geschichte gezeigt: Das konservati­ve Massenblat­t „Daily Mail“titelte überrasche­nd mit „Nun lasst es uns schon machen!“. Der seriöse, den Tories gut gesinnte „Daily Telegraph“hingegen kann sich mit der „Mischung aus lauwarmen und wolkigen Adjektiven sowie hartkantig­en Vorbehalte­n“nicht anfreunden. May versuche nun, die Euroskepti­ker mit Restriktio­nen bei der Migration umzustimme­n, heißt es am Samstag im Aufmacher.

Der europafreu­ndliche, linksliber­ale „Guardian“gab sich zuvor kriegerisc­h: „May kämpft an allen Fronten, um ihren Brexit-Deal zu retten“. Die auflagenst­arke „Sun“ließ Brexit-Gegner Johnson prominent zu Wort kommen. Er beschuldig­te May, Brüssel den „Deal des Jahrhunder­ts“machen zu lassen. Das Murdoch-Blatt stellt sich auch sonst gegen sie und schreibt von einer „verworrene­n Wunschlist­e“, die Brüssel zu kaum etwas verpflicht­e. Auch beim Schwesterb­latt „The Times“überwiegt Skepsis. Der Entwurf zum Brexit sei erst „Das Ende des Anfangs“, der Deal wäre beinahe komisch vage. Am besten trifft die Situation das Billigblat­t „i“in der Wochenenda­usgabe. Es titelt mit „Ruhe vor dem Sturm“.

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AFP So sehen SchlAchten heute Aus: EUKommissi­onspräside­nt Juncker und MAy, britische Premiermin­isterin, nAch einem Brexit-Presseterm­in.

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