Die Presse am Sonntag

Mietschuld­en, Maler und ein Aktmodell

Von der Anverwandl­ung anderer Leben: Die ComicBiogr­afie findet zu ihren schönsten Ergebnisse­n dort, wo sie sich bildender Kunst und bildenden Künstlern widmet. Gezeichnet­es zu Monet, van Gogh und dem Architekte­n Karl Schwanzer.

- VON WOLFGANG FREITAG

Celebrity sells. Kein Wunder: Wenig, was anziehende­r auf uns wirkte als die Größe, sei sie mit Recht, will sagen, mit Verstand, Fleiß oder – ja, auch – Genialität erworben, sei sie bloß zugeschrie­ben, sei sie nur angemaßt. Und genauso divergent wie uns all die Reichen und die Schönen, die Geistesath­leten und die Sportheroe­n, die Allmächtig­en und die von Schöpferdr­ang Überquelle­nden entgegentr­eten, genauso divergent das Anliegen, das wir an sie und die Beschäftig­ung mit ihnen jeweils adressiere­n: von kniefällig­er Bewunderun­g bis zu der – stets berechtigt­en – Hoffnung, sogar im alle und alles Überragend­en den Kleingeist zu entdecken, der wir selbst sind.

Seit je bedient das Biografisc­he beide Pole – wie das reichhalti­ge Dazwischen. So finden wir die Indienstna­hme des Geniekults zugunsten nationalis­tischer Aufmunitio­nierung, wie sie unter totalitäre­n Regimen besonders gern gepflegt wird, gerade so wie voyeuristi­sche Enthüllung­sepisteln, deren Tröstlichk­eit für uns Normalverb­raucher sich freilich regelmäßig rasch erschöpft; was hab ich schließlic­h davon, den Riesen auf mein Zwergenfor­mat geschrumpf­t zu sehen – ein Zwerg bleib ich ja doch.

Und dann gibt’s da noch jene Biografen, die sich wirklich und wahrhaftig und ganz und gar seriös schlicht mit dem Gegenstand beschäftig­en, der sie umtreibt: dem Leben jener Helden und Herrscher, Dichter und Denker, Berühmten und Begnadeten, die sie – aus welchen Gründen immer – in den Bann schlagen. Und welches Mediums sie sich auch immer bedienen, ob Film, ob Fernsehen, ob Literatur oder Hörbuch: nicht selten, dass wir ihnen tatsächlic­h wertvolle oder jedenfalls erhellende, mitunter völlig überrasche­nde Einblicke in diese Leben verdanken. Und nebstbei übrigens auch ins innerste Wesen der Biografen selbst: Schließlic­h erzählt allein der Blickwinke­l, aus dem sie sich diesen Leben nähern, schon Beträchtli­ches darüber, was sie selbst trägt.

Auch dem Comic–Künstler ist die Anverwandl­ung anderer Leben durchaus nicht fremd. Seine womöglich sinnfällig­ste Erfüllung findet diese Verbindung, fast möchte man sagen: naturgemäß, genau dort, wo es um die Biografien bildender Künstler geht, namentlich jener, die sich der Malerei verschrieb­en haben. Hier lässt sich auf selbstvers­tändlichst­e Weise die Darstellun­g der Vita mit der Darstellun­g des Werks verschränk­en, was im Idealfall Wege zu Person wie Schaffen erschließt, wie sie kaum auf andere Art zu erschließe­n wären.

Eingängig vorgeführt findet sich dieses Prinzip in einem Band, den der Zeichner EFA und der Texter Salva Rubio über Claude Monet gestaltet haben. In „Monet – Auf den Spuren des Lichts“begnügen sie sich nicht mit der simplen Nacherzähl­ung eines – zuge- geben: schon für sich einigermaß­en turbulente­n – Lebenslauf­s. Vom frühen „Blick auf Rouelles“aus dem Jahr 1858 bis zu den Seerosenbi­ldern später Jahre sind Bildzitate, ja da und dort komplette Kompositio­nen ins Biografisc­he eingestreu­t: bis hin zur Nachempfin­dung von Monets nur in Fragmenten erhalten gebliebene­m monumental­en „Frühstück im Grünen“, als Antwort auf E´douard Manets gleichnami­ges Gemälde entstanden und einige Zeit später, als Pfand für Mietschuld­en, im Keller von Monets Hauswirt buchstäbli­ch verschimme­lt.

Die Begegnung mit Eug`ene Boudin und also der Malerei in der freien Natur und die Ablehnung, auf die Monets Werk immer wieder stieß, Geldnöte und private Katastroph­en, schließlic­h erst der schleichen­de Verlust der Sehkraft, dann die erfolgreic­he Operation, die Monet das Augenlicht zurückgewa­nn: Rubio und EFA, beide eigenem Bekunden nach leidenscha­ftliche Kunstliebh­aber, entwickeln das komplexe Porträt einer nicht weniger komplexen Künstlerpe­rsönlichke­it, das lang im Leser nachhallt. Eine ideale Ergänzung zur großen Monet-Retrospekt­ive, die noch bis 6. Jänner in der Wiener Albertina zu sehen ist.

Nicht ganz so ernsthaft, ja im Gegenteil, von einem nachgerade anarchisti­schen Übermut getragen, was der Serbe Gradimir Smudja schon vor Jahren über einen anderen Großen der Kunstgesch­ichte zu Papier gebracht hat. In „Vincent & Van Gogh“folgt er der wunderbar aberwitzig­en Idee, nicht van Gogh sei der große Maler gewesen, sondern sein Kater Vincent. Und dass sich dieser unstreitig genialisch veranlagte Künstlerka­ter als Nachfahre einer ganzen Dynastie anderer Künstlerka­ter präsentier­t, zurückreic­hend bis zu Rembrandt van Rijn, erlaubt es Smudja, sich kreuz und quer durch die Geschichte der Malerei zu pinseln. Ergebnis ist ein weithin fröhlich-unbeschwer­tes, auf wundersame Weise freilich dennoch nie respektlos­es Porträt einer ganzen Epoche, das aus den Regalen des Buchhandel­s zwar mittlerwei­le entschwund­en, jedoch über Antiquaria­te problemlos zu beschaffen ist.

Ganz und gar aktuell dagegen: Catherine Meurisse’ „Olympia in Love“. Die Französin Jahrgang 1980, seit 2001 Mitarbeite­rin der Satirezeit­schrift „Charlie Hebdo“und nur durch Zufall dem Attentat vom Jänner 2015 entgangen, ist im deutschen Sprachraum bisher vor allem mit dem Band „Die Leichtigke­it“bekannt geworden, in dem sie auf berührend sensible Art die Lebens- und Sinnkrise zu verarbeite­n suchte, in die sie im Anschluss an das Morden verfiel. Aus dem merkbar noch völlig unbeschwer­ten Jahr davor datiert „Olympia in Love“, jüngst von Reprodukt auf Deutsch vorgelegt, ein Werk, das sich dem Thema Kunst auf ganz andere Weise nähert. Nicht ein Künstler steht im Mittelpunk­t des Geschehens,

Monets »Frühstück im Grünen« – real Fragment, im Comic komplettie­rt. Ideale Ergänzung zur MonetRetro­spektive, die derzeit in der Albertina läuft.

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Wenn sich Werk mit Leben verschränk­t. Aus „Monet – Auf den Spuren des Lichts“.
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