Popsongs, Lichterketten und Predigten via Internet
Mit ihrem modernen Auftritt gewinnen Freikirchen Zuspruch. Das weckt Interesse der katholischen Kirche.
treter zu Gesprächen ein, zum Prozess der Kirchenerneuerung. Die evangelikalen Kirchen haben mehr Mut, sie treten poppiger auf, sie haben durch den Zehent (von Mitgliedern wird ein Zehntel des Einkommens als Spende erwartet, Anm.) mehr Geld. Wir sehen aber auch eine echte Begeisterung, von der wir lernen können.“
Die Freikirchen expandieren – etwa am Gelände des Stadtentwicklungsgebietes Nordbahnhof entsteht eine evangelikale Gemeinde. In der Erzdiözese wurde jüngst diskutiert, wie man damit, und mit diesem Stadtentwicklungsgebiet überhaupt, umgeht – auch eine neue Kirche bauen? Die umliegenden Pfarren damit betrauen?
Fürchtet die katholische Kirche, hier Boden zu verlieren? Den Eindruck will Faber nicht vermitteln – eher, dass man ein Neubaugebiet mit künftig 20.000 Bewohnern nicht unversorgt lassen will. Eine neue Kirche wird aber nicht gebaut, wie kürzlich beschlossen wurde, es wird erst einmal ein Lokal gemietet, in dem die benachbarte Gemeinde St. Johann Nepomuk einen Stützpunkt mit Kapelle führen wird. „Neue Kirchen zu bauen, wie das etwa am Wienerberg noch geschehen ist, diese Zeit ist vorbei, das geht sich auch finanziell nicht aus“, sagt Faber.
Kirchenneubauten gibt es in Wien nicht viele – eher ging es zuletzt um Übergaben zwischen christlichen Konfessionen: Beziehungsweise, von der römisch-katholischen Kirche an andere: 2014 etwa wurde die Neulerchenfelder Kirche an die serbisch-orthodoxe Kirche übergeben, 2016 ging die Kirche „Maria vom Siege“am Mariahilfer Gürtel von der katholischen an die koptisch-orthodoxe Kirche. Mit mehr als 200 Kirchen ist aber die röm.- katholische Kirche in Wien bei Sakralbauten noch weitaus dominanter.
Aber es sind vor allem die anderen, die wachsen, deren Kirchen voll sind, die mehr und mehr Platz brauchen: So baut sich die syrisch-orthodoxe Kirche nun in Leopoldau eine erste eigene Kirche. Syrisch-orthodoxe Kirchen gibt es zwar, aber die bisherigen, St. Ephrem in Hietzing etwa, waren zuvor katholische Kirchen. „Wir haben drei Pfarren, sind seit 30 Jahren in Österreich anerkannt und haben einen starken Zulauf. Nicht nur wegen der Flüchtlinge“, sagt Siham Islek von der Gemeinde im 21. Bezirk. Skepsis in Floridsdorf. Bis es dort von der Idee, eine Kirche zu bauen, bis zum kürzlich erfolgten Spatenstich kam, hat es Jahre gedauert. Zunächst sei man in Floridsdorf auf große Skepsis gestoßen, bei Anrainern, wie auch im Bezirk. Da syrisch-orthodox doch fremd klingt? Nun habe sich das gelegt, erzählt Islek von den Feierlichkeiten zum Baustart, von guter Nachbarschaft mit der katholischen Nachbarpfarre. In einem Jahr soll die Kirche mit Platz für 350 Gläubige fertig sein. Islek sieht darin auch „ein Zeichen, dass das Christentum nicht dem Untergang geweiht ist.“
Auch beim Gespräch am Stephansplatz steht am Ende das Zuversichtliche, das Gemeinsame. Esther Handschin spricht von „normaler Geschwisterrivalität“, Rene Krywult von den Mormonen (er ist der, dessen Anwesenheit anfangs nicht nur gern gesehen war, die Mormonen sind zwar staatlich anerkannt, aber nicht im ökumenischen Rat) sagt, „wenn Christus von Feindesliebe spricht, können wir umso mehr unsere Glaubensbrüder lieben“. „Alle Menschen“, ergänzt Dämon. Visitenkarten werden ausgetauscht, Einladungen ausgesprochen, über Gebräuche der anstehenden Weihnachtsfeierlichkeiten geplaudert und Weihnachtswünsche ausgesprochen – auch zwischen denen, die anfangs wenig miteinander anfangen konnten. Benjamin Brestak, 31 Jahre alt, verheiratet und Vater, in der Expedithalle. Er ist nach einem Besuch von Bibelschulen und Fernstudium in Theologie und Leadership Pastor. Bald wird er die Leitung der Gemeinde Wunderwerk übernehmen. In Favoriten gibt es eine Kirche, als hätte man sie eigens für junge Städter gebaut. Die Halle schlicht und hell, die Krippe auf der Bühne ist aus Europaletten gebaut, umspannt ist sie mit Lichterketten, dahinter ein Schlagzeug. Beim Krippenspiel kommt statt des Hirten ein Augustin-Verkäufer, statt der drei Könige, die Geschenke bringen, liefert ein Foodora-Mann Essen, und die Botschaft von der Geburt des Jesuskindes verbreitet sich zunächst via Online-Blogger, erzählt Benjamin Brestak, der Gemeindeleiter und Pastor der Freikirche Wunderwerk.
