Die Kirche und das Kapital
Das Verhältnis von Christentum und Kapitalismus ist seit jeher ambivalent. So bekennt sich die Kirche zwar zur Marktwirtschaft, hat dabei aber vor allem Sorge um die Verlierer im System.
Diese Wirtschaft tötet“: Es ist nur ein Satz aus der knapp 200-seitigen Enzyklika von Papst Franziskus, „Evangelii gaudium“(„Freude des Evangeliums“), die 2013 veröffentlicht worden ist. Doch es ist vor allem dieser Satz, der für große öffentliche Aufregung sorgt. Beschäftigt man sich näher mit Franziskus’ Ausführungen, zeigt sich ein differenziertes, gleichzeitig aber auch widersprüchliches Bild. Ein Bild, das stellvertretend für das zwiespältige Verhältnis von Kirche und Kapital steht.
So lobt Franziskus einerseits die Unternehmer, die eine „edle Arbeit“erfüllen, weil sie die Güter mehren und so für alle verfügbarer machen. Auch Privateigentum sei notwendig, weil nur so Produktionsmittel gut gehütet würden. Gleichzeitig kritisiert der Papst aber, dass in der Marktwirtschaft konstant nach höherer Produktivität und Effizienz getrachtet wird. Es sei „Gift“, wenn diesem Streben Arbeitsplätze zum Opfer fallen. Zudem sei auch die „Ungleichverteilung der Einkünfte die Wurzel des sozialen Übels“.
Die Beziehung von Christentum und Kapitalismus war seit jeher ambivalent. Kein Wunder, gilt schließlich die Tempelreinigung, als Jesus die Händler aus dem Jerusalemer Tempel vertrieb, als Auftakt der Passionsgeschichte. War die theologische Kritik Jesu für die Priester bereits ein Problem, so führte sein Einmischen in ihre lukrativen Geschäfte endgültig zum Plan, ihn zu beseitigen. Todsünden. Aber auch abseits der Tempelreinigung findet sich in der Bibel einiges, was kapitalismuskritisch gedeutet werden kann. So sind Gier und Geiz zwei der sieben Todsünden. Der Wunsch nach Profit und mehr Effizienz ist aber systemimmanent, um in der Marktwirtschaft erfolgreich zu sein. Und nicht zuletzt wird Jesus mehrmals mit folgendem Gleichnis zitiert: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein Reicher in das Reich Gottes.“
Allerdings bezog sich diese Aussage auf die Lebensumstände vor rund 2000 Jahren, als in feudalistischen Systemen beinahe ausschließlich die Herkunft und der soziale Stand bei der Geburt Einfluss auf die persönliche Entwicklung und das restliche Leben hatten. Gilt das aber noch heute, in einer Zeit, in der die Chancen (wenn man nur Europa betrachtet) zwar nicht hundertprozentig gleich verteilt sind, es aber auch Menschen aus einfachsten Verhältnissen dank Marktwirtschaft zu großem Wohlstand bringen können? Über Jahrhunderte hielt sich die Amtskirche in dieser Frage bedeckt und war als Großgrundbesitzerin vielmehr selbst Teil des marktwirtschaftlichen Systems. Erst 1891 kam es zur Entwicklung der katholischen Soziallehre, als Papst Leo XIII. in Reaktion auf Industrialisierung und Arbeiterbewegung seine Enzyklika „Rerum novarum“(„Die neuen Dinge“) veröffentlichte. Und bereits hier gab es eine gewisse Ambivalenz. So forderte er einerseits darin gerechten Lohn für Arbeiter und verwies auf die Bedeutungslosigkeit irdischer Güter im Jenseits. Andererseits gab es ein klares Bekenntnis für Privateigentum und eine Ablehnung des Sozialismus.
Diese Bezeichnung von Sozialismus und Kommunismus als Irrweg wurde während des 20. Jahrhunderts beibehalten. Wohl auch deshalb wurde die Kirche von der Linken, etwa in Russland oder während des spanischen Bürgerkrieges, auch immer als Feind gesehen. Gleichzeitig rückte das Selbstverständnis der Soziallehre ebenfalls nach links. Bereits 1931 in der Enzyklika „Quadragesimo anno“(„Im vierzigsten Jahr) von Papst Pius XI. und vor allem in „Populorum progressio“(„Der Fortschritt der Völker“, 1967) von Papst Paul VI. wurde die Kirche wesentlich kapitalismuskritischer. So heißt es, verkürzt ausgedrückt, dass weltweite Verteilungsgerechtigkeit das Ziel sein müsse. Dem seien Marktmechanismen, aber auch das Recht auf Privateigentum unterzuordnen.
Erst 1991 änderte sich der Zugang wieder. Es war der aus dem kurz zuvor noch kommunistischen Polen stammende Papst Johannes Paul II., der in „Centesimus annus“(„Das hundertste Jahr“) 1991 ein klares Bekenntnis zur Marktwirtschaft gab. Allerdings sollte dieser freie Markt vom Staat durch einen starken Rahmen abgesteckt sein. Streng genommen ist die katholische Kirche also fast schon „neoliberal“. Arbeitsethos. Aber auch abseits des Katholizismus spielte der Kapitalismus im Christentum eine Rolle. So war es schließlich der Ablasshandel, der Martin Luther zur Reformation aufstachelte. Bei ihm und anderen Reformatoren wurde Marktwirtschaft in der Folge jedoch positiver angesehen. Sie schafften nicht nur das allgemeine Zinsverbot ab, auch das Arbeitsethos wurde in das Zentrum des Seins gestellt. „Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen“, predigte Luther. Noch drastischer waren die Positionen beim Schweizer Johannes Calvin. Laut seinen Lehren ist wirtschaftlicher Erfolg ein Zeichen göttlicher Erwählung. Da der Calvinismus vor allem im angloamerikanischen Raum Widerhall fand, gilt der Kapitalismus in den USA und Großbritannien als dadurch geprägt. Vom Soziologen Max Weber wurde dies als die typisch „protestantische Ethik“im Kapitalismus subsumiert.
In Mitteleuropa ist diese kapitalismusfreundliche Ausprägung unter den Evangelischen weit schwächer. 2002 wurde vom Lutherischen Weltbund vielmehr das Projekt „Wirtschaft im Dienst des Lebens“angestoßen. Das Ziel: Das gegenwärtige Wirtschaftssystem soll „nachhaltiger und gerechter“werden. Dazu gehören laut Eigendefinition auch alternative Wirtschaftsmodelle wie Tauschkreise. Man sieht: Das Verhältnis von Christen und Kapitalismus ist weiterhin ambivalent.