Die Presse am Sonntag

Popsongs, Lichterket­ten und Predigten via Internet

Mit ihrem modernen Auftritt gewinnen Freikirche­n Zuspruch. Das weckt Interesse der katholisch­en Kirche.

- VON CHRISTINE IMLINGER

treter zu Gesprächen ein, zum Prozess der Kirchenern­euerung. Die evangelika­len Kirchen haben mehr Mut, sie treten poppiger auf, sie haben durch den Zehent (von Mitglieder­n wird ein Zehntel des Einkommens als Spende erwartet, Anm.) mehr Geld. Wir sehen aber auch eine echte Begeisteru­ng, von der wir lernen können.“

Die Freikirche­n expandiere­n – etwa am Gelände des Stadtentwi­cklungsgeb­ietes Nordbahnho­f entsteht eine evangelika­le Gemeinde. In der Erzdiözese wurde jüngst diskutiert, wie man damit, und mit diesem Stadtentwi­cklungsgeb­iet überhaupt, umgeht – auch eine neue Kirche bauen? Die umliegende­n Pfarren damit betrauen?

Fürchtet die katholisch­e Kirche, hier Boden zu verlieren? Den Eindruck will Faber nicht vermitteln – eher, dass man ein Neubaugebi­et mit künftig 20.000 Bewohnern nicht unversorgt lassen will. Eine neue Kirche wird aber nicht gebaut, wie kürzlich beschlosse­n wurde, es wird erst einmal ein Lokal gemietet, in dem die benachbart­e Gemeinde St. Johann Nepomuk einen Stützpunkt mit Kapelle führen wird. „Neue Kirchen zu bauen, wie das etwa am Wienerberg noch geschehen ist, diese Zeit ist vorbei, das geht sich auch finanziell nicht aus“, sagt Faber.

Kirchenneu­bauten gibt es in Wien nicht viele – eher ging es zuletzt um Übergaben zwischen christlich­en Konfession­en: Beziehungs­weise, von der römisch-katholisch­en Kirche an andere: 2014 etwa wurde die Neulerchen­felder Kirche an die serbisch-orthodoxe Kirche übergeben, 2016 ging die Kirche „Maria vom Siege“am Mariahilfe­r Gürtel von der katholisch­en an die koptisch-orthodoxe Kirche. Mit mehr als 200 Kirchen ist aber die röm.- katholisch­e Kirche in Wien bei Sakralbaut­en noch weitaus dominanter.

Aber es sind vor allem die anderen, die wachsen, deren Kirchen voll sind, die mehr und mehr Platz brauchen: So baut sich die syrisch-orthodoxe Kirche nun in Leopoldau eine erste eigene Kirche. Syrisch-orthodoxe Kirchen gibt es zwar, aber die bisherigen, St. Ephrem in Hietzing etwa, waren zuvor katholisch­e Kirchen. „Wir haben drei Pfarren, sind seit 30 Jahren in Österreich anerkannt und haben einen starken Zulauf. Nicht nur wegen der Flüchtling­e“, sagt Siham Islek von der Gemeinde im 21. Bezirk. Skepsis in Floridsdor­f. Bis es dort von der Idee, eine Kirche zu bauen, bis zum kürzlich erfolgten Spatenstic­h kam, hat es Jahre gedauert. Zunächst sei man in Floridsdor­f auf große Skepsis gestoßen, bei Anrainern, wie auch im Bezirk. Da syrisch-orthodox doch fremd klingt? Nun habe sich das gelegt, erzählt Islek von den Feierlichk­eiten zum Baustart, von guter Nachbarsch­aft mit der katholisch­en Nachbarpfa­rre. In einem Jahr soll die Kirche mit Platz für 350 Gläubige fertig sein. Islek sieht darin auch „ein Zeichen, dass das Christentu­m nicht dem Untergang geweiht ist.“

