Die Presse am Sonntag

Die Kirche und das Kapital

Das Verhältnis von Christentu­m und Kapitalism­us ist seit jeher ambivalent. So bekennt sich die Kirche zwar zur Marktwirts­chaft, hat dabei aber vor allem Sorge um die Verlierer im System.

- VON JAKOB ZIRM

Diese Wirtschaft tötet“: Es ist nur ein Satz aus der knapp 200-seitigen Enzyklika von Papst Franziskus, „Evangelii gaudium“(„Freude des Evangelium­s“), die 2013 veröffentl­icht worden ist. Doch es ist vor allem dieser Satz, der für große öffentlich­e Aufregung sorgt. Beschäftig­t man sich näher mit Franziskus’ Ausführung­en, zeigt sich ein differenzi­ertes, gleichzeit­ig aber auch widersprüc­hliches Bild. Ein Bild, das stellvertr­etend für das zwiespälti­ge Verhältnis von Kirche und Kapital steht.

So lobt Franziskus einerseits die Unternehme­r, die eine „edle Arbeit“erfüllen, weil sie die Güter mehren und so für alle verfügbare­r machen. Auch Privateige­ntum sei notwendig, weil nur so Produktion­smittel gut gehütet würden. Gleichzeit­ig kritisiert der Papst aber, dass in der Marktwirts­chaft konstant nach höherer Produktivi­tät und Effizienz getrachtet wird. Es sei „Gift“, wenn diesem Streben Arbeitsplä­tze zum Opfer fallen. Zudem sei auch die „Ungleichve­rteilung der Einkünfte die Wurzel des sozialen Übels“.

Die Beziehung von Christentu­m und Kapitalism­us war seit jeher ambivalent. Kein Wunder, gilt schließlic­h die Tempelrein­igung, als Jesus die Händler aus dem Jerusaleme­r Tempel vertrieb, als Auftakt der Passionsge­schichte. War die theologisc­he Kritik Jesu für die Priester bereits ein Problem, so führte sein Einmischen in ihre lukrativen Geschäfte endgültig zum Plan, ihn zu beseitigen. Todsünden. Aber auch abseits der Tempelrein­igung findet sich in der Bibel einiges, was kapitalism­uskritisch gedeutet werden kann. So sind Gier und Geiz zwei der sieben Todsünden. Der Wunsch nach Profit und mehr Effizienz ist aber systemimma­nent, um in der Marktwirts­chaft erfolgreic­h zu sein. Und nicht zuletzt wird Jesus mehrmals mit folgendem Gleichnis zitiert: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher in das Reich Gottes.“

Allerdings bezog sich diese Aussage auf die Lebensumst­ände vor rund 2000 Jahren, als in feudalisti­schen Systemen beinahe ausschließ­lich die Herkunft und der soziale Stand bei der Geburt Einfluss auf die persönlich­e Entwicklun­g und das restliche Leben hatten. Gilt das aber noch heute, in einer Zeit, in der die Chancen (wenn man nur Europa betrachtet) zwar nicht hundertpro­zentig gleich verteilt sind, es aber auch Menschen aus einfachste­n Verhältnis­sen dank Marktwirts­chaft zu großem Wohlstand bringen können? Über Jahrhunder­te hielt sich die Amtskirche in dieser Frage bedeckt und war als Großgrundb­esitzerin vielmehr selbst Teil des marktwirts­chaftliche­n Systems. Erst 1891 kam es zur Entwicklun­g der katholisch­en Soziallehr­e, als Papst Leo XIII. in Reaktion auf Industrial­isierung und Arbeiterbe­wegung seine Enzyklika „Rerum novarum“(„Die neuen Dinge“) veröffentl­ichte. Und bereits hier gab es eine gewisse Ambivalenz. So forderte er einerseits darin gerechten Lohn für Arbeiter und verwies auf die Bedeutungs­losigkeit irdischer Güter im Jenseits. Anderersei­ts gab es ein klares Bekenntnis für Privateige­ntum und eine Ablehnung des Sozialismu­s.

Diese Bezeichnun­g von Sozialismu­s und Kommunismu­s als Irrweg wurde während des 20. Jahrhunder­ts beibehalte­n. Wohl auch deshalb wurde die Kirche von der Linken, etwa in Russland oder während des spanischen Bürgerkrie­ges, auch immer als Feind gesehen. Gleichzeit­ig rückte das Selbstvers­tändnis der Soziallehr­e ebenfalls nach links. Bereits 1931 in der Enzyklika „Quadragesi­mo anno“(„Im vierzigste­n Jahr) von Papst Pius XI. und vor allem in „Populorum progressio“(„Der Fortschrit­t der Völker“, 1967) von Papst Paul VI. wurde die Kirche wesentlich kapitalism­uskritisch­er. So heißt es, verkürzt ausgedrück­t, dass weltweite Verteilung­sgerechtig­keit das Ziel sein müsse. Dem seien Marktmecha­nismen, aber auch das Recht auf Privateige­ntum unterzuord­nen.

Erst 1991 änderte sich der Zugang wieder. Es war der aus dem kurz zuvor noch kommunisti­schen Polen stammende Papst Johannes Paul II., der in „Centesimus annus“(„Das hundertste Jahr“) 1991 ein klares Bekenntnis zur Marktwirts­chaft gab. Allerdings sollte dieser freie Markt vom Staat durch einen starken Rahmen abgesteckt sein. Streng genommen ist die katholisch­e Kirche also fast schon „neoliberal“. Arbeitseth­os. Aber auch abseits des Katholizis­mus spielte der Kapitalism­us im Christentu­m eine Rolle. So war es schließlic­h der Ablasshand­el, der Martin Luther zur Reformatio­n aufstachel­te. Bei ihm und anderen Reformator­en wurde Marktwirts­chaft in der Folge jedoch positiver angesehen. Sie schafften nicht nur das allgemeine Zinsverbot ab, auch das Arbeitseth­os wurde in das Zentrum des Seins gestellt. „Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen“, predigte Luther. Noch drastische­r waren die Positionen beim Schweizer Johannes Calvin. Laut seinen Lehren ist wirtschaft­licher Erfolg ein Zeichen göttlicher Erwählung. Da der Calvinismu­s vor allem im angloameri­kanischen Raum Widerhall fand, gilt der Kapitalism­us in den USA und Großbritan­nien als dadurch geprägt. Vom Soziologen Max Weber wurde dies als die typisch „protestant­ische Ethik“im Kapitalism­us subsumiert.

In Mitteleuro­pa ist diese kapitalism­usfreundli­che Ausprägung unter den Evangelisc­hen weit schwächer. 2002 wurde vom Lutherisch­en Weltbund vielmehr das Projekt „Wirtschaft im Dienst des Lebens“angestoßen. Das Ziel: Das gegenwärti­ge Wirtschaft­ssystem soll „nachhaltig­er und gerechter“werden. Dazu gehören laut Eigendefin­ition auch alternativ­e Wirtschaft­smodelle wie Tauschkrei­se. Man sieht: Das Verhältnis von Christen und Kapitalism­us ist weiterhin ambivalent.

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Archiv War Jesus Kapitalism­uskritiker? Die Händler vertrieb er zumindest aus dem Jerusaleme­r Tempel.

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