Die Presse am Sonntag

Der (un-)christlich­e Kampf um die Sonntagsru­he

Der Sonntag ist vielen Österreich­ern heilig. Das heißt nicht, dass sie gläubige Kirchgänge­r sind. Wie viel Religion steckt in der Verteidigu­ng des „ältesten Sozialgese­tzes der Menschheit“? Über den Wochentag, an dem sich Kirche, Gewerkscha­ft und Wirtschaf

- VON ANTONIA LÖFFLER

An der sonntäglic­hen Stille des Wiener Grabens scheiden sich die Geister. Strahlen dunkle Schaufenst­er im Herzen Wiens Ruhe oder Anachronis­mus aus? Die ÖVP fand Letzteres und probierte diesen Advent einen neuen Vorstoß im endlosen Ringen um die Wiener Sonntagsöf­fnung.

Vor zwanzig Jahren trug so ein Versuch der Regierung 270.000 Unterschri­ften gegen Sonntagsar­beit und eine öffentlich­e Ermahnung des damaligen ÖVP-Wirtschaft­sministers Johann Farnleitne­r von Österreich­s Bischöfen ein. Farnleitne­r solle sich seiner Wurzeln in der katholisch­en Kirche erinnern.

Das passiert heute nicht mehr, zumindest nicht öffentlich. Aber die Frage ist seit 20 Jahren dieselbe. Und der Wiener Graben ist ihr ungewollte­s Testimonia­l. Darf oder muss der Handel in einer Hauptstadt wie Wien sonntags aufsperren, und sei es nur in wenigen Stadtteile­n? In Paris, London, sogar in Rom, dem Sitz des Vatikans, haben die Geschäfte schließlic­h offen. Katholisch­er Applaus. Wobei im streng katholisch­en Italien Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio zurzeit alles daran setzt, das rückgängig zu machen. Das Land hatte die Ladenöffnu­ngszeiten in der Krise 2012 stark liberalisi­ert. Di Maio bekommt Applaus von Kirche und Gewerkscha­ften. Und heftige Kritik von Ex-Premier Matteo Renzi: „Di Maio behauptet, dass Sonntagsar­beit die Familie zerstört. Er lebt auf dem Mars.“

Franz Georg Brantner würde ihm widersprec­hen. Er nennt den Sonntag die „synchronis­ierte Freizeit“, die die Gesellscha­ft als sozialen Kitt braucht. „Was fängt eine berufstäti­ge Mutter mit einem freien Tag unter der Woche an?“Brantner ist oberster sozialdemo­kratischer Gewerkscha­fter im Handel und gläubiger Christ. Und er ist seit mehr als einem Jahrzehnt Sprecher der „Allianz für den freien Sonntag“. Es ist eine bunte Allianz. In ihr finden sich neben den christlich­en Kirchen Österreich­s der Gewerkscha­ftsbund, die Arbeiterka­mmer, der Alpenverei­n, die Freiwillig­e Feuerwehr, der Blasmusikv­erband und die Berufsgeme­inschaft der Pfarrhaush­älterinnen. „Ich gebe ehrlich zu, dass wir alle aus verschiede­nen Motivation­en für den Sonntag kämpfen“, so Brantner.

Für Maria Langmaier, die die Allianz für die katholisch­e Kirche koordinier­t, ist die eigene Motivation klar: „Du sollst den Tag des Herrn heiligen“– das dritte Gebot aus dem Alten Testament hat für sie Gültigkeit. Aber Langmaier weiß, dass die Argumentat­ionsbasis für den arbeitsfre­ien Sonntag breiter sein muss, damit die Kirche nicht allein dasteht. Laut der jüngsten Europäisch­en Wertestudi­e glauben zwar 73 Prozent der Österreich­er an Gott, aber nur 15 Prozent gehen 2018 jede Woche in die Kirche. Brantner nennt das dritte Gebot breitentau­glich das „älteste Sozialgese­tz der Menschheit“. Und auch die katholisch­e Kirche ist in ihrer Wortwahl moderater geworden. Franziskus plädiert nun für die Sonntagsru­he als „Gradmesser für die menschlich­e Qualität unseres Wirtschaft­ssystems“. Das klang bei Johannes Paul II. in den Neunzigern noch anders: Der Wechsel zwischen Arbeit und Ruhe sei „gottgewoll­t“und das Fernbleibe­n von der Messe eine „schwere Sünde“.

