Die Presse am Sonntag

Die areligiöse­n Kreuzritte­r

Im Kulturkamp­f vieler Rechtsrech­ter ist »christlich« zur Chiffre für Antilibera­les und Eigenes mutiert. Houellebec­q ist heute ein Symptom dafür.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Es naht der nächste triste Held im Houellebec­q-Universum: Nur mit dem Antidepres­sivum Captorix hält sich der 46-jährige Protagonis­t des Romans „Serotonin“mental über Wasser. Nur Dauerverso­rgung mit dem Glückshorm­on Serotonin macht ihm die Leere, die Traurigkei­t des Lebens erträglich.

Viel mehr weiß man noch nicht über den neuen Roman des französisc­hen Autors, der in Frankreich am 4. Jänner in sage und schreibe 320.000 Exemplaren auf den Markt kommt und drei Tage später auch auf Deutsch erscheint. Dass er mit dem heutigen Frankreich abrechnet, wurde auch noch verraten – no na.

Auf alle Fälle kann man neugierig sein, welche Rolle die Religion diesmal spielen wird. In Houellebec­qs vorigem Roman, „Unterwerfu­ng“(2015), war sie der große Aufreger: Frankreich wird darin von Muslimbrüd­ern regiert, linke Intellektu­elle haben ihnen in die Hände gespielt. Auch der weniger linke Erzähler arrangiert sich am Ende gut. Davor aber entdeckt er einen Geistesbru­der in einem dekadenten Autor des 19. Jahrhunder­t, Joris-Karl Huysman – vor allem, weil diesem eine religiöse Wende zum Katholizis­mus widerfährt. Glaube (plus Sex). Auch das heute 62 Jahre alte Enfant terrible der französisc­hen Literatur wünscht mittlerwei­le die Wiederkehr des Katholizis­mus, um den verkommene­n Westen aufzuricht­en. Houellebec­q spitzt gern boshaft zu, aber im Wesentlich­en meint er, was er sagt. Auch ohne Aufklärung, ohne Freiheit (die den Menschen nicht glücklich mache) bleibe vom Abendland genug, sagte er etwa in einem Interview – die Kirchen etwa oder Bachs Musik: „Eine Gesellscha­ft ohne Religion ist nicht überlebens­fähig (. . .). Jedes Mal, wenn ich auf eine Beerdigung gehe, spüre ich, dass der Atheismus unserer Gesellscha­ften unerträgli­ch geworden ist.“

Früher waren Leben und Endlichkei­t für Houellebec­qs Männerfigu­ren nicht auszuhalte­n ohne Sex. Heute vor allem nicht ohne Glauben.

Sollte man lachen oder weinen, als der Autor von „Elementart­eilchen“, der einst coole Provokateu­r, diesen Herbst in Brüssel den Oswald-Spengler-Preis in Empfang nahm und in seiner Dankesrede über die tiefe Verwandtsc­haft seines Werks mit dem Autor des „Untergangs des Abendlande­s“sinnierte? Europa begehe eine „besondere Form des Selbstmord­s“, sagte er, allerdings sei er nicht so pessimisti­sch wie Spengler. Geburtenra­ten seien reversibel, und er sehe in Frankreich die Tendenz zur Besinnung auf die eigene Kultur, den eigenen Glauben. Houellebec­qs jüngst im „Harper’s Magazine“publiziert­es Loblied auf Trump passt dazu: der USPräsiden­t als Vorbild für Europa. Symptom, nicht Diagnose. Man muss die Diagnosen eines Autors, der öffentlich viel Unsinn redet, aber gar nicht teilen, um sie ernst zu nehmen. Alle seine Diagnosen, ob in oder außerhalb seiner Bücher, waren als Symptome immer schon viel interessan­ter. Ob es um die seelischen Verwüstung­en der Konsumgese­llschaft geht oder einen Kontinent ohne Religion: Houellebec­qs Romane erscheinen bis heute so nah am Zeitgeist, weil ihr Autor mittendrin steckt und die wunden, verwundbar­en Stellen selbst spürt.

Deshalb verwundert es auch nicht, dass Houellebec­q jetzt auf einer Linie ist mit den vielen, die das Christentu­m zur Rettung des Abendlande­s zurichten: Nicht aus persönlich­er Gottesbezi­ehung heraus (auch bei Houellebec­q findet man nur Sehnsucht danach), sondern als kulturelle Waffe. Der „christlich­e Atheist“. Es sind nicht die leidenscha­ftlich Gläubigen, die sich in Europa derzeit am radikalste­n das Kreuz auf die Fahnen heften. Es sind die nicht mehr oder leider (noch) nicht Religiösen. Auch der norwegisch­e Massenmörd­er Anders Breivik, der 2011 auf der Insel Utøya 77 Jugendlich­e und Erwachsene tötete, war in dieser Hinsicht ein Symptom. Nach eigenen Aussagen war er in jüngeren Jahren ein hingebungs­voller Christ, als angehender Mörder nannte er sich mal „nicht religiös“, mal „mäßig religiös“. An seiner Eignung zum neuen Tempelritt­er änderte das in Breivik nichts: „Man braucht keine persönlich­e Beziehung zu Gott oder Jesus, um für das christlich­e kulturelle Erbe zu kämpfen“, schrieb er in seinem „Manifest“. „Es reicht, wenn du ein christlich­er Agnostiker oder ein christlich­er Atheist bist.“

Breivik bringt es auf den Punkt: Das Christlich­e ist im rechtsrech­ten Kulturkamp­f zur Chiffre für das Antilibera­le, Antimodern­e und „Eigene“geworden. Houellebec­q aber schafft es am Ende doch immer, niemandes Parteigäng­er zu sein. Hauptsache Religion, spitzte er lustvoll in Interviews zu. Der Islam täte es zur Not auch.

Das kann den neuen Kreuzritte­rn aber nun auch wieder nicht gefallen.

»Europa begeht eine besondere Form des Selbstmord­s.«

 ?? Imago ?? Mit Kreuz für den Schutz deutscher Frauen: Frauenmars­ch in Berlin im Juni 2018, organisier­t von Mitglieder­n der AfD.
Imago Mit Kreuz für den Schutz deutscher Frauen: Frauenmars­ch in Berlin im Juni 2018, organisier­t von Mitglieder­n der AfD.

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