Die Presse am Sonntag

Ein ewiges Leidensthe­ma: Wie reformiert man die Pflege?

Eine alternde Bevölkerun­g und wenige, die die Pflegejobs übernehmen wollen – in Zukunft sollen Angehörige mehr aushelfen.

- VON EVA WINROITHER

Dass sich das alles nicht mehr ausgehen kann, wissen die Österreich­er seit Jahren. Das Thema Pflege, die ständig älter werdende Gesellscha­ft, das wurde schon vor 20 Jahre als dringlichs­tes Thema identifizi­ert. Nur zu einer guten Lösung ist man bis heute nicht gekommen. Die Warnungen von Experten (Stichwort „Pflegenots­tand“) werden dafür immer dringliche­r.

Dabei braucht man nur die Zahlen lesen, um zu wissen, dass es hier ein Problem gibt. Das hat in erster Linie mit der gestiegene­n Lebenserwa­rtung der Österreich­er zu tun. In etwa 30 Jahren (also 2050) soll es Prognosen zufolge rund 1,2 Millionen Menschen hierzuland­e geben, die über 80 Jahre alt sind. Zum Vergleich: Aktuell gibt es 437.00 Menschen über 80 Jahre. Damit hätte sich die Zahl fast verdreifac­ht. Auch die Zahl der Menschen, die gepflegt werden müssen, wird damit Prognosen zufolge steigen: von 458.000 derzeit auf 750.000. Damit müssen zwei wichtige Punkte geklärt werden: Wer pflegt diese Menschen, und wer kommt für die Kosten auf? Die wenigsten wollen den Job. In Hinblick auf das Pflegepers­onal steht Österreich mehr als schlecht da. Bis zu 40.000 Pflegekräf­te könnten bis 2050 im Land fehlen. Schon jetzt fehlen insgesamt 6000 Pfleger in Österreich. Das hat auch damit zu tun, dass der Pflege- beruf derzeit alles andere als attraktiv ist. Mit einem Einstiegsg­ehalt von etwa 2000 Euro brutto pro Monat bekommen diplomiert­e Pflegekräf­te verhältnis­mäßig wenig Geld für einen emotional und körperlich sehr belastende­n Job. Der Pflegehelf­er liegt mit durchschni­ttlich 1800 Euro Einstiegsg­ehalt sogar noch darunter. Hinzu kommt, dass der Job auch immer wieder längere Trennungen von der eigenen Familie mit sich bringen kann. Viele der 24-Stunden-Pflegerinn­en kommen aus den östlichen Ländern Europas und sind bereit, für wenig Geld zu arbeiten. Dabei wird auch immer über Missstände durch Vermittlun­gsagenture­n berichtet. Nur mit österreich­ischen Staatsbürg­ern wäre das System derzeit gar nicht aufrechtzu­erhalten.

Ohne Zuwanderun­g wird es also wohl gar nicht gehen. Dazu kommt eine nächste Hürde, nämlich dass das Einstiegsg­ehalt in der Regel so gering ist, dass Angehörige aus Drittstaat­en gar nicht um eine Rot-Weiß-Rot-Karte ansuchen können, wenn sie als Pflegehelf­er hierzuland­e arbeiten wollen. Dafür müssten sie nämlich 2565 Euro pro Monat verdienen. Das heißt, auch wenn sie hierzuland­e dringend gesucht werden, will der Staat die Arbeitskrä­fte nicht. Ende November machte etwa die Stadt Salzburg mobil, dort können 80 der 774 Plätze in städtische­n Seniorenwo­hnhäusern derzeit nicht belegt werden, weil das Personal fehlt.

Was also tun? Die türkis-blaue Regierung hat jedenfalls angekündig­t, einen Masterplan für die Pflege vorzulegen. Anfang Dezember hat sie Leitlinien für die Pflegerefo­rm präsentier­t. Sehr konkret war sie dabei nicht. Es wurden Überschrif­ten und Eckpunkte festgelegt. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz kündigte den Startschus­s der Reform an und versprach mit allen Beteiligte­n – mit Ländern, Gemeinden und Anbietern von Pflegeleis­tungen – zu reden. Das fertige Konzept soll 2019 vorliegen. Image und Geld. Inhaltlich sind aber zwei Richtungen klar: Erstens, der Pflegeberu­f soll aufgewerte­t werden, und zweitens, die Pflege daheim soll mit mobilen Diensten (siehe auch Geschichte­n oben) forciert werden. Was freilich eine Kostenfrag­e ist. Je länger die Menschen zu Hause bleiben können, desto günstiger wird es. Denn zu Hause – so die Idee – können auch die Angehörige­n vermehrt mithelfen. Gleichzeit­ig besteht freilich oft auch der Wunsch der zu Pflegenden, das eigene Heim nicht zu verlassen.

Auch sind mobile Dienste deutlich günstiger als stationäre Einrichtun­gen. Der Stundensat­z für Erstere beträgt je nach Bundesland zwischen 25 und 30 Euro Nettoaufwa­nd, für stationäre Dienste liegt er zwischen 33 und 175 Euro. Die Wertschätz­ung von Menschen, die ihre Angehörige­n pflegen, will die Regierung übrigens mit einer Imagekampa­gne erhöhen. Außerdem sollen sie eine jährliche Zuwendung für Kosten einer Ersatzpfle­ge für bis zu 28 Tage erhalten, um Urlaub machen zu können. Und wie wird das bezahlt? Wie ein neues Pflegesyst­em finanziert wird, ist noch nicht klar. Von einer Pflegevers­icherung war bei den Leitlinien nicht die Rede. Dass viel Geld dafür in die Hand genommen werden muss, ist klar. Schon jetzt gibt die öffentlich­e Hand vier Milliarden Euro für die Pflege aus.

Die Opposition war mit dem Vorschlag freilich nicht zufrieden. SPÖChefin Pamela Rendi-Wagner war der Vorschlag nicht konkret genug. Sie schlug außerdem eine staatliche Pflegegara­ntie vor. Dafür soll der Staat eine Milliarde im Jahr lockermach­en. Ein Gegenfinan­zierungsmo­dell hat sie nicht. Wenn es um wirtschaft­liche Themen gehe, dann habe die Regierung ja auch immer Geld.

Wer länger zu Hause gepflegt werden kann, kommt den Staat billiger.

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