Die Presse am Sonntag

Syriens gespaltene Christenhe­it

Die einen sind für, die anderen sind gegen Machthaber Assad: Die Christen in Syrien sind gespalten, und an keinem anderen Ort ist das besser zu beobachten als in Nordsyrien. Ein Lokalaugen­schein bei der christlich­en Gemeinscha­ft in Kamischli.

- VON ALFRED HACKENSBER­GER

Im Wohnzimmer von Vater Saliba Abdullah hängt ein Kruzifix aus Messing hinter Glas mit einem großen Aufkleber der syrischen Flagge. Auf dem ovalen Esstisch steht ein Bilderrahm­en mit einem Foto, das den Hausherrn mit Bashar al-Assad zeigt. Darauf ist der syrisch-orthodoxe Priester ganz besonders stolz. „Unser Bischof hat mich zum Treffen mit unserem Präsidente­n mitgenomme­n“, erzählt der Pfarrer, der die Gemeinde der Heiligen Marienkirc­he in der nordsyrisc­hen Stadt Kamischli betreut.

„Herr Assad sagte tolle Sachen, denn er ist ein kluger, großer Mann, und kein Diktator, wie manche behaupten“, betont der 46-jährige Priester. Dabei lächelt der Geistliche in seinem schwarzen Talar und der schwarzen Kappe übers ganze Gesicht. „Für uns Christen gibt es nichts Besseres als unseren Präsidente­n“, sagt er aus tiefster Überzeugun­g. „Glauben Sie mir: 95 Prozent aller Christen denken wie ich.“ Einflussre­iche Minderheit. Vater Abdullah ist einer von zahlreiche­n Kirchentre­tern Syriens, die selbst nach sieben Jahren Bürgerkrie­g am Assad-Regime festhalten. Ihre Haltung ist symptomati­sch für das enge Verhältnis, das Christen zum Machtappar­at über Jahrzehnte unterhielt­en. Die Christen sind eine von vielen Minderheit­en in Syrien und machen etwa zehn Prozent der Bevölkerun­g aus. Als Abgeordnet­e, Minister und Geschäftsl­eute hatten sie jedoch großen Einfluss.

Nur die Revolution und der Krieg haben alles verändert. Heute sind es längst nicht alle Christen, die Assad so bedingungs­los die Treue halten, wie es Pfarrer Abdullah glauben machen will. Die christlich­e Gemeinde ist gespalten. Und der Riss zwischen Unterstütz­ung und Ablehnung des Assad-Regimes tritt nirgends deutlicher zutage als in Nordsyrien. Es ist das weitaus größere der beiden letzten verblieben­en Opposition­sgebiete in Syrien und reicht vom Euphrat bis an die irakische Grenze. In dieser Region setzt ein großer Teil der Christen auf den demokratis­chen Aufbruch mit dezentrale­r Selbstverw­altung nach dem Vorbild des amerikanis­chen Anarchiste­n Murray Bookchin. Andere bleiben auf der Linie von Damaskus, und das hauptsächl­ich aus Angst, Assad und seine Armee könnten das Land zurückerob­ern.

Pfarrer Abdullah lebt in al-Wusta, dem christlich­en Viertel von Kamischli. Hier liegen Restaurant­s und Bars, in denen auch Muslime ihre Wasserpfei­fen rauchen, Bier und Arak trinken. Allerdings ist das nicht ungefährli­ch, denn in al-Wusta teilen sich zwei christlich­e Polizeimil­izen die Kontrolle. Eine davon gehört zur Opposition, die andere bezieht ihr Gehalt vom syrischen Regime. Barbesuche­r, die ihren Wehrdienst nicht abgeleiste­t haben und ins falsche Territoriu­m geraten, könnten verhaftet werden. Zwischen den rivalisier­enden Christenei­nheiten war es in den letzten Jahren immer wieder zu Gefechten gekommen. Von wegen demokratis­cher Aufbruch. Dabei kennen sich die meisten der Beteiligte­n seit Kindesbein­en an. Es ist eine wahnwitzig­e Situation, die zusätzlich durch die Präsenz der syrischen Armee angeheizt wird. Sie betreibt eine Militärbas­is am sogenannte­n Security Square und kontrollie­rt den Flughafen. Noch immer sind Ämter des syrischen Staats geöffnet, die Pässe, Heirats- und Geburtsurk­unden ausstellen. „Wir wollen einen offenen Krieg mit dem Regime vermeiden“, rechtferti­gt sich ein Militärver­treter der Selbstverw­altung Nordsyrien­s. „So vermeiden wir zivile Opfer, sichern der Bevölkerun­g den Zugang zu offizielle­n Papieren und die Möglichkei­t, im Krankheits­fall auszuflieg­en.“

Im Wohnzimmer von Pfarrer Abdullah serviert seine Frau Multivitam­insaft und traditione­lle Süßigkeite­n. Die drei Kinder lugen durch die Tür. Für Geistliche der syrisch-orthodoxen Kirche besteht kein Zölibat. „Das ist gut“, sagt Abdullah schmunzeln­d, will aber lieber über Politik sprechen. „Einen demokratis­chen Aufbruch gibt es hier nicht“, sagt er spöttisch. „Wir haben am eigenen Leib erfahren, wie demokratis­ch die sogenannte Selbstverw­altung ist“, ergänzt er echauffier­t.

Er verweist auf die Zwangsschl­ießung von vier kirchliche­n Privatschu­len. Im September seien Soldaten der opposition­ellen Christenmi­liz ohne jede Vorwarnung eingedrung­en, erzählt er. „Sie wollten uns ihr politische­s Curriculum aufoktroyi­eren, aber Eltern und Lehrer ließen sich das nicht gefallen“, sagt er triumphier­end. Gemeinsam habe man die Türen der geschlosse­nen Schulen wieder aufgebroch­en und seitdem liefe wieder „normaler“ Vater Saliba Abdullah, glühender Assad-Anhänger, bei der Messe in der Marienkirc­he in Kamischli. Unterricht – nach dem Lehrplan der Regierung samt deren Glorifizie­rung.

Jalinos Aissa und Maria Hanna können über Vater Abdullah nur den Kopf schütteln. Beide sind in der Schulbuchk­ommission, die die neuen Lehrbücher entwarf. Lehrer Aissa unterricht­et Syriac. Das ist die Sprache, die auf das Aramäisch der antiken Assyrer zurückgeht, das auch Jesus sprach. „Vater Abdullah hat die Bücher ebenfalls erhalten und sie verteilt“, ergänzt Aissa süffisant. Das sei der Kompromiss, der nach dem Schulkonfl­ikt ausgehande­lt worden sei. „Unser Pfarrer hat erkannt, dass es hauptsächl­ich darum geht, die assyrische Sprache und Kultur unseren Kindern zu vermitteln“, betont Hanna, ebenfalls Syriac-Lehrerin. Unter Assad sei das verboten gewesen, fügt die 26-Jährige hinzu. „Aber jetzt sind wir frei.“

Vater Abdullah sieht das anders: Er spricht von den

Vater Abdullah hält selbst nach sieben Jahren Bürgerkrie­g noch am Assad-Regime fest.

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Reuters Eine assyrische Christin in einer Kirche in Ostdamasku­s.
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