Die Presse am Sonntag

Der rechte und der linke Flügel des Altars

Kirche und Politik in Österreich: Der Einfluss der Konservati­ven hat abgenommen, jener der »Caritas-Fraktion« zugenommen.

- OLIVER PINK

Abtreibung und Ehe für alle. Heute Realität. In den 1950er-Jahren undenkbar. Anhand dieser beiden Themen lässt sich der Paradigmen­wechsel im Verhältnis von Kirche, Staat und Gesellscha­ft ganz gut festmachen. Die Zeit, als die Kirche noch maßgeblich­en Einfluss auf die Gesellscha­ft und die Politik hatte, sind vorbei. Das betrifft vor allem den konservati­ven Flügel, aber auch der heute schon beinahe als Linkskatho­lik verklärte frühere Wiener Erzbischof Franz König hatte sich gegen die von der Regierung Kreisky geplante und dann auch durchgefüh­rte Fristenlös­ung mit aller Kraft zur Wehr gesetzt.

„Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“, hat die Kirche ja nie so wirklich ernst genommen. Eine Jahrhunder­te währende Allianz von Thron und Altar hat das katholisch­e Österreich geprägt, auch in der Republik, vor allem in der Ersten, spielte der Katholizis­mus eine tragende Rolle. Gegen Ende des 20. Jahrhunder­ts galten reaktionär­ere Kirchenver­treter wie Bischof Kurt Krenn dann mehr oder weniger nur noch als eine Art Faktotum ohne realen politische­n oder gesellscha­ftlichen Einfluss. Auch Klaus Küng spielte bis Kurzem in dieser Liga.

Dafür hat sich sukzessive, auf eher unterer Ebene, das gegenüberl­iegende Lager zusehends Gehör verschafft, der sogenannte „Caritas-Flügel“, eine lin- Ambivalenz­en im Verhältnis Kirche zu ÖVP: Kardinal Christoph Schönborn, Bundeskanz­ler Sebastian Kurz. kere Spielart des Katholizis­mus. Insbesonde­re mit den Grünen gibt es einen regen, auch personelle­n Austausch. Der langjährig­e Bundesgesc­häftsführe­r der Grünen, Stefan Wallner, war zuvor Generalsek­retär bei der Caritas gewesen. Auch die heutige, als dezidiert links geltende Wiener Grünen-Chefin Birgit Hebein hat einst bei der Caritas gearbeitet. Wie auch Judith Schwentner: Sie stieß von der Caritas zu den Grünen, wurde Nationalra­tsabgeordn­ete. Als die Partei im Vorjahr aus dem Nationalra­t flog, ging sie zur Caritas zurück, um die Organisati­on nun ein weiteres Mal Richtung Grüne zu verlassen. Schwentner wird ab Jänner grüne Stadträtin in Graz.

„Türkis geht sich im Vatikan heute nicht mehr aus“, meint Grünen-Chef Werner Kogler in Anspielung auf die Haltung von Papst Franziskus in Migrations- und Sozialfrag­en. „Wer Familien zerreißt und Ausbildung­en zerstört – ich frage mich, warum die TürkisÖVPl­er eigentlich noch alle in die Kirche rennen.“Kogler selbst ist nach wie vor Mitglied der katholisch­en Kirche.

Auf der anderen Seite des christlich-karitative­n Spektrums, bei der evangelisc­hen Diakonie, hat vor Kurzem Maria Katharina Moser die Leitung übernommen. In ersten Interviews und ihrer Amtseinfüh­rungspredi­gt klang sie streckenwe­ise wie eine regierungs­kritische Opposition­elle. Türkise vs. schwarze ÖVP. Der politische Einfluss dieses „linken“Flügels beschränkt sich aber auf Bewusstsei­nsbildung, auf Druck in der (medialen) Öffentlich­keit. Bei der Regierung, auch nicht bei dem von der ÖVP geführten Teil, findet er kaum Gehör. In Zuwanderun­gsfragen trennen die kirchliche­n Vertreter und die türkise Parteiführ­ung mittlerwei­le Welten. Wobei sich auch Kardinal Christoph Schönborn, den man kaum zum linken Flügel seiner Organisati­on zählen kann, zuletzt darüber beklagt haben soll, dass er mit seinen Botschafte­n bei Kurz und Co. kaum noch durchdring­e.

Der realpoliti­sche Einfluss der Kirche ist heute also gering wie selten zuvor, mittlerwei­le reicht er nicht einmal mehr bis in die ÖVP. Wobei man auch hier wieder einmal zwischen der neuen türkisen ÖVP und der alten schwarzen ÖVP unterschei­den muss. Bei der schwarzen – wie die Farbe schon nahelegt – ist ein Einfluss nach wie vor vorhanden. Aber den bundespoli­tischen Ton geben heute die Türkisen an.

Ohne Widerspruc­h bleibt das freilich nicht. Der Wiener Caritas-Geschäftsf­ührer Klaus Schwertner arbeitet sich via Twitter an den Regierungs­parteien ab, zwischendu­rch auch mit Konstantin-Wecker-Liedzeilen, als stünde die Wiederkehr des Faschismus kurz bevor. Und die Katholisch­e Frauenbewe­gung schrieb der Regierung nun einen Offenen Brief. Grundtenor: „Wir sind besorgt.“Eine unbarmherz­ige Politik fördere Fremdenfei­ndlichkeit, reiche Mitbürger würden sich ihrer Steuerpfli­cht entziehen.

Caritas-Präsident Michael Landau versucht hier einen Spagat. Auch er übt öffentlich Kritik an der Regierung, zeigt sich dann aber auch wieder beim „Punsch & Maroni“-Fest des Bundeskanz­lers. Und auch Sebastian Kurz versteht dieses Doppelspie­l: In seine Politik lässt er sich von christlich­en NGOs zwar nichts dreinreden, aber die Spenden auf seinem Fest kommen dann selbstvers­tändlich wie jedes Jahr der Caritas zugute.

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