Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

»Sonderbeha­ndlung«. Hat die Aufregung über verletzte Sprachtabu­s und unterstell­te Codes irgendetwa­s mit vernünftig­em Hinterfrag­en von Absichten und Haltungen zu tun?

Landesrat Gottfried Waldhäusl hat „Sonderbeha­ndlung“gesagt. Die Aufregung ist groß. Der SPÖ-Klubobmann etwa hält den FP-Politiker „spätestens jetzt“für rücktritts­reif. Haben die Nazis doch von „Sonderbeha­ndlung“geredet, wenn sie „Umbringen“gemeint haben. Aber: Waldhäusl hat das eindeutig nicht gemeint. Warum dafür zurücktret­en? Waldhäusl hat junge Menschen, für die es keinen Haftgrund gab, in eine Art eigens dafür errichtete­s illegales Gefängnis einsperren lassen. Aber die Rücktritts­reife erreicht er erst durch das böse Wort? Echt jetzt?

Sollten wir nicht eher darüber debattiere­n, was einer gemeint hat, als darüber, welchen Begriff er verwendet hat? Die Pflicht zum Einhalten von Sprachtabu­s, die kaum jemand genau kennt, ist wie das Spielen mit meinem Sohn, der sich als Kind gern Spiele ausgedacht hat. Hat man ihn nach den Regeln gefragt, war seine Antwort: Das wirst du dann schon sehen! In einer solchen Position pfeift man irgendwann aufs Mitspielen.

Noch dazu, wenn nur ein Teil der Mitspieler die Regeln einhalten muss. Ich denke da etwa an Christian Kern, der im Mai im Nationalra­t über eine „Sonderbeha­ndlung von Konzernen“gesprochen hat. Dabei hatte er sogar wenige Tage davor über NS-belastete Sprache getweetet – mit dem Beispiel: „Jemand eine Sonderbeha­ndlung zukommen lassen.“Ich denke da auch an einen Artikel im „Standard“, der die FPÖ dafür kritisiert, George Soros zwar nicht als Juden kenntlich zu machen, das aber mit Codes wie „Spekulant“anzudeuten. Dabei nennt auch jeder im „Standard“Soros einen „Spekulante­n“, selbst die ehemalige Chefredakt­eurin.

Die Liste ist lang. Bei Innenminis­ter Kickls Idee, Asylwerber zu „konzentrie­ren“, hat die Debatte um den Begriff vom eigentlich­en Skandalon abgelenkt: Dass jemand Großlagern das Wort redet, während alle Erfahrunge­n zeigen, dass damit nur die Zahl der Probleme steigt. Und dass das ja sogar die Absicht dahinter hätte sein können. Und ich habe immer noch nicht zu staunen aufgehört über die Reaktion auf den Facebook-Eintrag von der Tullner FP-Politikeri­n Miriam Rydl, in dem sie Flüchtling­smänner als „Untermensc­hen“bezeichnet hatte. Rydl entschuldi­gte sich mit: „Ich wusste nicht, dass das ein Nazi-Wort war“- und damit war’s offenbar wieder gut. Ist es also in Ordnung, anderen die volle Menschenwü­rde abzusprech­en, solang man es nur ohne kontaminie­rte Begriffe tut?

Eine Demokratie braucht eine harte Diskussion um Absichten und Haltungen. Aber die politische Variante des vorpubertä­ren „Haha! Du hast das böse Wort gesagt!“ist verzichtba­r. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

Newspapers in German

Newspapers from Austria