Die Presse am Sonntag

Wenn die Guten hart sein müssen

Soziale und kirchliche Organisati­onen stehen für Nächstenli­ebe, Unterstütz­ung, das Gute. In den anstehende­n Lohnverhan­dlungen müssen sie gegenüber der Gewerkscha­ft als strenge Verhandler auftreten. Droht hier der nächste Streik?

- VON JEANNINE HIERLÄNDER

Pfleger und Betreuer mögen ihren Beruf. Das sagen Umfragen, und das sagen die Verantwort­lichen in den Organisati­onen. Die Gründe liegen auf der Hand: Sie stehen im direkten Kontakt mit den Menschen, die sie betreuen. Sie bekommen sofort eine Rückmeldun­g auf das, was sie tun – oft sei sie positiv. Sie müssen sich nicht fragen, wozu sie arbeiten gehen – dass ihre Arbeit nützlich ist, versteht sich von selbst. „Man bekommt oft ein Danke“, sagt Michaela Guglberger, die bei der Gewerkscha­ft Vida für den privaten Gesundheit­sund Sozialbere­ich zuständig ist. „Die Frage nach der Sinnhaftig­keit der Arbeit stellt sich in der Pflege niemand“, sagt Walter Marschitz, der die Arbeitgebe­r der Branche vertritt. In diesem Punkt ist man sich einig.

In vielen anderen nicht. Ab 16. Jänner sitzen sich die beiden im Verhandlun­gssaal gegenüber: Die Sozialwirt­schaft Österreich verhandelt ihren Kollektivv­ertrag neu. Die Forderunge­n sind schon übergeben, und sie haben es in sich: Die Gewerkscha­ft verlangt für die mehr als 100.000 Beschäftig­ten im privaten Gesundheit­s- und Sozialbere­ich eine Lohnerhöhu­ng von sechs Prozent. Das hatten sich nicht einmal die Metaller mit ihren sprudelnde­n Gewinnen getraut. Außerdem will die Gewerkscha­ft eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalau­sgleich durchsetze­n. Das sitzt. Und hat durchaus Potenzial für ernsthafte Konflikte: Die vergangene­n Verhandlun­gen spitzten sich bis zum Warnstreik zu. Heuer will das noch niemand prognostiz­ieren, um die Stimmung nicht unnötig aufzuheize­n. Aber Branchenve­rtreter sagen offen, dass die Ausgangsla­ge für die Lohnrunde „sehr schwierig“sei.

Die Sozialwirt­schaft ist besonders. Erstens, weil man von öffentlich­em Geld und Spenden abhängig ist. Und zweitens, weil hier Vertreter von sozialen und kirchennah­en Organisati­onen, die für Nächstenli­ebe, Unterstütz­ung und Hilfe stehen, als harte Verhandler auftreten müssen, die gegenüber der Gewerkscha­ft die roten Linien markieren. „Wir können die sechste Urlaubswoc­he nicht so einfach hergeben“, sagt Josef Scharinger, Vizepräsid­ent der Diakonie Österreich. „Sechs Prozent Lohnerhöhu­ng sind nicht gerade realistisc­h“, so Arbeitgebe­r-Verhandler Marschitz. Und Erich Fenninger, Geschäftsf­ührer der Volkshilfe, sagt: „Das alles zusammen ist unfinanzie­rbar.“

Fördergebe­r und Spender erwarten, dass mit den Mitteln sorgsam umgegangen wird.

Gegen Arbeitszei­tverkürzun­g. Alexander Bodmann ist mit Klaus Schwertner Geschäftsf­ührer der Caritas Wien. Die Caritas gehört nicht zu den 461 Einrichtun­gen der Sozialwirt­schaft Österreich. Sie hat für ihre gut 15.000 Mitarbeite­r einen eigenen Kollektivv­ertrag, aber die Ausgangsla­ge für die Verhandlun­gen ist ähnlich, man stimmt sich mit der Sozialwirt­schaft ab. Der Kernauftra­g der Caritas sei es, Not zu sehen und zu handeln, heißt es auf der Homepage. „Wir versuchen, das, was wir nach außen vermitteln, auch unseren Mitarbeite­rn zu bieten“, sagt Bodmann. Ein paar Dinge machten die Lohnverhan­dlungen schwierige­r als in anderen Branchen. „Wir sind gemeinnütz­ige Unternehme­n und dürfen keine Gewinne erzielen.“Man lebe auch von Spenden, und Fördergebe­r erwarteten, dass mit den Mitteln sorgsam umgegangen werde. „Das hindert uns nicht daran, gemeinsam mit der Gewerkscha­ft soziale Arbeit als Arbeit zu

Organisati­onen

zählt die Sozialwirt­schaft Österreich. Zu den größten gehören die Volkshilfe, die Lebenshilf­e und das Hilfswerk. Dazu kommen weitere Betriebe wie die Caritas, die Diakonie und das Rote Kreuz. Der Bereich hat mehr als 100.000 Beschäftig­te.

