Syriens gespaltene Christenheit
Die einen sind für, die anderen sind gegen Machthaber Assad: Die Christen in Syrien sind gespalten, und an keinem anderen Ort ist das besser zu beobachten als in Nordsyrien. Ein Lokalaugenschein bei der christlichen Gemeinschaft in Kamischli.
Im Wohnzimmer von Vater Saliba Abdullah hängt ein Kruzifix aus Messing hinter Glas mit einem großen Aufkleber der syrischen Flagge. Auf dem ovalen Esstisch steht ein Bilderrahmen mit einem Foto, das den Hausherrn mit Bashar al-Assad zeigt. Darauf ist der syrisch-orthodoxe Priester ganz besonders stolz. „Unser Bischof hat mich zum Treffen mit unserem Präsidenten mitgenommen“, erzählt der Pfarrer, der die Gemeinde der Heiligen Marienkirche in der nordsyrischen Stadt Kamischli betreut.
„Herr Assad sagte tolle Sachen, denn er ist ein kluger, großer Mann, und kein Diktator, wie manche behaupten“, betont der 46-jährige Priester. Dabei lächelt der Geistliche in seinem schwarzen Talar und der schwarzen Kappe übers ganze Gesicht. „Für uns Christen gibt es nichts Besseres als unseren Präsidenten“, sagt er aus tiefster Überzeugung. „Glauben Sie mir: 95 Prozent aller Christen denken wie ich.“ Einflussreiche Minderheit. Vater Abdullah ist einer von zahlreichen Kirchentretern Syriens, die selbst nach sieben Jahren Bürgerkrieg am Assad-Regime festhalten. Ihre Haltung ist symptomatisch für das enge Verhältnis, das Christen zum Machtapparat über Jahrzehnte unterhielten. Die Christen sind eine von vielen Minderheiten in Syrien und machen etwa zehn Prozent der Bevölkerung aus. Als Abgeordnete, Minister und Geschäftsleute hatten sie jedoch großen Einfluss.
Nur die Revolution und der Krieg haben alles verändert. Heute sind es längst nicht alle Christen, die Assad so bedingungslos die Treue halten, wie es Pfarrer Abdullah glauben machen will. Die christliche Gemeinde ist gespalten. Und der Riss zwischen Unterstützung und Ablehnung des Assad-Regimes tritt nirgends deutlicher zutage als in Nordsyrien. Es ist das weitaus größere der beiden letzten verbliebenen Oppositionsgebiete in Syrien und reicht vom Euphrat bis an die irakische Grenze. In dieser Region setzt ein großer Teil der Christen auf den demokratischen Aufbruch mit dezentraler Selbstverwaltung nach dem Vorbild des amerikanischen Anarchisten Murray Bookchin. Andere bleiben auf der Linie von Damaskus, und das hauptsächlich aus Angst, Assad und seine Armee könnten das Land zurückerobern.
Pfarrer Abdullah lebt in al-Wusta, dem christlichen Viertel von Kamischli. Hier liegen Restaurants und Bars, in denen auch Muslime ihre Wasserpfeifen rauchen, Bier und Arak trinken. Allerdings ist das nicht ungefährlich, denn in al-Wusta teilen sich zwei christliche Polizeimilizen die Kontrolle. Eine davon gehört zur Opposition, die andere bezieht ihr Gehalt vom syrischen Regime. Barbesucher, die ihren Wehrdienst nicht abgeleistet haben und ins falsche Territorium geraten, könnten verhaftet werden. Zwischen den rivalisierenden Christeneinheiten war es in den letzten Jahren immer wieder zu Gefechten gekommen. Von wegen demokratischer Aufbruch. Dabei kennen sich die meisten der Beteiligten seit Kindesbeinen an. Es ist eine wahnwitzige Situation, die zusätzlich durch die Präsenz der syrischen Armee angeheizt wird. Sie betreibt eine Militärbasis am sogenannten Security Square und kontrolliert den Flughafen. Noch immer sind Ämter des syrischen Staats geöffnet, die Pässe, Heirats- und Geburtsurkunden ausstellen. „Wir wollen einen offenen Krieg mit dem Regime vermeiden“, rechtfertigt sich ein Militärvertreter der Selbstverwaltung Nordsyriens. „So vermeiden wir zivile Opfer, sichern der Bevölkerung den Zugang zu offiziellen Papieren und die Möglichkeit, im Krankheitsfall auszufliegen.“
Im Wohnzimmer von Pfarrer Abdullah serviert seine Frau Multivitaminsaft und traditionelle Süßigkeiten. Die drei Kinder lugen durch die Tür. Für Geistliche der syrisch-orthodoxen Kirche besteht kein Zölibat. „Das ist gut“, sagt Abdullah schmunzelnd, will aber lieber über Politik sprechen. „Einen demokratischen Aufbruch gibt es hier nicht“, sagt er spöttisch. „Wir haben am eigenen Leib erfahren, wie demokratisch die sogenannte Selbstverwaltung ist“, ergänzt er echauffiert.
Er verweist auf die Zwangsschließung von vier kirchlichen Privatschulen. Im September seien Soldaten der oppositionellen Christenmiliz ohne jede Vorwarnung eingedrungen, erzählt er. „Sie wollten uns ihr politisches Curriculum aufoktroyieren, aber Eltern und Lehrer ließen sich das nicht gefallen“, sagt er triumphierend. Gemeinsam habe man die Türen der geschlossenen Schulen wieder aufgebrochen und seitdem liefe wieder „normaler“ Vater Saliba Abdullah, glühender Assad-Anhänger, bei der Messe in der Marienkirche in Kamischli. Unterricht – nach dem Lehrplan der Regierung samt deren Glorifizierung.
Jalinos Aissa und Maria Hanna können über Vater Abdullah nur den Kopf schütteln. Beide sind in der Schulbuchkommission, die die neuen Lehrbücher entwarf. Lehrer Aissa unterrichtet Syriac. Das ist die Sprache, die auf das Aramäisch der antiken Assyrer zurückgeht, das auch Jesus sprach. „Vater Abdullah hat die Bücher ebenfalls erhalten und sie verteilt“, ergänzt Aissa süffisant. Das sei der Kompromiss, der nach dem Schulkonflikt ausgehandelt worden sei. „Unser Pfarrer hat erkannt, dass es hauptsächlich darum geht, die assyrische Sprache und Kultur unseren Kindern zu vermitteln“, betont Hanna, ebenfalls Syriac-Lehrerin. Unter Assad sei das verboten gewesen, fügt die 26-Jährige hinzu. „Aber jetzt sind wir frei.“
Vater Abdullah sieht das anders: Er spricht von den
Vater Abdullah hält selbst nach sieben Jahren Bürgerkrieg noch am Assad-Regime fest.