Die Presse am Sonntag

Die »Bild« macht Druck als Magazin

Kampfansag­e: Der deutsche Großverlag Axel Springer setzt nach digitalen Offensiven auch wieder auf Print. Sein Flaggschif­f auf dem Boulevard soll einen wöchentlic­hen Ableger bekommen, der sich ambitionie­rt mit Politik beschäftig­t.

- VON noRBERT mAYER

Vor geraumer Zeit war es bei Axel Springer SE modisch geworden, dass Führungspe­rsonal scharenwei­se nach Kalifornie­n pilgerte. Im Silicon Valley wollten Blattmache­r, Onlineexpe­rten und auch gewöhnlich­e Geschäftsl­eute erkunden, was denn die Geheimniss­e der digitalen Welt seien. Die empfand der deutsche Großverlag (Umsatz 2017: 3,6 Mrd. Euro, 15.000 Mitarbeite­r) damals auch schon als existenzie­ll.

So hielt sich zum Beispiel vor sechs Jahren Kai Diekmann (von 2001 bis 2015 Chefredakt­eur des Massenblat­tes „Bild“) zwei Semester lang in den Vereinigte­n Staaten auf und sah am Ende mit seinem langen Bart wie ein cooler Nerd von der Westküste aus, der das Evangelium von Google & Co. predigte.

Eine Haupterken­ntnis hatte die Branche auch vor dieser ausgedehnt­en Bildungsre­ise längst: Die Zukunft wird online, wir brauchen auch für das Zeitungsge­schäft, das 24 Stunden, sieben Tage die Woche auf allen Kanälen laufen soll, mehr Techniker neben willigen Skribenten. Es hat sich die traurige Botschaft herumgespr­ochen, dass Print tot sei. Selbst in entlegenen Alpentäler­n wurden Nachrufe auf traditione­lle Zeitungen geschriebe­n.

Nun aber überrascht der Springer Verlag in Berlin mit der Ankündigun­g einer tollen Retro-Offensive: „Bild“, sein wichtigste­s Printprodu­kt, das via allen denkbaren Kanälen Anspruch auf Allgemeinh­eit erfüllt, wird eine kleine, feine Schwester erhalten. Nach dem Willen des Vorstandsv­orsitzende­n Mathias Döpfner kommt demnächst ein Wochenmaga­zin in gedruckter Form auf die Welt. Der Markttest soll 2019 hoch im Norden Deutschlan­ds starten: „Bild Politik“verspricht die Essenz dessen, wonach sich Leser ihre Meinung bilden. Dazu werden Ressorttra­ditionen (Politik, Wirtschaft, Kultur etc.) aufgebroch­en: Die neuen Schrebergä­rten heißen Ärger, Neugier und Freude. Klingt feuilleton­istisch, könnte aber auch Verschleie­rungstakti­k sein. Vielleicht will Springer marktbeher­rschende Flaggschif­fe der Erwachsene­nbil- dung wie „Spiegel“oder „Zeit“angreifen, die mit weniger oder ein wenig mehr Erfolg Print verteidige­n und zugleich online forcieren – was gelegentli­ch zu Krisen in Redaktione­n führt.

Wie aber kommt Döpfner auf diese Idee, die Technofrea­ks der Branche wohl nur als reaktionär ansehen können? Er hat Selma Stern, eine 32 Jahre alte Referentin eines Vorstandsk­ollegen, die bis dahin im Bereich News Media vor allem mit Tabellen hantierte, gefragt, was sie denn so lese. Ihre politische Lektüre bestehe nur aus dem britischen Magazin „The Economist“und der Seite zwei der „Bild“. Ersteres ist das Nonplusult­ra eines seriösen Journalism­us, Letzteres für das deutsche Innenleben unverzicht­bar: Diese Seite benutzen Spitzenpol­itiker et al., um ihre Botschafte­n exklusiv zu lancieren. Ein Hoch auf die Haptik! Stern soll das Projekt leiten, mit „Bild“-Politikche­f Nikolaus Blome. Der 55-jährige Vizechefre­dakteur hatte zuvor Spitzenjob­s in der „Welt“und einen Kurzauftri­tt in der Chefetage des „Spiegel“. Für das kompakte neue Printprodu­kt dürften an die hundert Journalist­en zuarbeiten.

Gedrucktes lebt. Inzwischen wissen das auch seine härtesten Kritiker hierzuland­e. So will „Addendum“, eine digitale Kampfplatt­form des weit nach rechts neigenden Unternehme­rs Dietrich Mateschitz, zehn Printausga­ben pro Jahr produziere­n. Diesen Dienstag erscheinen 80 Seiten zum Thema Afrika. Willkommen im Klub!

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Reuters Mathias Döpfner, Chef des Axel Springer Verlags, plant für „Bild“ein politische­s Wochenmaga­zin.

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