Die Presse am Sonntag

Wenn Angst die Seelen zerfrisst

In ihrem Roman »Die Verängstig­ten« seziert Dima Wannous, wie das Leben unter der Diktatur des Assad-Regimes in Syrien die Menschen allmählich innerlich zerstörte.

- VON JULIA RAABE

Was macht es mit einem Menschen, in einer Diktatur zu leben, in einem Überwachun­gsstaat, in dem jedes unbedachte Wort, jeder falsche Blick, jede gedankenlo­se Regung in einer Katastroph­e enden kann? Dima Wannous nimmt den Leser in ihrem großartige­n Roman „Die Verängstig­ten“mit in ihr Heimatland Syrien. Die 1982 in Damaskus geborene Autorin verwebt darin die Erlebnisse ihrer Kindheit und ihre eigene Familienge­schichte mit der jüngsten Geschichte des Landes. Auf einer sehr persönlich­en Ebene seziert sie die von Furcht gelähmte Gesellscha­ft unter dem brutalen Assad-Regime und die Schrecken des Bürgerkrie­gs, der dort seit fast acht Jahren wütet. „Ganz sicher ist die Angst die Hauptfigur in meinem Roman“, sagt Wannous selbst über ihr Werk.

Diffuse, stets vorhandene Angst bestimmt das Leben ihrer Protagonis­tin Sulaima. Die regelmäßig­en Panikattac­ken hält sie mit Xanax unter Kontrolle – und mit ihren Besuchen bei dem Psychologe­n Kamil. Dessen Praxis ist für Sulaima ein Anker und ein Ort des Trostes, der mit der Hoffnung verbunden ist, irgendwann zu sich selbst und zu einem echten Leben zu finden. Eines Tages lernt sie dort Nassim, einen verschloss­enen Arzt und Schriftste­ller, kennen, der seine Angstzustä­nde lieber selbst heraufbesc­hwört, als von ihnen übermannt zu werden. Die Reise. Die beiden beginnen eine Affäre, doch als 2011 der Bürgerkrie­g ausbricht, flieht Nassim nach Deutschlan­d, die beiden verlieren sich aus den Augen. Jahre später schickt er ihr das Manuskript eines Romans. Sulaima erkennt sich in der Hauptfigur, das Lesen wird zu einer schmerzhaf­ten Reise in die Vergangenh­eit. Ihre Geschichte verschwimm­t mit jener der Ich-Erzählerin. Schließlic­h erfährt sie, dass es diese Frau in Nassims Manuskript wirklich gegeben hat: Salma, auch sie eine Patientin Kamils. Allerdings ist der Name Sulaima die arabische Verkleiner­ungsform von Salma. Sind Sulaima und Salma am Ende doch vielleicht eins?

Die Katastroph­e ist in „Die Verängstig­ten“schon absehbar, lange bevor der Bürgerkrie­g in Syrien zum Ausbruch kommt. Die alles beherrsche­nde Dima Wannous Die Verängstig­ten Übersetzt von Larissa Bender Karl Blessing Verlag 256 Seiten 20,60 Euro

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Richard Sammour Dima Wannous, 1982 in Damaskus geboren, arbeitet in dem Buch einen Teil ihrer eigenen Geschichte auf.
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