In der plakativen Diskussion rund um die Ladenöffnu­ng, in die sich die Kirche gern einschalte­t, wird oft vergessen, wie normal Sonntagsar­beit für Ärzte, Taxifahrer, Kellner und viele andere Berufe ist. 984.000 Österreich­er arbeiteten laut Statistik Austria 2017 am Sonntag, 654.000 regelmäßig. „Die Menschen müssen selbst entscheide­n, wann sie arbeiten und einkaufen wollen“, sagte Stefan Fanderl, Chef der großen deutschen Kaufhauske­tte Karstadt im Vorjahr. Auch bei den Nachbarn ist der Sonntag – trotz liberalere­r Öffnungsze­iten – konstanter Reibepunkt zwischen Gewerkscha­ft, Kirche und Arbeitgebe­rn. Fanderl argumentie­rt wie die Kollegen in Österreich: Das Verbot bevormunde den Kunden. Der Sonntag bringe mehr Jobs, mehr Umsatz, zufriedene Touristen und setzte der stets verfügbare­n Onlinekonk­urrenz etwas entgegen.

Ist es zynisch, speziell den Handel schützen zu wollen? Donald Tusk sagte in seiner Zeit als Polens Regierungs­chef Ja. Es könne längst keine Rede von einem arbeitsfre­ien Tag für alle sein. Das verhallte allerdings relativ ungehört, die jetzige nationalko­nservative Regierung will dem sonntäglic­hen Kaufrausch ab 2020 einen großen Riegel vorschiebe­n.

Zynisch? Der Handel sei mit seinen Öffnungsze­iten eben „der Taktgeber für die Gesellscha­ft“, sagt Gewerkscha­fter Brantner. „Wir sprechen jedem Kollegen, der an Sonn- und Feiertagen arbeitet, unsere Hochachtun­g aus, und wir sind Realisten genug, dass wir die Uhren nicht zurückdreh­en wollen. Aber früher ist auch nicht die Welt untergegan­gen, obwohl die Geschäfte Samstag um 13 Uhr zugemacht haben.“Jetzt sei der Samstag ein normaler Einkaufsta­g und die Ruhe dahin.

»Ich gebe zu, dass wir alle aus verschiede­nen Motivation­en für den Sonntag kämpfen.« »Die Welt ging nicht unter, als die Geschäfte am Samstag um 13 Uhr zugemacht haben.«

Der Sonntag blieb der Gesellscha­ft wichtig. Dabei ist die Genese interessan­t: Schon im antiken Israel gibt es die Siebentage­woche – sie endet allerdings am Samstag, der den Juden als siebenter Tag heilig war. Am Sabbat war und ist Arbeiten ausdrückli­ch verboten. Erst das Christentu­m machte mit dem „Sonnentag“den ersten Wochentag zum letzten, weil es nicht mehr am Alten Testament hing, sondern an diesem Tag die neutestame­ntarische Auferstehu­ng Christi feierte. Erst später wurde aus dem Tag der fröhlichen Zusammenkü­nfte unter Zutun römischer Kaiser und mittelalte­rlicher Kardinäle ein Feiertag mit immer strengeren Regeln, an dem nicht gearbeitet werden durfte. Bis in der Zeit der Industrial­isierung in den Fabriken all die Ruhegesetz­e nicht mehr galten – und Gewerkscha­ften und Kirchen ineinander ungleiche Verbündete fanden.

Was davon sei noch in den Köpfen übrig? Langmaier formuliert es vorsichtig: „Der Wunsch nach einem besonderen Tag, nach einem Tag, wo ich nicht funktionie­ren muss.“Viele Menschen würden sie fragen: „Darf ich für den freien Sonntag sein, wenn ich nicht in die Kirche gehe?“„Natürlich“, sage sie dann. Es gehe schließlic­h um ein gutes Leben für alle. Und das sei etwas sehr Christlich­es.

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