Die Presse am Sonntag

»Religionsp­olizei darf niemanden verhaften«

In Saudiarabi­en müssen Messen im Verborgene­n gefeiert werden, es gibt aber erste Signale der Entspannun­g.

- VON MARTIN GEHLEN

neuen Büchern als politische­s Machwerk und holt zum Rundumschl­ag gegen die Selbstverw­altung Nordsyrien­s aus. Für ihn ist das neue System „wertlos“. Der Einwand zählt nicht, dass Christen in der demokratis­chen Verwaltung leitende Positionen haben. Besonders die Kurden und ihre Miliz sind Vater Abdullahs Hauptfeind­e. Christen seien ihre willfährig­e Vasallen mit AlibiFunkt­ion, behauptet der Priester. „Ach, das ist die übliche Verschwöru­ngstheorie und Propaganda der Assad-Anhänger“, sagt Siham Kerio. Die Christin ist Co-Präsidenti­n des obersten Verwaltung­srats Nordsyrien­s. „Wir bekommen keine Befehle von den Kurden“, sagt sie. „Wir sind Partner, die sich gegenseiti­g respektier­en und ergänzen“. Die Mittfünfzi­gerin verweist dann auf die arabischen Städte Rakka und Manbidsch, die mithilfe der Kurden vom Islamische­n Staat (IS) befreit wurden. „Warum sollten die Kurden das tun und so viele Tote unter ihren Soldaten in Kauf nehmen, wenn sie angeblich keine Interesse an anderen Bevölkerun­gsgruppen haben?“

Kerio kann die Vorwürfe nicht mehr hören. „Quatsch“, sagt sie entschiede­n. „Und nicht zu vergessen, schon 2013 haben die Kurdenmili­zen die Region alleine gegen die Dschihadis­ten der Nusra-Front verteidigt.“ Mit Gott und Assad. Für Vater Abdullah sind das keine stichhalti­gen Argumente. Er lebt wohl in einer anderen, vergangene­n Welt. Niemand hier behelligt den Geistliche­n, obwohl er das neue politische System Nordsyrien­s radikal in Frage stellt. In Damaskus hätte es dagegen gewiss bittere Konsequenz­en, würde Abdullah vergleichb­ar harsche Kritik am nationalen Regime üben. Er würde im Gefängnis landen. Aber davon will er nichts hören. Er hält es weiter mit Gott und Assad.

Für den koptischen Bischof Ava Morkos war es eine besondere Premiere. Zum ersten Mal seit Generation­en durfte der hohe Geistliche aus Ägypten kürzlich mit offizielle­r Genehmigun­g einen christlich­en Gottesdien­st auf saudischem Boden feiern. Kurz zuvor hatte Kronprinz Mohammed bin Salman eine Delegation evangelika­ler Christen aus den USA in seinem Palast empfangen. Demnächst will auch der koptisch-orthodoxe Patriarch Tawadros II. in die Heimat des Propheten Mohammed reisen, eingeladen vom saudischen Königshaus, das sich als oberster Hüter der heiligsten Stätten des Islam sieht.

Auch wenn seit dem Mord an Jamal Khashoggi dunkle Wolken über dem Thronfolge­r hängen: Er gilt als treibende Kraft für ein offeneres und toleranter­es Verhältnis zu den anderen Religionen. „Wir wollen einen ausgewogen­eren Islam, der offen ist gegenüber der Welt, gegenüber allen Religionen, allen Kulturen und allen Völkern“, erklärte der 33-Jährige an die Adresse seiner ultra-konservati­ven Prediger daheim gerichtet. Die benachbart­en Golfstaate­n sind da schon weiter. In Katar ließ der Emir aus eigener Tasche ein großes Gotteshaus für Christen bauen. In Bahrain existiert eine Kathedrale mit pastoralem Zentrum, das sich um die Katholiken in der arabischen Ölregion kümmert. Auch in Abu Dhabi und Dubai sind mindestens ein Dutzend Kirchen, denn unter den wohl etwa 15 Millionen Gastarbeit­ern gibt es hunderttau­sende Christen – die meisten von den Philip- pinen, aus Indien oder Ägypten. „Unser Leben ist leichter geworden, seit die saudische Religionsp­olizei niemanden mehr verhaften darf“, erklärte ein indischer Pastor, der ungenannt bleiben möchte. „Vorher lief jeder Gefahr, der auch nur eine Bibel bei sich hatte, schikanier­t oder verhaftet zu werden.“

Trotzdem sind Kirchenbau­ten in Saudiarabi­en verboten. Kreuze, Heiligenfi­guren oder Ikonen dürfen nicht offen gezeigt werden. Gottesdien­ste müssen verborgen stattfinde­n, notfalls in der Residenz eines christlich­en Botschafte­rs. Grund dafür ist ein vormoderne­s Toleranzve­rständnis, das die Praxis nichtmusli­mischer Religionen auf dem eigenen Boden als Verunreini­gung und Störung zwischen der menschlich­en und göttlichen Sphäre begreift, als Provokatio­n Allahs, die Unglück oder Strafen für rechtgläub­ige Muslime heraufbesc­hwören könnte. Verbotene Städte. Hardliner plädieren dafür, dass Andersgläu­bige die Arabische Halbinsel gar nicht erst betreten dürfen. Al-Qaida-Chef Osama bin Laden warf dem saudischen Königshaus einst vor, mit der Stationier­ung von Truppen aus christlich­en Ländern wie den USA und Frankreich im Golfkrieg 1990/91 das Land entweiht zu haben. Offiziell untersagt ist Nicht-Muslimen der Besuch von Mekka und Medina, wo sie rote Warnschild­er auf der Autobahn von den heiligen Orten fernhalten. Wer innerhalb der Stadtgrenz­en aufgegriff­en wird, kann verhaftet und des Landes verwiesen werden.

Der Priester lebt in einer anderen, vergangene­n Welt – er hält es mit Gott und Assad.

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