Christen in Wien: Mehr als »nur« katholisch
Sie feiern unterschiedlich und doch gemeinsam, reiben sich am »großen Bruder«, der röm.-katholischen Kirche, und versorgen, wo sich in theologischen Fragen kein gemeinsamer Nenner findet, miteinander Obdachlose. Die Vielfalt der Christen – ein Austausch.
Es ist fast wie ein Klassentreffen. Die einen sehen sich ohnehin dauernd, andere haben keine große Freude, dass der auch dabei sein muss, weil eigentlich gehöre dessen Kirche ja nicht richtig dazu, und andere, die wissen flüchtig voneinander, haben aber eigentlich nichts miteinander zu tun. „Grüß dich, wir sehen uns dann eh gleich“, begrüßt Dompfarrer Toni Faber etwa Ines Charlotte Knoll, die Pfarrerin der Lutherischen Stadtkirche. Später an diesem vorweihnachtlichen Vormittag wird Faber mit seinem Team in Knolls Kirche kommen, die Weihnachtsfeier der Dompfarre findet heuer dort statt. In den katholischen Nachbarkirchen waren sie schon, heuer soll es einmal etwas anderes sein.
Alltäglich ist das nicht. Landläufig ist „die“Kirche zunächst die römischkatholische, Weihnachten ist oft untrennbar mit katholischem Brauchtum verknüpft – und, wenn es um den Austausch mit anderen Kirchen geht, habe die Dompfarre sicher eine Sonderstellung, sagt Faber. Als zentraler Ort Wiens kommen hier bisweilen alle zusammen. Katholisch, evangelisch, orthodox – sogar freikirchlich. Wie an diesem Vormittag – „die Presse“hat Vertreter acht christlicher Kirchen (eingeladen waren alle staatlich anerkannten Kirchen) eingeladen, um zu diskutieren, was die Wiener Christen trennt, was sie eint – und wie sie miteinander klarkommen. Wer sie sind – und wie viele. Auch wenn die Zahl vor allem der Katholiken in Österreich kleiner wird, Christen stellen immer noch die Mehrheit: 64 Prozent der österreichischen Bevölkerung sind katholisch, je fünf Prozent orthodox (hier ist die größte Gruppe die serbisch-orthodoxe Kirche) und fünf Prozent evangelisch (da mehrheitlich Augsburgerischen Bekenntnisses), diese Zahlen gehen aus einer Studie des Demografieinstituts im Auftrag der Akademie der Wissenschaften von 2017 hervor. Diese Studie wird auch von der Statistik Austria als eine der belastbarsten Quellen genannt, wenn es um Religionszugehörigkeit in Österreich geht. Denn erhoben wird diese von der Statistik schon seit 2001 nicht mehr. Was man heute weiß, das beruht auf Schätzungen und Angaben der Kirchen selbst. Demnach gibt es einige zehntausend Anhänger kleinerer christlicher Gemeinschaften: Etwa 10.000 Altkatholiken (österreichweit), die Zahl der Anhänger von Freikirchen wird auf 20.000 bis 40.000 geschätzt (siehe rechts), kleinere Gemeinschaften wie die Neuapostolische Kirche zählen (in Wien) 800 Mitglieder, die Wiener Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen) 1708 Mitglieder, die drei Wiener Gemeinden der Evangelischmethodistischen Kirche zählt (seit Jahren stabil) 650 Mitglieder.
Klar ist, die Religionszugehörigkeit ändert sich, besonders in Wien werden Konfessionslose und Muslime mehr, aber auch innerhalb der Christen ist einiges in Bewegung: römisch-katholische oder evangelische Kirchen verzeichnen tendenziell weniger Mitglieder (und Kirchgänger), Freikirchen oder orthodoxe Kirchen eher mehr, auch die altkatholische Kirche ist eigenen Angaben nach eine wachsende Gemeinschaft, ebenso die neuapostolische Kirche. Globale Situation brachte „Ruck“. „Ich habe das Gefühl, durch die globale Entwicklung, auch durch Papst Franziskus, ist im Christentum ein Ruck geschehen“, sagt Ines Charlotte Knoll. Sie spüre an der Basis, dass das Glaubensbewusstsein durch die „multi-religiöse Situation“wachse, das merke man gerade zu dieser Zeit, zu Weihnachten „können wir alle Bücher weglegen und uns auf das Wesentliche besinnen.“
Auch Faber sagt, die Debatten um Werte, um Einflüsse anderer Religionen würde viele Christen dazu bringen, sich mit ihren Wurzeln zu befassen, die Wiedereintritte aus philosophisch-theologischen Gründen würden mehr, „auch wenn uns die Zahl der Austritte nicht beruhigen kann“.