Hauptsitz der Pfingstgemeinde ist die Expedithalle in der Ankerbrotfabrik in Favoriten. Als Wunderwerk diese 2016 gekauft hat, waren die Kreativen, die heute sonst in der Ankerbrotfabrik aktiv sind, nicht nur begeistert. Aber in ihrem Auftritt passt die Kirche gut in die neue Kultur- und Kreativszenerie in der alten Backsteinfabrik: Am Sonntag werden vor dem Gottesdienst draußen Beachflags aufgestellt, die Musik klingt nach bekömmlichem Pop, Songlisten gibt es auf Spotify.
Eine neue Hipster-Kirche für Städter, denen katholische Kirchen und Messen zu düster, ihre Riten fremd geworden sind? Freikirchen wie diese etablieren sich seit Jahrzehnten. Der Zulauf wächst. In Summe gibt es in Österreich mehr als 160 freikirchliche Gemeinden, die dem Bund der Baptistengemeinden in Österreich, den Evange- likaler Gemeinden, den ELAIA Christengemeinden, der Freien Christengemeinde/Pfingstgemeinde oder der Mennonitischen Freikirche angehören. Seit 2013 sind sie gesetzlich anerkannte Kirchen. Die Zahl der Mitglieder wird angesichts der vielfältigen Szene nur geschätzt: Eigenen Angaben nach haben die Freikirchen rund 20.000 Mitglieder, Schätzungen nach sind es mindestens doppelt so viele, die regelmäßig deren Gottesdienste besuchen.
Auch wenn der Anteil damit klein ist – die Gemeinden wachsen. Auch das Wunderwerk, das zähle laut Brestak rund 400 Mitglieder. Zu den Gottesdiensten kommen bis zu 350 Gläubige, fast jeden Sonntag. „2020 feiern wir 100 Jahre in Österreich“, sagt Brestak, er ist in der Freikirche aufgewachsen. Nach einem Theologie-Fernstudium wird er nun bald leitender Hauptpastor. Und wenn man sich seine Predigten anhört (das kann man auch online), sind das weniger salbungsvolle Worte, mehr klingt das nach Reden, wie man sie von Motivationssprechern kennt: Alttestamentarische Passagen werden auf die Lebenswelt (junger) Zuhörer heruntergebrochen, es geht darum, wie „cool“die Bibel sei, um Dankbarkeit, die Beziehung zu Gott.
Das, die persönliche Beziehung zu Gott, und die eigene Entscheidung, seien für ihn die wichtigsten Merkmale, die seine Kirche von anderen unterscheidet. Dementsprechend werden Babys nur gesegnet, getauft wird erst mit etwa 13,
Neubau in Floridsdorf als »Zeichen, dass wir nicht dem Untergang geweiht sind«. Die Freikirchen wirken jung und modern – ihre Grundzüge aber sind oft sehr konservativ. Heute gibt es eine Premiere: Kardinal Schönborn predigt erstmals in einer Freikirche.
wenn jemand selbst entscheiden kann. Brestak selbst ist in der Freikirche aufgewachsen, vor 20 Jahren sei diese, erzählt er, oft für eine Sekte gehalten worden.
Skepsis den Freikirchen gegenüber gebe es nach wie vor: Die einzelnen Gemeinden seien stark, übergeordnete Instanzen gebe es kaum, die innere Verbundenheit sei oft extrem stark, die Glaubensauslegung aller moderner Anmutung zum Trotz oft sehr konservativ – das berge die Gefahr, dass autoritäre Strukturen oder Drucksysteme entstehen, lauten Warnungen. Auch seien manche Freikirchen extrem konservativ, was etwa Sexualität betrifft, es gelte strikte Bibeltreue, Homosexualität oder Partnerschaften mit Nicht-Mitgliedern werden strikt abgelehnt. „Herzensbindung“statt Ökumene. Brestak zeichnet für seine Kirche aber ein anderes Bild – er erzählt von flachen Hierarchien, völlig gleich gestellten Frauen, einer Kirche, in der die persönliche Beziehung zu Gott über Riten und Dogmen stehe. Ob der Zehent, das Zehntel des Einkommens, das viele Freikirchen als Spende erwarten, bezahlt wird stehe Mitgliedern frei.
Seit der staatlichen Anerkennung schwinden die Berührungsängste: Es gibt Treffen, Vertreter werden ins Parlament oder von der katholischen Kirche eingeladen – auch, um sich Inspiration zu holen. Den Freikirchen laufen teils Gläubige zu, das weckt Interesse. Auch die katholische Kirche kommt Einladungen nach: Heute, Sonntag, predigt Kardinal Christoph Schönborn in der Expedithalle. Es wird seine erste Predigt in einer Freikirche.
Wächst hier etwas zusammen? „Wir wollen einen gemeinsamen Nenner, eine Herzensbindung, eine Herzensökumene“, sagt Brestak. Eine formale Ökumene lehne er eher ab.