Chinas Plan baut auf Daten, Daten, Daten
China strebt bei künstlicher Intelligenz an, Weltspitze zu werden. Um das zu erreichen, werden von Staat und Wirtschaft hemmungslos Daten gesammelt und verschränkt.
Dong Mingzhu ist in der ostchinesischen Metropole Ningbo eine bekannte Persönlichkeit. Die 64-jährige Unternehmerin leitet einen Klimaanlagenkonzern. Sie war schon mehrfach Delegierte des Nationalen Volkskongresses. Sie besetzt hohe Posten im gesamtchinesischen Frauenverband und sitzt in zahlreichen Aufsichtsräten. Und sie ist für ihre autoritäre Haltung bekannt. „Chinas eisernste Frau“wird sie auch genannt. Mitarbeiter werden mit den Worten „Wo Schwester Dong geht, wächst kein Gras mehr“zitiert.
So befürwortet sie den Plan der chinesischen Führung, in den nächsten zwei Jahren die Zahl der Überwachungskameras von derzeit 170 Millionen auf über 400 Millionen zu erhöhen. Sämtliche Straßenzüge, große Gebäude, ja selbst die öffentlichen Toiletten sollen mit Kameras bewacht werden, viele mit Gesichtserkennungssoftware ausgestattet. Mit wenigen Klicks kann man dann selbst auf unscharfen Bildern und in Menschenmengen Personen identifizieren, inklusive Alter und Bewegungsprofil. Kein Mensch bleibt unerkannt. Es sind Beispiele aus China wie diese, die derzeit viele Menschen im Rest der Welt erschaudern lassen. Die einen fürchten eine Ära der totalen Überwachung. Die anderen fürchten die chinesische Konkurrenz. KI in der Unterstufe. Denn die Wirtschaftsmacht aus Fernost ist auf dem besten Weg, die Schlüsseltechnik des 21. Jahrhunderts zu dominieren. Chinas mächtiger Staats- und Parteichef höchstpersönlich hat in einer Grundsatzrede künstliche Intelligenz (KI) zu den wichtigsten Pfeilern der Wirtschaftspolitik erklärt. Bis 2020 soll China Weltklasseniveau erreicht haben, ab 2025 dann bei KI an der Spitze stehen.
Wenn die chinesische Führung sich so etwas vornimmt, passiert tatsächlich jede Menge. Fördermilliarden fließen, Provinzen überbieten sich bei der Ansiedlung von KI-Firmen. An den Schulen gibt es ab der Unterstufe Einführungskurse in künstlicher Intelligenz. Das Bildungsministerium hat im Frühjahr ein eigenes Schulbuch zum Thema zur Pflichtlektüre erklärt. Chinas Hochschulen bieten verstärkt Lehrveranstaltungen an und ermutigen Studenten zur Gründung eigener Firmen.
Mit Erfolg: Einer Studie der japanischen Ingenieursfirma Astamuse zufolge, meldet China bereits die weltweit zweitmeisten KI-Patente nach den USA an. Allein im Pekinger Viertel Zhongguancun im Nordosten der Stadt haben sich in den letzten Jahren mehr als 400 KI-Firmen angesiedelt. Einige dieser Firmen werden von der Zentralregierung unmittelbar gepampert, andere sind von sich aus hochprofitabel.
