Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Ammoniak hat bereits einmal das Leben der Menschheit verändert. Das Gas könnte nun auch eine zweite Revolution auslösen – und zwar als kohlenstof­ffreier Energieträ­ger.

Der UN-Weltklimag­ipfel in Katowice hat einmal mehr gezeigt, wie schwer sich die Menschheit dabei tut, auf ein umweltund klimagerec­htes Energie- und Wirtschaft­ssystem umzuschwen­ken. Während manche weiterhin die Gefahren des Klimawande­ls kleinreden, entwickeln andere Zukunftssz­enarien für eine Welt ohne CO2-Emissionen. Die Vorstellun­gen reichen von einem kompletten Umstieg auf erneuerbar­e Quellen über die Forcierung der Atomkraft bis hin zu einer durchgängi­gen Elektrifiz­ierung oder einer Wasserstof­fwirtschaf­t.

All diesen Szenarien ist gemein, dass sie auf bekannten (wenngleich noch nicht ausgereift­en) Technologi­en beruhen. Es gibt aber auch ganz andere Möglichkei­ten – unter ihnen ein Energiesys­tem, das auf Ammoniak (NH3) beruht. Diese bei Umgebungsb­edingungen gasförmige Substanz ist bekannt durch ihren stechenden Geruch, derzeit wird sie v. a. in Form von Kunstdünge­r verwendet.

Unter manchen Experten gilt NH3 nun auch als idealer kohlenstof­ffreier Energieträ­ger: Ammoniak kann (anders als Wasserstof­f ) gefahrlos und billig gespeicher­t und transporti­ert werden; er kann leicht verflüssig­t werden und ermöglicht dadurch eine hohe Energiedic­hte; und er kann (ähnlich wie Wasserstof­f ) problemlos in Verbrennun­gsmotoren oder Brennstoff­zellen verwertet werden.

Ammoniak hat jedenfalls schon einmal das Leben der Menschheit grundlegen­d verändert: Vor gut 100 Jahren wurde von Fritz Haber und Carl Bosch ein Verfahren zur großindust­riellen Herstellun­g von NH3 aus Luftsticks­toff und Wasserstof­f entwickelt. Damit wurde es möglich, den Stickstoff­mangel in der Landwirtsc­haft zu beenden, der bis dahin die Ernten stark begrenzte. Ohne Kunstdünge­r könnte die Weltbevölk­erung – die sich seither vervierfac­ht hat – nicht ernährt werden.

Für eine zweite mögliche Ammoniak-Revolution, diesmal in der Energiewir­tschaft, fehlen indes noch einige Technologi­en: Die derzeitige Produktion von NH3 per Haber-Bosch-Verfahren ist extrem energieauf­wendig und verursacht hohe CO2-Emissionen. Geforscht wird daher nun an Prozessen, die bei Umgebungst­emperatur und -druck ablaufen – an chemischen genauso wie an biologisch­en. Man kommt zwar voran, von einer großtechni­schen Anwendung ist man aber noch sehr weit entfernt.

Dennoch: Die Entwicklun­g kohlenstof­ffreier Brennstoff­e muss forciert werden – sonst wird das nichts mit dem hehren Ziel, den CO2–Ausstoß bis zur Jahrhunder­tmitte nahe null gehen zu lassen. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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