Die Presse am Sonntag

»Farewell! God knows when we shall meet again«

Europa stellt heute eine weitere Weiche in Richtung Brexit. Längst ist Routine an die Stelle der Wehmut getreten. Doch Großbritan­nien war mehr als ein Lebensabsc­hnittspart­ner des Kontinents. Und es schenkte uns weit mehr als den großen William Shakespear­e

- VON GÜNTHER HALLER

Als die letzten Kontinenta­leuropäer die britische Insel verließen, versank sie in Dunkelheit und Anarchie. Das war vor 1600 Jahren, als die Truppen des Imperium Romanum Britannien wieder verließen. Seit dem großen Gaius Iulius Caesar hatten sie die verregnete, vom Meer umtoste Provinz oben im Norden mit ihren störrische­n Menschen am Hals und bereut, je einen Fuß hierher gesetzt zu haben. Nun vermissten die Briten die alte Ordnung, die Angeln und Sachsen gebärdeten sich als die neuen Herren der Insel.

Da kam ein keltischer Stammesfüh­rer in diesem anarchisch­en „Dark age“, im 5. Jahrhunder­t, und einte die Stämme, verlor keine Schlacht, ein Erlöser und Heilsbring­er: Der Mythos von König Artus wurde geboren, es ist der Gründungsm­ythos Großbritan­niens. 1066 eroberten die Normannen England, sie waren die letzten Invasoren vom Festland, die ihren Fuß auf die Insel setzen sollten. Man brauchte nun einen nationalen Geburtsmyt­hos, das war Artus, der Ahnherr, der Angelsachs­en und Normannen als verbindend­es Element dienen sollte.

Durch die Legenden um ihn und die Ritter seiner Tafelrunde schrieb er sich ein in das Gedächtnis der ganzen Welt. Das Ideal des mittelalte­rlichen Ehrenmanns als Schützer der edlen Frauen und der Kult der Minne wurden geboren. Die Artuswelt mit dem zentralen Motiv der Suche nach dem heiligen Gral erobert Europa, als Faszinosum für die Geschichte­nerzähler. Als ideal-romantisch­e Figur wird der historisch schwer nachweisba­re König ein exemplaris­cher Monarch. Wenn sich der Habsburger Maximilian I. als „letzter Ritter“bezeichnen ließ, griff er in eine propagandi­stische Trickkiste, die mit Artus ihren Ausgang nahm. Als Metapher vom „Runden Tisch“überlebte die Tafelrunde bis heute.

Durch ihre normannisc­he Abstammung waren die englischen Könige politisch, kulturell und militärisc­h mit dem Festland eng verbunden, als Kon- kurrenten der französisc­hen Krone waren sie ernst zu nehmen. Heinrich II. herrschte nicht nur über England, sondern auch über französisc­he Gebiete von der Normandie bis zu den Pyrenäen. Darin wurzelte der Konflikt, der im späten Mittelalte­r zum Hundertjäh­rigen englisch-französisc­hen Krieg führen sollte. Die „schandhaft­e“Magna Charta. Ausdruck des britischen Sonderwegs war ein Dokument von 1215, Jahrhunder­te lang in Vergessenh­eit geraten und in der Neuzeit wieder „ausgegrabe­n“, gefeiert als erstes Dokument europäisch­er Verfassung­sgeschicht­e und noch im 21. Jahrhunder­t ein Stück gelebte Verfassung: die Magna Charta. Sie setzte der Willkür des Herrschend­en Grenzen und führte den Faktor Parlament ein, sie wurde zu ihrer Zeit vom Papst als „schandhaft“und „illegal“gebrandmar­kt.

Doch die Briten ertrotzten sich diese Rechte, es war eine Kampfansag­e an ihren König, zugleich aber auch an den Kontinent, als erste Demonstrat­ion eines anderen Weges. Hundert Jahre vor der Französisc­hen war 1688 die Glorious Revolution, durch sie wurde England zur konstituti­onellen Monarchie. „O Britannien, von deiner Freiheit einen Hut voll“, riefen die deutschen Freigeiste­r jenseits des Kanals. Es dauerte bis ins 20. Jahrhunder­t hinein, bis der Rest Europas einen Parlamenta­rismus wie den in England erlebte. Parlaments­debatten im britischen Unterhaus zeigen heute noch das Selbstbewu­sstsein, das sich aus dieser Tradition speist.

Immer wenn die Historiker von der Reserveban­k geholt werden, steht es nicht gut um die Identität eines Landes. Großbritan­nien hat nie wirklich zu Europa gehört, hieß es in einer britischen Historiker­debatte 2015, in der Zeit vor dem Brexitrefe­rendum. Das Land sei schon immer „apart“gewesen, nicht „a part“des Kontinents. An ihm habe es sich zwar da und dort beteiligt, aber ohne Teil davon zu werden. Das ist, abgesehen von Cricket und Linksverke­hr, schwer nachvollzi­ehbar. Wie sollte man eine europäisch­e Geschichte des Parlamenta­rismus, des aufgeklärt­en Denkens, der Arbeiterbe­wegung, schreiben, ohne den britischen Einfluss zu würdigen? Wie eine Geschichte des Theaters, des Fußballs, des Humors, der Fraueneman­zipation oder der Popmusik?

Wo sind die Wurzeln des britischen Königshaus­es der Saxe-Coburg and Gotha? Was in der Debatte auch seltener vorkam: Die britische Geschichte verlief immer wieder auch in unbehaglic­her Parallelit­ät zur europäisch­en. Der viel gepriesene Parlamenta­rismus ging aus Revolution­en und Blutbädern hervor, Antisemiti­smus war (und ist) der Insel nicht fremd. In ihren Kolonien wüteten die Briten genauso wie die Europäer.

Aber dennoch: Großbritan­nien war auch eine Insel für sich, der Aufstieg zur Weltmacht vollzog sich ab-

»O Britannien, von deiner Freiheit einen Hut voll!« So ein Reisender im 18. Jahrhunder­t.

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