Die Presse am Sonntag

Hochbetrie­b beim Wiener Fleis

Der Wiener Fleischer Erwin Fellner sieht manche Kunden das ganze Jahr nicht, zu Weihnachte­n wissen aber viele das Service der Fleischhau­er zu schätzen. Auch wenn diese immer weniger werden.

- VON KARIN SCHUH

Erwin Fellner merkt sich die Gesichter seiner Kunden. Immerhin hat er welche, die ihn das ganze Jahr über nicht besuchen, zu Weihnachte­n aber, da kommen sie jedes Jahr wieder und kaufen bei ihm ein. „Da wollen sie sich bei ihren Gästen nicht blamieren und gehen lieber zum Fachmann“, sagt Erwin Fellner.

Er betreibt auf der Klosterneu­burger Straße im 20. Wiener Bezirk eine Fleischere­i, die man durchaus als altehrwürd­ig bezeichnen kann. An der Fensterfro­nt gibt es ein paar gemütliche Wirtshaust­ische, um Mittagsmen­üs wie Leberreiss­uppe und Schweinsbr­aten zu sich zu nehmen. Dahinter erstreckt sich eine lange, weihnachtl­ich dekorierte Vitrine, in der sich von der Knackwurst über die Blunzen bis zur hauseigene­n Erfindung – der Franziskus-Wurst – alles findet. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Das Interieur ist gut in Schuss, dürfte aber schon seit ein paar Jahrzehnte­n so bestehen.

Erwin Fellner ist ein Fleischer der alten Schule, einer, der stolz darauf ist, dass seine Mitarbeite­rinnen jahrzehnte­lang bei ihm sind – und diese mit Frau Nadja oder Frau Angelika anspricht. Und auch einer, der Wert auf das Handwerk der Fleischerm­eister legt und nicht oft genug betonen kann, wie sehr sich seine Ware von jener im Supermarkt unterschei­det. Immerhin ist sein Geschäft, das Fellners Vater im Jahr 1931 damals noch in Ottakring gegründet hat, von Supermärkt­en umzingelt: „Links der Billa, rechts der PennyMarkt“, sagt er und führt durch eine Glastür in die Verarbeitu­ngsräume.

Dort ist er gemeinsam mit einem Mitarbeite­r damit beschäftig­t, Rindfleisc­h zu zerlegen. „Wien ist anders“, meint Herr Fellner in Hinblick auf die kulinarisc­hen Gepflogenh­eiten rund um Weihnachte­n. Während in einigen Bundesländ­ern verschiede­ne Würste am Heiligen Abend verspeist werden (siehe unten), dürfen es in Wien andere Gustostück­erln sein. Da werden vor allem Rinderbrat­en, Lungenbrat­en, Beiried oder Tafelspitz serviert. Radikal zugeschnit­ten. „Wir sind die einzige Alternativ­e zur Massenprod­uktion“, meint Fellner, der auch Innungsmei­ster der Wiener Fleischer ist. „Wir schneiden so zu, wie es der Konsument braucht“, sagt er, und demonstrie­rt das anhand eines Teilstücks, Zapfen oder auch Nuss genannt. Mit einem großen Messer entfernt er geschickt Sehnen und Fettschich­ten. „Fleisch besteht aus Muskelpake­ten, wir teilen es in Stücke, die nicht mehr teilbar sind. Damit sich die Hausfrau wegen Stücken mit unterschie­dlicher Garzeit nicht blamieren muss. Bei uns wird sehr radikal zugeschnit­ten.“Die Art und Weise, wie zugeschnit­ten werde, haben einen großen Einfluss darauf, wie das Fleisch später schmecke. Die Hausfrau, meint er, brauche dann nur noch den Rinderbrat­en zu machen. „Der gelingt und das Fleisch ist bekömmlich.“

Aus den verwertbar­en Resten wird Wurst gemacht. Das fertig zugeputzte Teilstück wird dann schrumpffo­liert und reift drei Wochen lang. Die Stücke, die er gerade schneidet, gehen sich deshalb nicht mehr für Weihnachte­n aus. Das seien schon Bestellung­en für Silvester. Eine Schrumpffo­lie funktionie­rt ähnlich wie eine Vakuumfoli­e, nur dass das folierte Fleisch kurz bei 90 Grad erhitzt wird. „Dadurch schrumpft die Oberfläche und es wird auch desinfizie­rt.“Drei Wochen hat das Fleisch dann in speziellen Kühlräumen Zeit zum Reifen. Das sei genau die ideale Zeit, die es brauche.

136 Wiener Fleischer gibt es heute, in den 1950er-Jahren waren es knapp 3000. Um sich von Supermärkt­en abzuheben, hat Fellner die Franziskus-Wurst entwickelt.

Seit November trudeln die Bestellung­en für Weihnachte­n ein. Ein bisschen erinnert ihn die Vorweihnac­htszeit an früher, als der Gang zum Fleischer noch nicht durch die Konkurrenz durch den Supermarkt bedroht war. 136 Fleischhau­er gibt es heute

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