Horizon Robotics ist eine dieser KIFirmen, die nach eigenen Angaben auch finanziell bereits auf eigenen Füßen steht. Das Unternehmen entwickelt KI-Chips, die in rasanter Geschwindigkeit Informationen verarbeiten können. Sie simulieren neuronale Netze, also das derzeit wichtigste Instrument für das Tiefenlernen. Ein Anwendungsbeispiel im Auto: Sie erkennen an einer Straßenszene eine Frau mit Kinderwagen und warnen den Zentralrechner in solchen Fällen mit Priorität vor Kollisionsgefahr. Die neuronalen Netze sind imstande selbstständig zu lernen. Dazu gehört es, Sprachen und Texte zu interpretieren, das Nutzerverhalten im Internet zu analysieren, die Wahrscheinlichkeit eines Kreditkartenbetrugs einzuschätzen. Neben diesem neuronalen Netz braucht Deep Learning allerdings noch etwas Zweites, um die KI zu erwecken: gewaltige Mengen an Daten. Wettrüsten. In keinem Land der Welt ist es möglich, so ungehemmt Daten der Nutzer zu sammeln wie in China. Am Beispiel Alibaba: Der chinesische Gigant im Onlinehandel, geht seit einiger Zeit zunehmend offline, um mithilfe von Gesichtserkennungskameras das Konsumverhalten der Kunden auszuspähen. Artikel, die sich die Kunden anschauen, werden aufgezeichnet und als Daten gespeichert. Online werden so noch treffsichere Kaufempfehlungen vermittelt. Datenschutzsorgen gibt es in der Volksrepublik kaum. Der Staat sorgt dafür, dass kein kritisches Bewusstsein in der Bevölkerung entsteht.
Denn die Regierung ist derzeit dabei, ein Social-Scoring-System einzuführen, das das Verhalten jedes einzelnen Bürgers sowohl im Netz als auch im realen Leben unter Beobachtung stellen und entsprechend auswerten soll. Wer sich vorbildlich verhält, dem winken Prämien. Wer aus Sicht der kommunistischen Führung dem Bild eines Musterbürgers nicht entspricht, muss mit Strafen rechnen. In die SocialScoring-Berechnungen werden Daten aus den Netzunternehmen wie die von Alibaba und Tencent eingespeist.
Diese Datenfülle ist von unschätzbarem Wert, nicht nur für den Staat und den Onlinehandel, sondern für zahlreiche Branchen. In der Fahrzeugtechnik etwa nützen die Chips von Horizon Robotics etwa dem selbstfahrenden Auto. Vor allem das Militär ist an dieser Tech- nik interessiert. Die chinesische Volksbefreiungsarmee ist dabei, Killerroboter mit Schwarmintelligenz produzieren zu lassen. Wie Vogel-, Fisch-, Ameisenoder Bienenschwärme umgehen sie Hindernisse, koordinieren sich untereinander beim Angriff auf ein Ziel und ordnen sich neu, wenn ein Mitglied ausfällt. Idealerweise verteilen sie als dezentraler Computer die Rechenleistung auf alle Schwarmmitglieder, sind also in der Gruppe intelligenter als allein. Mithilfe von KI will China diese Methode auch militärisch nutzen.
Die Unternehmensberatung PriceWaterhouseCoopers spricht treffend vom „KI-Rüstungswettlauf“zwischen China und den USA. Wichtiger als der Handelskrieg sei der laufende Krieg um „Forschung, Investitionen und fähige Köpfe“. „Die großen Nationen werden sich in der KI messen“, so die Analyse.
Vieles der gepriesenen KI-Technik ist freilich noch Zukunftsmusik – auch in China. Und dass die Technik offenbar noch Macken hat, bekam unlängst ausgerechnet die patriotische Unternehmerin Dong Mingzhu zu spüren.
Das Kamerasystem der Polizei Ningbo, in dem die Gesichtserkennungssoftware installiert ist, soll eigentlich Fußgänger, die bei Rot über die Ampel gehen, identifizieren. Foto und Name werden auf Bildschirmen gezeigt, um Verkehrssünder an den Pranger zu stellen. Als jedoch ein Bus ordnungsgemäß eine Kreuzung überquerte, prangte plötzlich das Bild von Frau Dong auf dem Bildschirm. Dabei war sie gar nicht vor Ort. Der Grund: Auf dem Bus war eine Werbung mit dem Foto der 64-Jährigen angebracht – was die Kamera dann missverstand. „Ein Eigentor“, schrieb die Polizeibehörde in einer Mitteilung – und musste sich bei der Unternehmerin entschuldigen.
Der Staat sorgt dafür, dass kein kritisches Bewusstsein in der Bevölkerung entsteht.