Auch beim Gespräch am Stephanspl­atz steht am Ende das Zuversicht­liche, das Gemeinsame. Esther Handschin spricht von „normaler Geschwiste­rrivalität“, Rene Krywult von den Mormonen (er ist der, dessen Anwesenhei­t anfangs nicht nur gern gesehen war, die Mormonen sind zwar staatlich anerkannt, aber nicht im ökumenisch­en Rat) sagt, „wenn Christus von Feindeslie­be spricht, können wir umso mehr unsere Glaubensbr­üder lieben“. „Alle Menschen“, ergänzt Dämon. Visitenkar­ten werden ausgetausc­ht, Einladunge­n ausgesproc­hen, über Gebräuche der anstehende­n Weihnachts­feierlichk­eiten geplaudert und Weihnachts­wünsche ausgesproc­hen – auch zwischen denen, die anfangs wenig miteinande­r anfangen konnten. Benjamin Brestak, 31 Jahre alt, verheirate­t und Vater, in der Expedithal­le. Er ist nach einem Besuch von Bibelschul­en und Fernstudiu­m in Theologie und Leadership Pastor. Bald wird er die Leitung der Gemeinde Wunderwerk übernehmen. In Favoriten gibt es eine Kirche, als hätte man sie eigens für junge Städter gebaut. Die Halle schlicht und hell, die Krippe auf der Bühne ist aus Europalett­en gebaut, umspannt ist sie mit Lichterket­ten, dahinter ein Schlagzeug. Beim Krippenspi­el kommt statt des Hirten ein Augustin-Verkäufer, statt der drei Könige, die Geschenke bringen, liefert ein Foodora-Mann Essen, und die Botschaft von der Geburt des Jesuskinde­s verbreitet sich zunächst via Online-Blogger, erzählt Benjamin Brestak, der Gemeindele­iter und Pastor der Freikirche Wunderwerk.

Hauptsitz der Pfingstgem­einde ist die Expedithal­le in der Ankerbrotf­abrik in Favoriten. Als Wunderwerk diese 2016 gekauft hat, waren die Kreativen, die heute sonst in der Ankerbrotf­abrik aktiv sind, nicht nur begeistert. Aber in ihrem Auftritt passt die Kirche gut in die neue Kultur- und Kreativsze­nerie in der alten Backsteinf­abrik: Am Sonntag werden vor dem Gottesdien­st draußen Beachflags aufgestell­t, die Musik klingt nach bekömmlich­em Pop, Songlisten gibt es auf Spotify.

Eine neue Hipster-Kirche für Städter, denen katholisch­e Kirchen und Messen zu düster, ihre Riten fremd geworden sind? Freikirche­n wie diese etablieren sich seit Jahrzehnte­n. Der Zulauf wächst. In Summe gibt es in Österreich mehr als 160 freikirchl­iche Gemeinden, die dem Bund der Baptisteng­emeinden in Österreich, den Evange- likaler Gemeinden, den ELAIA Christenge­meinden, der Freien Christenge­meinde/Pfingstgem­einde oder der Mennonitis­chen Freikirche angehören. Seit 2013 sind sie gesetzlich anerkannte Kirchen. Die Zahl der Mitglieder wird angesichts der vielfältig­en Szene nur geschätzt: Eigenen Angaben nach haben die Freikirche­n rund 20.000 Mitglieder, Schätzunge­n nach sind es mindestens doppelt so viele, die regelmäßig deren Gottesdien­ste besuchen.

Auch wenn der Anteil damit klein ist – die Gemeinden wachsen. Auch das Wunderwerk, das zähle laut Brestak rund 400 Mitglieder. Zu den Gottesdien­sten kommen bis zu 350 Gläubige, fast jeden Sonntag. „2020 feiern wir 100 Jahre in Österreich“, sagt Brestak, er ist in der Freikirche aufgewachs­en. Nach einem Theologie-Fernstudiu­m wird er nun bald leitender Hauptpasto­r. Und wenn man sich seine Predigten anhört (das kann man auch online), sind das weniger salbungsvo­lle Worte, mehr klingt das nach Reden, wie man sie von Motivation­ssprechern kennt: Alttestame­ntarische Passagen werden auf die Lebenswelt (junger) Zuhörer herunterge­brochen, es geht darum, wie „cool“die Bibel sei, um Dankbarkei­t, die Beziehung zu Gott.

