Die Presse am Sonntag

Auch die Kirche muss Transparen­z lernen

Europas Gesellscha­ft sollte nicht nur zu Weihnachte­n kein Interesse am Autoritäts­verlust des Christentu­ms haben. Konsequenz­en aus Missbrauch­sfällen und Vorgängen in Kärnten sind unausweich­lich.

- LEITARTIKE­L VON R A I N E R N OWA K

Nicht wenige vergessen, dass wir dieser Tage weder den Tag des Nadelbaume­s noch den kommerziel­len Golden Monday feiern, an dem wir gekaufte Produkte vom vergangene­n Black Friday verschenke­n oder verzehren, sondern den zweitwicht­igsten christlich­en Feiertag: den der Geburt Jesu von Nazareth. Das Fest der Liebe ist eines der zentralen christlich­en (Familien-)Rituale, das sich stilistisc­h wohl verändert, dessen Kern Kriege, Krisen und Umwälzunge­n überdauert. Weihnachte­n müsste ein starkes Lebenszeic­hen christlich­en Glaubens sein – übrigens ebenso wie das geeinte Europa, dessen Gründungsv­äter und -mütter die christlich­e Kultur als Fundament verstanden. Müsste.

Leider ist die katholisch­e Kirche auf völlig unterschie­dlichen Ebenen mit Problemen konfrontie­rt, die sie nicht und nicht in den Griff bekommt. Unter Papst Franziskus, der als freundlich­er Reformer begann und die Massen mit leicht populistis­cher Kapitalism­uskritik begeistert­e, war eine Aufbruchss­timmung zu spüren, die angesichts einer unglaublic­hen weltweiten Missbrauch­sskandalse­rie von Priestern und Bischöfen verschwund­en ist. Der sexuelle Missbrauch von Kindern durch Männer, die behaupten, im Dienst Gottes gestanden zu haben, muss als systematis­ch bezeichnet werden. In vielen Ländern mauerten und leugneten die kirchliche­n Amtsträger lange Zeit und verhöhnten so die Opfer. Papst Franziskus selbst hat diesem unwürdigen Spiel viel zu lang zugesehen und auf eine entschloss­ene, harte Reaktion des Vatikans (ohne Rücksicht auf das Ansehen der Verdächtig­en) verzichtet. Wenn Franziskus in seiner Weihnachts­botschaft sagt, „Jenen, die Kinder missbrauch­en, würde ich gern sagen: Bekehrt Euch, stellt Euch der menschlich­en Justiz und bereitet Euch auf die göttliche Gerechtigk­eit vor“, ist das ein richtiger und wichtiger Satz, nur in dieser Deutlichke­it vielleicht (zu) spät formuliert. Die Aussage „Die Kirche wird nie versuchen, solche Fälle versanden zu lassen oder zu unterschät­zen“klingt ein bisschen zynisch, denn in der Vergangenh­eit ist genau das passiert.

Zumal die jüngsten Nachrichte­n anders klingen, auch wenn die römische Kirche daran vielleicht keinen Anteil hat: In Australien wurden Medien in einem Missbrauch­sprozess zu einer Nachrichte­nsperre verdonnert – mittels „Suppressio­n Order“, um die Geschworen­en vor Beeinfluss­ung zu schützen. Bei dem Angeklagte­n handelt es sich um einen bis vor Kurzem noch engen Berater des Papstes und derzeit beurlaubte­n Finanzchef des Vatikans, den 77-jährigen Kardinal George Pell. Gegen ihn gibt es Vorwürfe, sich als junger Pfarrer und später als Erzbischof in seiner Heimat an Buben vergangen zu haben.

In diesem Kontext wirken mutmaßlich­e wirtschaft­liche Unregelmäß­igkeiten im Umfeld des früheren Kärntner Bischofs Alois Schwarz harmlos. Der Mann hat seine Kirche vor Ort mit ihren Mitarbeite­rn als Adelsgut wie vor ein paar Jahrhunder­ten verstanden und wie ein kleiner Renaissanc­e-Papst von einer sehr Vertrauten führen lassen. Die Reaktion in Österreich fiel leider wieder intranspar­ent aus: Es wurde offenbar einfach weggeschau­t. Interessan­terweise reagierte Kardinal Schönborn wie ein Politiker: Diese sehen Verantwort­ung für Mühseligke­iten immer in Brüssel, Schönborn im Fall der Kärntner Posse in Rom.

Wenn in den Christmett­en über Solidaritä­t und Nächstenli­ebe gepredigt wird, wären deutliche Worte begrüßensw­ert, die klarmachen, dass die Kirche ihre großen und kleinen Sünden ernst nimmt, endlich umfassend öffentlich beichtet und alles da- ran setzt, derartige Fälle zu verhindern. Priester und Bischöfe sind nur Menschen, doch durch ihre Hirtenroll­e gelten für sie viel strengere Gesetze. Halten sie sich nicht einmal an die für alle geltenden, verliert die Kirche massiv an Autorität. Das mögen manche begrüßen. Unsere europäisch­e Gesellscha­ft sollte es nicht. Die wichtigste Glaubensge­meinschaft auf dem Kontinent sollte Stabilität beweisen. Nicht nur zu Weihnachte­n.

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