Der rechte und der linke Flügel des Altars
Kirche und Politik in Österreich: Der Einfluss der Konservativen hat abgenommen, jener der »Caritas-Fraktion« zugenommen.
Abtreibung und Ehe für alle. Heute Realität. In den 1950er-Jahren undenkbar. Anhand dieser beiden Themen lässt sich der Paradigmenwechsel im Verhältnis von Kirche, Staat und Gesellschaft ganz gut festmachen. Die Zeit, als die Kirche noch maßgeblichen Einfluss auf die Gesellschaft und die Politik hatte, sind vorbei. Das betrifft vor allem den konservativen Flügel, aber auch der heute schon beinahe als Linkskatholik verklärte frühere Wiener Erzbischof Franz König hatte sich gegen die von der Regierung Kreisky geplante und dann auch durchgeführte Fristenlösung mit aller Kraft zur Wehr gesetzt.
„Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“, hat die Kirche ja nie so wirklich ernst genommen. Eine Jahrhunderte währende Allianz von Thron und Altar hat das katholische Österreich geprägt, auch in der Republik, vor allem in der Ersten, spielte der Katholizismus eine tragende Rolle. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts galten reaktionärere Kirchenvertreter wie Bischof Kurt Krenn dann mehr oder weniger nur noch als eine Art Faktotum ohne realen politischen oder gesellschaftlichen Einfluss. Auch Klaus Küng spielte bis Kurzem in dieser Liga.
Dafür hat sich sukzessive, auf eher unterer Ebene, das gegenüberliegende Lager zusehends Gehör verschafft, der sogenannte „Caritas-Flügel“, eine lin- Ambivalenzen im Verhältnis Kirche zu ÖVP: Kardinal Christoph Schönborn, Bundeskanzler Sebastian Kurz. kere Spielart des Katholizismus. Insbesondere mit den Grünen gibt es einen regen, auch personellen Austausch. Der langjährige Bundesgeschäftsführer der Grünen, Stefan Wallner, war zuvor Generalsekretär bei der Caritas gewesen. Auch die heutige, als dezidiert links geltende Wiener Grünen-Chefin Birgit Hebein hat einst bei der Caritas gearbeitet. Wie auch Judith Schwentner: Sie stieß von der Caritas zu den Grünen, wurde Nationalratsabgeordnete. Als die Partei im Vorjahr aus dem Nationalrat flog, ging sie zur Caritas zurück, um die Organisation nun ein weiteres Mal Richtung Grüne zu verlassen. Schwentner wird ab Jänner grüne Stadträtin in Graz.
„Türkis geht sich im Vatikan heute nicht mehr aus“, meint Grünen-Chef Werner Kogler in Anspielung auf die Haltung von Papst Franziskus in Migrations- und Sozialfragen. „Wer Familien zerreißt und Ausbildungen zerstört – ich frage mich, warum die TürkisÖVPler eigentlich noch alle in die Kirche rennen.“Kogler selbst ist nach wie vor Mitglied der katholischen Kirche.
Auf der anderen Seite des christlich-karitativen Spektrums, bei der evangelischen Diakonie, hat vor Kurzem Maria Katharina Moser die Leitung übernommen. In ersten Interviews und ihrer Amtseinführungspredigt klang sie streckenweise wie eine regierungskritische Oppositionelle. Türkise vs. schwarze ÖVP. Der politische Einfluss dieses „linken“Flügels beschränkt sich aber auf Bewusstseinsbildung, auf Druck in der (medialen) Öffentlichkeit. Bei der Regierung, auch nicht bei dem von der ÖVP geführten Teil, findet er kaum Gehör. In Zuwanderungsfragen trennen die kirchlichen Vertreter und die türkise Parteiführung mittlerweile Welten. Wobei sich auch Kardinal Christoph Schönborn, den man kaum zum linken Flügel seiner Organisation zählen kann, zuletzt darüber beklagt haben soll, dass er mit seinen Botschaften bei Kurz und Co. kaum noch durchdringe.
Der realpolitische Einfluss der Kirche ist heute also gering wie selten zuvor, mittlerweile reicht er nicht einmal mehr bis in die ÖVP. Wobei man auch hier wieder einmal zwischen der neuen türkisen ÖVP und der alten schwarzen ÖVP unterscheiden muss. Bei der schwarzen – wie die Farbe schon nahelegt – ist ein Einfluss nach wie vor vorhanden. Aber den bundespolitischen Ton geben heute die Türkisen an.
Ohne Widerspruch bleibt das freilich nicht. Der Wiener Caritas-Geschäftsführer Klaus Schwertner arbeitet sich via Twitter an den Regierungsparteien ab, zwischendurch auch mit Konstantin-Wecker-Liedzeilen, als stünde die Wiederkehr des Faschismus kurz bevor. Und die Katholische Frauenbewegung schrieb der Regierung nun einen Offenen Brief. Grundtenor: „Wir sind besorgt.“Eine unbarmherzige Politik fördere Fremdenfeindlichkeit, reiche Mitbürger würden sich ihrer Steuerpflicht entziehen.
Caritas-Präsident Michael Landau versucht hier einen Spagat. Auch er übt öffentlich Kritik an der Regierung, zeigt sich dann aber auch wieder beim „Punsch & Maroni“-Fest des Bundeskanzlers. Und auch Sebastian Kurz versteht dieses Doppelspiel: In seine Politik lässt er sich von christlichen NGOs zwar nichts dreinreden, aber die Spenden auf seinem Fest kommen dann selbstverständlich wie jedes Jahr der Caritas zugute.