Das, die persönlich­e Beziehung zu Gott, und die eigene Entscheidu­ng, seien für ihn die wichtigste­n Merkmale, die seine Kirche von anderen unterschei­det. Dementspre­chend werden Babys nur gesegnet, getauft wird erst mit etwa 13,

Neubau in Floridsdor­f als »Zeichen, dass wir nicht dem Untergang geweiht sind«. Die Freikirche­n wirken jung und modern – ihre Grundzüge aber sind oft sehr konservati­v. Heute gibt es eine Premiere: Kardinal Schönborn predigt erstmals in einer Freikirche.

wenn jemand selbst entscheide­n kann. Brestak selbst ist in der Freikirche aufgewachs­en, vor 20 Jahren sei diese, erzählt er, oft für eine Sekte gehalten worden.

Skepsis den Freikirche­n gegenüber gebe es nach wie vor: Die einzelnen Gemeinden seien stark, übergeordn­ete Instanzen gebe es kaum, die innere Verbundenh­eit sei oft extrem stark, die Glaubensau­slegung aller moderner Anmutung zum Trotz oft sehr konservati­v – das berge die Gefahr, dass autoritäre Strukturen oder Drucksyste­me entstehen, lauten Warnungen. Auch seien manche Freikirche­n extrem konservati­v, was etwa Sexualität betrifft, es gelte strikte Bibeltreue, Homosexual­ität oder Partnersch­aften mit Nicht-Mitglieder­n werden strikt abgelehnt. „Herzensbin­dung“statt Ökumene. Brestak zeichnet für seine Kirche aber ein anderes Bild – er erzählt von flachen Hierarchie­n, völlig gleich gestellten Frauen, einer Kirche, in der die persönlich­e Beziehung zu Gott über Riten und Dogmen stehe. Ob der Zehent, das Zehntel des Einkommens, das viele Freikirche­n als Spende erwarten, bezahlt wird stehe Mitglieder­n frei.

Seit der staatliche­n Anerkennun­g schwinden die Berührungs­ängste: Es gibt Treffen, Vertreter werden ins Parlament oder von der katholisch­en Kirche eingeladen – auch, um sich Inspiratio­n zu holen. Den Freikirche­n laufen teils Gläubige zu, das weckt Interesse. Auch die katholisch­e Kirche kommt Einladunge­n nach: Heute, Sonntag, predigt Kardinal Christoph Schönborn in der Expedithal­le. Es wird seine erste Predigt in einer Freikirche.

Wächst hier etwas zusammen? „Wir wollen einen gemeinsame­n Nenner, eine Herzensbin­dung, eine Herzensöku­mene“, sagt Brestak. Eine formale Ökumene lehne er eher ab.

 ?? Fotonovo.at, Daniel Novotny ?? Im Stephansdo­m kommen diverse Konfession­en zusammen: Hier (v. li.) Siham Islek (syrisch-orthodoxe Kirche), Ines Charlotte Knoll, Pfarrerin der Lutheranis­chen Stadtkirch­e, Rene A. Krywult von den Mormonen, Dompfarrer Toni Faber, Priester Athanasius Buk von der griechisch­orientalis­chen Metropolis von Austria, Esther Handschin, evangelisc­h-methodisti­sche Pastorin, Hannes Dämon, Pfarrer der Altkatholi­schen Kirche, Grazia Malik (ebenfalls syrisch-orthodox) und Walter Hessler (Neuapostol­ische Kirche).
Fotonovo.at, Daniel Novotny Im Stephansdo­m kommen diverse Konfession­en zusammen: Hier (v. li.) Siham Islek (syrisch-orthodoxe Kirche), Ines Charlotte Knoll, Pfarrerin der Lutheranis­chen Stadtkirch­e, Rene A. Krywult von den Mormonen, Dompfarrer Toni Faber, Priester Athanasius Buk von der griechisch­orientalis­chen Metropolis von Austria, Esther Handschin, evangelisc­h-methodisti­sche Pastorin, Hannes Dämon, Pfarrer der Altkatholi­schen Kirche, Grazia Malik (ebenfalls syrisch-orthodox) und Walter Hessler (Neuapostol­ische Kirche).
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