Weihnachten: Feiern, wie es
Nicht jeder feiert am Heiligen Abend klassisch. Es geht auch anders. Von Patchwork-Familien, Eltern, die weit weg wohnen, oder Großfamilien, die schwer an einen Ort zu bekommen sind. Sieben Geschichten über alternative Weihnachten.
Wie groß die Erwartungen an Weihnachten sind, merken viele erst, wenn ihr Leben von der Norm abweicht. Wenn ein Todesfall, eine Scheidung oder Trennung, ein Umzug oder der Auszug der erwachsenen Kinder die lang geübten Feiertraditionen durcheinander bringt oder obsolet macht. Doch wer sich umhört, stellt schnell fest, dass die nicht ganz herkömmlichen, die alternativen Feierformen immer mehr zur Norm werden oder es vielleicht immer waren. Das klassische Vater-Mutter-Kinder-undvielleicht-noch-die-Großeltern-Programm wird immer seltener. Das hat mit fluiden Familienformen, steigenden Single-Haushalten und binationalen Paaren zu tun. Der Familienbegriff ist dehnbar geworden.
Chaos gibt es an Weihnachten da wie dort, in der klassischen Kernfamilie wie in alternativen Feiergemeinschaften. Dem begegnet man am besten mit Humor. Das findet zumindest die 48-jährige Consulterin Sabrina Oswald. Wenn sie von den Plänen ihrer Patchworkfamilie für die Feiertage spricht, rauscht einem der Kopf, aber auf eine gute Weise. „Ich erlebe eigentlich mein Leben lang, wie hochkompliziert Weihnachten ist“, sagt sie, die seit zwölf Jahren mit ihrem Mann zusammen ist, der bereits eine Tochter in die Beziehung mitgebracht hat, mit der sie sich sehr gut versteht. Oswalds Eltern sind selbst schon lange geschieden, „das heißt, bei mir wird immer mit Mama und Papa extra gefeiert“. Die Feierlichkeiten sind jedes Jahr ein bisschen anders, heuer ist die Runde am 24. Dezember mit Mama, Stiefpapa und Ehemann klein. Tags darauf zu Mittag kommen ihr Papa und seine Lebensgefährtin, abends die Bonustochter, dann wird noch einmal im kleinen Kreis beschert. In Summe vier Mal „Stille Nacht“. Weil sich Oswalds Schwester vor einigen Jahren einfallen ließ, ein FamilienWichteln zu organisieren, steht jetzt zusätzlich jedes Jahr am 23. Dezember ein großfamiliäres Treffen an, das vor allem dazu dient, die gegenseitigen Geschenke auszutauschen. „In Summe singen wir heuer insgesamt vier Mal ,Stille Nacht‘.“Eine Zahl, die richtig große Familien vermutlich gar nicht schreckt. Die Feiertagsplanung ist für Oswald die Fortsetzung des Sitzordnungswahn- sinns an der Hochzeitstafel. „Da muss man auch schauen, wer kann mit wem und vor allem: mit wem nicht.“
So harmonisch wie bei Oswalds ist es nicht überall. Gerade bei frischen Trennungen oder wenn Eltern nach einer Scheidung nicht gut miteinander auskommen, kann Weihnachten wirklich zur Krise werden. Kinder- und Jugendpsychologin Claudia Rupp, Vorstand im Berufsverband Österreichischer PsychologInnen, rät, immer zuerst an die Kinder zu denken. „Die oberste Prämisse ist es, das Fest für die Kinder möglichst angenehm zu gestalten. Man muss sich bei der Termingestaltung an die Bedürfnisse der Kinder orientieren“, sagt sie. Das falle aber vielen Eltern noch sehr schwer. Denn jeder möchte das Kind zu Weihnachten bei sich haben. „Dabei ist den Kindern meist völlig egal, wann sie Weihnachten feiern. Ob am 23., 24., 26. oder 30. Dezember. Hauptsache, es ist friedlich“, sagt sie. Erst kürzlich habe sie wieder ein Kind in einem Scheidungsverfahren vor sich gehabt, das ihr gesagt habe: „Ich wünschte, ich könnte mich klonen, dann könnte ich bei beiden Eltern sein.“Dass ein Kind die eigenen Bedürfnisse hinter die der Eltern stellt, dürfe aber nie sein.
Daher sei es so wichtig, dass man eine Lösung findet, mit der alle gut leben können. Auch, dass die Kinder am gleichen Tag zuerst bei der Mutter und dann beim Vater feiern, sei in Ordnung. Auch gegen in gemeinsames Weihnachten mit dem Ex–Partner spricht freilich nichts. Allerdings nur, wenn die Fronten geklärt sind und man sich gut versteht. „Wer ein ganzes Jahr über streitet, der wird das auch zu Weihnachten tun.“Wichtig sei außerdem, dass Mutter oder Vater den anderen nicht abwerten. „Das verstärkt nur den Loyalitätskonflikt“. Gibt es eine gute Lösung, können die Kinder sogar davon profitieren, sagt Rupp. „Dann haben sie zwei schöne Feste hintereinander.“
Dass es manchmal schwierig ist, sich auf diesen Weihnachtsfrieden einzustellen, zeigen Gespräche im Alltag. Da müssen Verwandtschaftstreffen neu ausgerichtet werden, da wollen frisch Getrennte doch gemeinsam feiern, andere müssen weite Reisen auf sich nehmen. Wir haben Erfahrungen zu „alternativen Weihnachtsfesten“in der und um die „Presse“-Redaktion protokolliert: groß gewordene Kinder, die aufgehört haben, heimwärts zu pilgern. Die Familien sehen wir zwar immer noch gern – aber das geht auch im Advent oder am Beginn des neuen Jahres. Bei uns eingeladen sind sie natürlich auch, sollten sie Lust haben, Weihnachten auswärts zu verbringen. Bisher hatten sie es lieber im eigenen Wohnzimmer gemütlich und besinnlich. Wir verstehen das. Von Wien aus können wir sogar tagsüber den alten Großonkel besuchen. Und das Roastbeef braten wir jetzt selbst. tes Ort im Innviertel, gibt es nicht mehr. Zumindest nicht in ihrem Haus. Wir seien, so ließ sie uns ausrichten, zu viele geworden. 13 Cousins und Cousinen (ihre Neffen und Nichten), deren Lebenspartner und ungefähr so viele Kinder – sie wollte nicht mehr.
»Er bleibe heuer daheim und lasse sich überraschen, ob ich auch da sein würde.«
Wir aber empfanden diese Nachricht als bodenlose Frechheit! Wir waren mit dieser Feier aufgewachsen. Sie war fixer Bestandteil unserer Kindheit, unseres Erwachsenenlebens. Hier habe ich meine Tierfreunde-Barbie bekommen, hier spielten wir Playmobil unter dem Christbaum und später „Siedler von Catan“auf dem Tisch. Von hier aus starteten wir zur Feier meines Cousins, der am 25. Dezember Geburtstag hat. Dass ich in Wald-und-Wiesen-Festen so bewandert bin, verdanke ich auch ihm. Hier aßen wir Jä-