»Religionspolizei darf niemanden verhaften«
In Saudiarabien müssen Messen im Verborgenen gefeiert werden, es gibt aber erste Signale der Entspannung.
neuen Büchern als politisches Machwerk und holt zum Rundumschlag gegen die Selbstverwaltung Nordsyriens aus. Für ihn ist das neue System „wertlos“. Der Einwand zählt nicht, dass Christen in der demokratischen Verwaltung leitende Positionen haben. Besonders die Kurden und ihre Miliz sind Vater Abdullahs Hauptfeinde. Christen seien ihre willfährige Vasallen mit AlibiFunktion, behauptet der Priester. „Ach, das ist die übliche Verschwörungstheorie und Propaganda der Assad-Anhänger“, sagt Siham Kerio. Die Christin ist Co-Präsidentin des obersten Verwaltungsrats Nordsyriens. „Wir bekommen keine Befehle von den Kurden“, sagt sie. „Wir sind Partner, die sich gegenseitig respektieren und ergänzen“. Die Mittfünfzigerin verweist dann auf die arabischen Städte Rakka und Manbidsch, die mithilfe der Kurden vom Islamischen Staat (IS) befreit wurden. „Warum sollten die Kurden das tun und so viele Tote unter ihren Soldaten in Kauf nehmen, wenn sie angeblich keine Interesse an anderen Bevölkerungsgruppen haben?“
Kerio kann die Vorwürfe nicht mehr hören. „Quatsch“, sagt sie entschieden. „Und nicht zu vergessen, schon 2013 haben die Kurdenmilizen die Region alleine gegen die Dschihadisten der Nusra-Front verteidigt.“ Mit Gott und Assad. Für Vater Abdullah sind das keine stichhaltigen Argumente. Er lebt wohl in einer anderen, vergangenen Welt. Niemand hier behelligt den Geistlichen, obwohl er das neue politische System Nordsyriens radikal in Frage stellt. In Damaskus hätte es dagegen gewiss bittere Konsequenzen, würde Abdullah vergleichbar harsche Kritik am nationalen Regime üben. Er würde im Gefängnis landen. Aber davon will er nichts hören. Er hält es weiter mit Gott und Assad.
Für den koptischen Bischof Ava Morkos war es eine besondere Premiere. Zum ersten Mal seit Generationen durfte der hohe Geistliche aus Ägypten kürzlich mit offizieller Genehmigung einen christlichen Gottesdienst auf saudischem Boden feiern. Kurz zuvor hatte Kronprinz Mohammed bin Salman eine Delegation evangelikaler Christen aus den USA in seinem Palast empfangen. Demnächst will auch der koptisch-orthodoxe Patriarch Tawadros II. in die Heimat des Propheten Mohammed reisen, eingeladen vom saudischen Königshaus, das sich als oberster Hüter der heiligsten Stätten des Islam sieht.
Auch wenn seit dem Mord an Jamal Khashoggi dunkle Wolken über dem Thronfolger hängen: Er gilt als treibende Kraft für ein offeneres und toleranteres Verhältnis zu den anderen Religionen. „Wir wollen einen ausgewogeneren Islam, der offen ist gegenüber der Welt, gegenüber allen Religionen, allen Kulturen und allen Völkern“, erklärte der 33-Jährige an die Adresse seiner ultra-konservativen Prediger daheim gerichtet. Die benachbarten Golfstaaten sind da schon weiter. In Katar ließ der Emir aus eigener Tasche ein großes Gotteshaus für Christen bauen. In Bahrain existiert eine Kathedrale mit pastoralem Zentrum, das sich um die Katholiken in der arabischen Ölregion kümmert. Auch in Abu Dhabi und Dubai sind mindestens ein Dutzend Kirchen, denn unter den wohl etwa 15 Millionen Gastarbeitern gibt es hunderttausende Christen – die meisten von den Philip- pinen, aus Indien oder Ägypten. „Unser Leben ist leichter geworden, seit die saudische Religionspolizei niemanden mehr verhaften darf“, erklärte ein indischer Pastor, der ungenannt bleiben möchte. „Vorher lief jeder Gefahr, der auch nur eine Bibel bei sich hatte, schikaniert oder verhaftet zu werden.“
Trotzdem sind Kirchenbauten in Saudiarabien verboten. Kreuze, Heiligenfiguren oder Ikonen dürfen nicht offen gezeigt werden. Gottesdienste müssen verborgen stattfinden, notfalls in der Residenz eines christlichen Botschafters. Grund dafür ist ein vormodernes Toleranzverständnis, das die Praxis nichtmuslimischer Religionen auf dem eigenen Boden als Verunreinigung und Störung zwischen der menschlichen und göttlichen Sphäre begreift, als Provokation Allahs, die Unglück oder Strafen für rechtgläubige Muslime heraufbeschwören könnte. Verbotene Städte. Hardliner plädieren dafür, dass Andersgläubige die Arabische Halbinsel gar nicht erst betreten dürfen. Al-Qaida-Chef Osama bin Laden warf dem saudischen Königshaus einst vor, mit der Stationierung von Truppen aus christlichen Ländern wie den USA und Frankreich im Golfkrieg 1990/91 das Land entweiht zu haben. Offiziell untersagt ist Nicht-Muslimen der Besuch von Mekka und Medina, wo sie rote Warnschilder auf der Autobahn von den heiligen Orten fernhalten. Wer innerhalb der Stadtgrenzen aufgegriffen wird, kann verhaftet und des Landes verwiesen werden.
Der Priester lebt in einer anderen, vergangenen Welt – er hält es mit Gott und Assad.