Diese Situation bringt auch die unterschiedlichen christlichen Konfessionen näher zusammen. Es gibt regelmäßige Zusammenkünfte, ökumenische Treffen, gegenseitige Besuche bei Orthodoxen, Methodisten, Altkatholiken. Seit 25 Jahren, so Faber, seit Kardinal Königs Zeiten, sei man zusammengewachsen.
Im ökumenischen Rat der Kirchen werden aktuelle Themen diskutiert – wie auch bei „ökumenischen Frühstücken“, die es in vielen Wiener Bezirken oder Orten Österreichs regelmäßig gibt. Was steht auf der Agenda? Österreichweit, sagt Pastorin Esther Handschin, war es in den vergangenen Jahren vor allem das Thema Flüchtlinge und die kirchliche Betreuung dieser. In Wien, sagt sie, ginge es vielfach um das Thema Armut oder Obdachlosigkeit.
Hier, in der ganz praktischen Arbeit, tut man sich leichter, auch wenn man in Glaubensfragen nicht zusammenkommt: Im 15. Bezirk etwa betreiben Methodisten eine Wärmestube für Obdachlose – sie sind damit in eine Aktion eingestiegen, die ursprünglich die katholische Caritas begründet hat –, das (ehrenamtliche) Personal dafür stellen heute die Altkatholiken. Nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen. „Das ist die Art von Ökumene, mit der wir gut leben können“, sagt der altkatholische Pfarrer Hannes Dämon. „Die Wortökumene ist ins Stocken geraten, aber diese Zusammenarbeit funktioniert gut.“„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Man muss den Menschen in die Mitte nehmen“, sagt Pfarrerin Knoll. Walter Hessler von der Neuapostolischen Kirche hält fest, dass es das Miteinander auf verschiedenen Ebenen gibt: In der Seelsorge, bei Stellungnahmen zu gesellschaftlichen Themen, bei konkreten Projekten: Der Raum der Stille am Hauptbahnhof, ein Raum, der Menschen aller Konfessionen offensteht, bzw. allen Menschen, die Ruhe suchen, etwa sei „ausschließlich positiv“aufgenommen worden.
Hannes Dämon will dennoch kein Bild von einem „Friede, Freude, Eier- kuchen“zeichnen: „Manchmal geht es schon um wesentliche Inhalte, bei denen man nicht sagen kann, einer legt das eben so, einer anders aus. Wenn eine Kirche sagt, das oder das sei christlich, dann muss man schon aufstehen und sagen: Nein, das geht gegen das Evangelium. Es ist nicht nur etwas, das einer so oder einer anders auslegen kann.“Und Rene Krywult von der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (die man als Mormonen kennt, aber so nicht mehr genannt werden will) – weil man eine unterschiedliche Sprache spreche, und über kleine Konfessionen wie seine wenig weiß.
Walter Hessler von der Neuapostolischen Kirche beschreibt die RömischKatholischen als „großen Bruder“: Der dominiert, man reibt sich daran, streitet mitunter – „und ist dann manchmal doch froh, dass man ihn in manchen Fragen vorschicken kann“: Wenn es um gesellschaftspolitische Fragen geht, oder, im Fall des Raumes am Hauptbahnhof, oder am Campus der Religionen in Aspern Führung und Verantwortung übernimmt.
»Jesus spricht von Feindliebe. Umso mehr können wir Glaubensbrüder lieben.«
Freikirchen als Ansporn. Gemein ist den kleineren christlichen Kirchen das Gegenüber, die katholische Kirche. „Welche katholische?“, wirft Dämon ein. Dass man wie selbstverständlich die römisch-katholische meint, gefällt ihm nicht. Aber deren Übermacht wird kleiner, gerade in Wien: Sie zählt mehr Austritte und Todesfälle als Wiedereintritte und Taufen, bei anderen Kirchen steigen indes die Mitgliederzahlen.
Besonders die christlichen Freikirchen freuen sich in Österreich eines Zustromes, es sind migrantisch geprägte Gemeinschaften oder die evangelikalen Kirchen mit ihrem Pop-Image, modernen Auftritt und der großen Begeisterung der Gläubigen.
Konkurrenz für die altehrwürdige römisch-katholische Kirche? Oder Ansporn? Dompfarrer Faber findet die Freikirchen „spannend“. „Wir laden Ver-