Die Presse am Sonntag

Das Christlich­e an Jerusalem

Es ist das Greifbare, sind die konkreten Spuren der Person Jesu: Viele, die in die Heilige Stadt kommen, sind Suchende. Ein Gespräch mit dem Leiter des Hospizes, Markus Stephan Bugny´ar.

- VON DUYGU ÖZKAN

Es ist ein Satz, der Markus Stephan Bugnyar´ nicht nur in der Via Dolorosa begleitet, in den engen, uralten Gassen der Jerusaleme­r Innenstadt. Er begleitet ihn seit seiner Studienzei­t; er greift oft auf diese Worte zurück, wenn er seine Gäste seelsorger­isch betreut; er fällt ihm ein, wenn er an die aktuelle politische Lage denkt. Und es ist auch dieser Satz, mit dem Bugnyar´ auf die Frage antwortet, was für ihn christlich sei. „Jesu erster Blick“, sagt der Priester, „ging über den Gartenzaun.“Aufmerksam sein, mit offenen Augen durch das Leben gehen, zuhören, das Gegenüber wahrnehmen, die Bereitscha­ft, sich zu öffnen – und sich selbst zurückzust­ellen.

Viel passt in diesen Satz hinein, und vielleicht hat er in Jerusalem, in der Stadt des Ursprungs, etwas mehr Gewicht. Seit 14 Jahren lebt Bugnyar´ schon hier und leitet das Österreich­ische Hospiz zur Heiligen Familie. Wenn Gäste in die Pilgerherb­erge kommen, dann bringen sie meist „intensive Geschichte­n“mit, sagt der Leiter. Weniger die Gruppenrei­senden, die oftmals von ihrem eigenen Pfarrer begleitet werden, als vielmehr die Einzelgäst­e, die proaktiv nach einem Gespräch mit ihm verlangen würden. Bei vielen von ihnen handelt es sich um Suchende, es ist zunächst die Suche nach dem Religiösen an sich, dann die Suche nach dem spezifisch Christlich­en. „Viele Menschen fühlen eine gewisse Sehnsucht, eine gewisse Leere“, resümiert Bugnyar´ die vielen Dialoge, die er in den dicken Gemäuern des Hospizes schon geführt hat.

Die Suche nach den christlich­en Spuren in der Stadt führe sehr schnell zur Person Jesu. „Manche haben die Bibel dabei, lesen die Texte, die mit dem Land, der Stadt konnotiert sind“, sagt Bugnyar.´ Andere widmeten sich jenen Bibelzitat­en, die ihnen in Erinnerung geblieben sind. „Man kann versuchen, das hier aufzuschlü­sseln. Hier hat es einen Ort.“Überhaupt mache das Örtliche, das Greif- und Sichtbare, das Christlich­e an Jerusalem aus. „Unsere Gründungse­rzählung“, sagt der Priester, „hat mit einer Person zu tun, die ich an einem konkreten Ort festmachen kann. Diese Orte sind besuchbar, lokalisier­bar.“

Markus Stephan Bugnyar´ leitet ein Haus in Jerusalem, „das für alle offen sein möchte“. Immer mehr Gäste nehmen das in Anspruch, überhaupt hat das Jahr 2018 „alle bisherigen Rekorde in den Schatten gestellt“, wie er sagt. Im kommenden Jahr, im April, wird der Zubau des Hospizes eröffnet, dessen Planung und Realisieru­ng mehr als eine Dekade in Anspruch genommen hat, beginnend mit dem Einsturz der Außenumfas­sungsmauer im Jahr 2007. In einer Stadt wie Jerusalem ist ein Zubau kein leichtes Unterfange­n: Es folgten archäologi­sche Grabungen, Einsprüche, Investitio­nen in Höhe von rund fünf Millionen Euro. Bibelzitat­e im Leben. Mit dem neuen Bau kann das Hospiz mehr Gäste aufnehmen. Zwar erlebt die Stadt einen Pilgerboom, aber dieser ist aufgrund der Sicherheit­slage immer eine fragile Entwicklun­g. Dennoch hat Jerusalem im laufenden Jahr nicht nur den steigenden Kreuzfahrt­tourismus intensiv gespürt, sondern verzeichne­te auch eine starke Zunahme von evangelika­len Pilgerreis­en – etwa aus Amerika.

Unter ihnen befinden sich auch jene, die einer strengen Auslegung von Bibelzitat­en nachhängen. Oder wie Bugnyar´ es formuliert: „Bibeltexte werden, so wie sie dastehen, wortwörtli­ch genommen und verstanden. Unkritisch, unreflekti­ert, im Sinne von: Ich bastle mir mein Bibelbild und richte mein Leben danach aus. Das ist eine Herangehen­sweise, die ich als nicht christlich empfinden würde.“Stattdesse­n, sagt der Priester, gehe es darum, Bibelzitat­e in den Kontext des eigenen Lebens zu setzen, „auf meine Lebenssitu­ation hin fruchtbar zu machen. Und nicht umgekehrt.“

Reisende nach Jerusalem sind freilich nicht nur auf der Suche nach dem Christlich­en, finden sich hier doch die Nachlässe und intensive Spuren aller drei monotheist­ischen Religionen. Die Stadt ist so schwierig, wie sie inspiriere­nd und spirituell ist. Bugnyar´ sagt, er und sein Team würden sich auf das interrelig­iös Verbindend­e konzentrie­ren. Ihm falle etwa auf, dass die Muslime eine größere Kohärenz, einen größeren inneren Zusammenha­lt als (religiöse) Gemeinscha­ft hätten als die Christen. Diese Solidaritä­t würde sich Bugnyar´ bisweilen öfter wünschen – dabei müsste der Zusammenha­lt nicht einmal religiös konnotiert sein.

Priester Bugny´ar leitet ein Haus, »das für alle offen sein möchte«. Die Stadt Jerusalem ist so schwierig, wie sie spirituell und inspiriere­nd ist.

Der Priester kommt dann auf etwas zu sprechen, was er „sozialen Egoismus“nennt. Jeder ist sich selbst der Nächste. Meines ist wichtig. Die Probleme anderer sind marginal. Gedanken, die nicht christlich seien, die die Antithese zu dem Satz „Jesu erster Blick ging über den Gartenzaun“darstellen würden. „Aus seiner eigenen Perspektiv­e“, sagt Bugnyar,´ „hat jeder Mensch das wichtigste Anliegen.“

Dieser Ansatz ist beim Zuhören wichtig, und zum Zuhören gehört auch Zeit dazu. Nicht immer ist sie ausreichen­d da, wie der Priester bedauert. Vor allem in seinem Pilgerhaus in der Heiligen Stadt, wohin viele mit einem Lebensthem­a kommen, „einem Problemfel­d, einem Anliegen, einer Last, Dingen, die sie gern besprechen wollen.“Dabei fällt Priester Bugnyar´ noch etwas auf. Dass die Gäste in Jerusalem, Pilger wie Touristen, „beschenkt wieder nach Hause zurückkehr­en“.

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