Euro

bekommt eine diplomiert­e Pflegekraf­t als Einstiegsg­ehalt in Vollzeit. Die meisten arbeiten aber Teilzeit. In der vergangene­n Lohnrunde streikten laut Gewerkscha­ft über 40.000 Beschäftig­te in rund 140 Betrieben. propagiere­n, die mehr wert ist.“Aber bei der Arbeitszei­tverkürzun­g zieht Bodmann, der für die Wiener Caritas die Finanzen verantwort­et, eine klare Grenze: „Wir haben schon eine 38-Stunden-Woche, in den meisten Branchen sind es 40.“Änderungsb­edarf sieht er keinen. Die Gewerkscha­ft argumentie­rt mit ständiger Unterbeset­zung und Überlastun­g des Personals. „Pflege ist ein schöner, aber auch fordernder Beruf, weil man natürlich auch schwierige­n Lebenssitu­ationen ausgesetzt ist“, sagt Bodmann. „Aber so schlecht, wie das oft dargestell­t wird, sind die Arbeitsbed­ingungen nicht.“ Der Gewerkscha­fter Reinhard Bödenauer sieht das anders. „Das ist emotionell­e Schwerstar­beit“, sagt er. Er weiß, dass die Forderung gewagt ist. Aber für die Beschäftig­ten, die ständig mit Pflegebedü­rftigen, Behinderte­n und Menschen in sonstigen besonderen Umständen zu tun haben, sei es „wesentlich, mehr Freizeit zu bekommen.“Und auch mehr Geld. Die Branche ist weiblich, 80 Prozent der Beschäftig­ten arbeiten in Teilzeit und verdienen entspreche­nd weniger. „Wir wollen, dass unsere Leute ausreichen­d Geld haben. Sonst landen sie in der Pension selbst in der Armutsfall­e.“

Das will Erich Fenninger ganz bestimmt nicht. Er leitet die Volkshilfe, und sein Leibthema ist die Armutsbekä­mpfung. Wenn es um Kürzungen im Sozialbere­ich geht, wie zuletzt bei der Mindestsic­herung, dann schreit Fenninger auf. In der Lohnrunde muss er dafür sorgen, dass die Gewerkscha­ft ihre Forderunge­n so nicht durchsetzt. „Sechs Prozent sind definitiv zu hoch“, sagt er. „Da geht es nicht um Wollen, sondern um Nicht-Können.“Mit dieser Rolle hat er kein Problem. „Ich bemühe mich ja auch, ein harter Verhandler zu sein, wenn es darum geht, Menschen, die benachteil­igt sind, zu unterstütz­en und Leistungen für sie zu erwirken“, sagt Fenninger. Er spricht von sich lieber als Organisati­onsverantw­ortlichem denn als Arbeitgebe­r. Als solcher habe er eine große Verantwort­ung für die benachteil­igten Menschen, für die er arbeite. „Aber auch für unsere Kollegen, die die Arbeit leisten“. Sie bräuchten „gute Arbeitsbed­ingungen und gute Gehälter“. Er hofft auf ein gutes Ergebnis. Wie das wird, liegt vor allem in der öffentlich­en Hand: Die Länder finanziere­n die privaten Pfleger, Sozialarbe­iter, Behinderte­n- und Flüchtling­sbetreuer über Kostensätz­e mit. Werden sie erhöht, kann mehr gezahlt werden. Arbeitgebe­r-Verhandler Marschitz formuliert es unternehme­risch: „Ich kann nun einmal nicht mehr ausgeben, als ich habe.“

»Ich bemühe mich ja auch, ein harter Verhandler für Benachteil­igte zu sein.«

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Markku Ulander / Lehtikuva / picturedes­k.com Wer in der Pflege arbeitet, muss sich nicht fragen, ob seine Arbeit nützlich ist – das versteht sich von selbst.

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