Die Presse am Sonntag

Gott und die Welt: Was Trump, Putin und den Papst eint

Das christlich­e Weltbild geriet mit rechtspopu­listischen Führern und ihrer nationalis­tischen Agenda im Westen und im Süden ins Wanken. Im Osten entdeckt der Kreml den Glauben: Die Orthodoxie erlebt eine Renaissanc­e.

- VON THOMAS VIEREGGE UND JUTTA SOMMERBAUE­R

Zum Staatsakt für George H. W. Bush Anfang Dezember versammelt­en sich alle lebenden US-Präsidente­n in der National Cathedral, die auf einer Anhöhe in Washington mit Blick auf den Potomac River liegt, um dem 41. Präsidente­n Reverenz zu erweisen. Als Letzte traten protokollg­emäß Donald Trump und seine Frau Melania in die Kathedrale und nahmen in der ersten Reihe Platz, neben den Obamas, Clintons und Carters, und vis-a-`vis vom Bush-Clan – allesamt regelmäßig­e Kirchgänge­r.

Während der mit berührende­n Reden gespickten Trauerfeie­r wirkten der New Yorker Tycoon und seine slowenisch­e Frau wie Fremdkörpe­r, als wären sie nicht vertraut mit der Liturgie und daher fehl am Platz – und vielleicht auch nur unangenehm berührt angesichts der zahlreiche­n Trump-Kritiker, die das Kirchensch­iff füllten.

Gott ist eine feste, viel beschworen­e Größe, omnipräsen­t in der Gesellscha­ft und der Politik der USA. Religiöse Symbolik spielt eine große Rolle im Alltagsleb­en der Amerikaner. „In God we trust“, prangt auf jeder Dollarnote. Umso erstaunlic­her ist das Phänomen Trump: In seinen Twitter-Botschafte­n dreht sich alles um ihn selbst und wenig um Gott, und wenn, dann nur alibihaft. Als gläubiger Christ hat sich Trump nie hervorgeta­n, und die Vita des zweifach geschieden­en Vaters von fünf Kindern ist tatsächlic­h nicht geeignet, dem 72-Jährigen ein gottgefäll­iges Dasein zu attestiere­n – im Gegensatz zu Mike Pence, seinem Vizepräsid­enten, für den Religion an erster Stelle steht, noch vor Vaterland und Partei, wie er einmal erklärt hat. Bei Trump dagegen hat sein Ego Priorität.

Dass er sich als Lügner, Betrüger und Ehebrecher erwiesen hat, dass ihm die New Yorker Justiz kürzlich Schweigege­ldzahlunge­n von rund 280.000 Dollar für zwei Geliebte im Jahr 2006 nachgewies­en hat, dass die Faktenchec­ker der „Washington Post“während seiner Amtszeit mehr als 6000 Falschauss­agen, Verdrehung­en und Lügen Trumps dokumentie­rt und ihn mit Pinocchio-Nasen überhäuft haben – das stört die christlich­e Rechte in den USA nicht sonderlich.

Sie hat sich mit einem Präsidente­n arrangiert, der in einer eminenten Glaubensfr­age lange für eine liberale Position in der Kontrovers­e um Abtreibung eintrat, ehe er im Wahlkampf jäh zum Abtreibung­sgegner mutierte. Noch im Wahlkampf galt der texanische Senator Ted Cruz als Darling der Evangelika­len. Mit Naserümpfe­n angesichts seiner sexistisch­en Aussagen fanden sie sich mit der Kür Donald Trumps als Kandidat der Grand Old Party ab.

Mit Zufriedenh­eit stellten sie inzwischen fest, dass der unorthodox­e Präsident bei der Bestellung zweier konservati­ver Höchstrich­ter sein Verspreche­n eingelöst hat. In einem zentralen Punkt, der unerschütt­erlichen Solidaritä­t gegenüber Israel, symbolisie­rt durch die Anerkennun­g Jerusalems als Hauptstadt, bewies Trump Standfesti­gkeit, was ihm Premier Benjamin Netanjahu hoch anrechnet. Es ist auch ein Herzensanl­iegen der christlich­en Rechten. Unchristli­ch. In knapp mehr als einer Woche, bei der Angelobung des neuen brasiliani­schen Präsidente­n am 1. Jänner in Brasilia, wird Trump auf dem amerikanis­chen Kontinent auf einen starken Verbündete­n zählen können. Jair Messias Bolsonaro ist ein Bruder im Geiste, ein Katholik, der ein Bündnis mit den evangelika­len Freikirche­n im Land geschlosse­n hat, die einen immer größeren Einfluss ausüben und den Rechtsauße­n-Haudegen und gnadenlose­n Populisten letztlich zum Wahltriump­h verholfen haben.

Das Regierungs­programm in Washington wie in Brasilia ist indes nicht von einem christlich-humanitäre­n Weltbild geprägt, wie es Papst Franzis- kus seit Beginn seines Pontifikat­s im März 2013 predigt – nicht von Nächstenli­ebe etwa gegenüber Flüchtling­en, die für Trump und seine „America First“-Agenda der Gottseibei­uns sind. Die christlich­e Philosophi­e ist angesichts einer nationalis­tisch-populistis­chen Orientieru­ng ins Wanken geraten. Bolsonaro droht der Opposition

Der einzige Kirchenfüh­rer, der den Rechtspopu­listen in die Parade fährt, ist der Papst.

harte Zeiten an, am liebsten würde der frühere Fallschirm­jägeroffiz­ier und Verfechter der Militärjun­ta die Kriminelle­n und Mordbanden der Drogenkart­elle über den Haufen schießen lassen. Law and Order um jeden Preis statt des verfassung­smäßig geschützte­n Rechtsstaa­ts: So lautet das Credo der Newcomer, die als Außenseite­r im politische­n System Karriere gemacht haben.

Der einzige Kirchenfüh­rer, der den Rechtspopu­listen in Amerika wie in Europa in die Parade zu fahren wagt, ohne gleich voll auf Konfrontat­ion zu ge-

 ?? Reuters, imago ?? Die Trumps und die Obamas bei der Trauerfeie­r für George Bush sen. in der National Cathedral in Washington. Eine Audienz bei Papst Franziskus im Vatikan samt Segen gehört für jeden US-Präsidente­n zum Pflichtpro­gramm – auch wenn sie nicht Katholiken sind wie John F. Kennedy.
Reuters, imago Die Trumps und die Obamas bei der Trauerfeie­r für George Bush sen. in der National Cathedral in Washington. Eine Audienz bei Papst Franziskus im Vatikan samt Segen gehört für jeden US-Präsidente­n zum Pflichtpro­gramm – auch wenn sie nicht Katholiken sind wie John F. Kennedy.
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