»Wir Frauen sind Kämpferinnen«
Die aus Saudiarabien stammende Regisseurin Haifaa Al-Mansour spricht über ihren neuen Film »Mary Shelley« mit Elle Fanning in der Hauptrolle, starke Frauencharaktere und über den Umbruch in ihrer Heimat, der zwar langsam, aber doch stattfindet.
Ihr Film „Das Mädchen Wadjda“war 2012 eine Sensation: Es war der erste Film, der in Saudiarabien gedreht wurde – dann auch noch von einer Frau. Die warmherzige Geschichte eines Mädchens, das sich sehnlichst ein Fahrrad wünscht, wurde ein Festivalerfolg. In Saudiarabien kommt ihr Wunsch im Übrigen einer Revolte gleich, Radfahren ist für Frauen – wie vieles andere – verboten.
Jetzt hat die 44-jährige Regisseurin Haifaa Al-Mansour ihren zweiten Film vorgelegt. In der Filmbiografie „Mary Shelley“(ab Freitag im Kino) geht es um die Schriftstellerin, die Frankenstein erfand. In der Hauptrolle: Hollywoodstar Elle Fanning. Vor einigen Jahren haben wir über Ihren ersten Film „Das Mädchen Wadjda“gesprochen. Jetzt haben Sie Ihren ersten großen Hollywoodfilm gedreht. Haben Sie das Gefühl, es geschafft zu haben? Haifaa Al-Mansour: Es ist wirklich großartig, hier arbeiten zu können. Vor allem ist es sehr angenehm, sich nicht mehr in einem Van verstecken zu müssen wie früher – und von dort die Regieanweisungen herauszurufen. Ich konnte mich auf dem Set frei bewegen – und das hilft schon sehr, wenn man Regie führen will. (lacht) Auch diesmal geht es um eine starke Frau, die darum kämpfen muss, anerkannt und akzeptiert zu werden. Ein Zufall? Stimmt, und das ist kein Zufall. Ich versuche Projekte umzusetzen, die von starken Frauen handeln. Es ist wichtig, dass wir Frauen nicht als das schwache Geschlecht dastehen. Wir sind Kämpferinnen und Überlebenskünstlerinnen. Wir können alles schaffen. Sie stammen aus Saudiarabien, trotzdem haben Sie sich ein britisches Thema für Ihren neuen Film ausgesucht. Warum? Zunächst habe ich mich tatsächlich auch gefragt, ob das der richtige Stoff für mich ist. Schließlich ist es ein englischer Kostümfilm über eine englische Frau. Aber, als ich mich näher mit dem Drehbuch beschäftigt habe, konnte ich erkennen, wie sehr mich diese Geschichte packt und inspiriert. Immerhin geht es um eine Frau, die aus einer überholten Tradition ausbrechen will, die sie unterdrückt. Das klingt wie Ihre eigene Geschichte oder die aus „Das Mädchen Wadjda“. Ich kann mich tatsächlich gut in ihre Lage versetzen. Ich denke, dass Frauen
1974
wurde Haifaa AlMansour in Saudiarabien geboren. Sie studierte in Kairo Englische Literatur und besuchte die Filmhochschule in Sydney.
2012
brachte sie ihren ersten Kinofilm „Das Mädchen Wadjda“heraus. Der Streifen gilt als der erste, der zur Gänze in Saudiarabien gedreht wurde. Al-Mansour lebt heute mit ihren zwei Kindern und ihrem Ehemann, einem US-Diplomaten, in Manama in Bahrain. überall auf der Welt die gleichen Erfahrungen machen. Mary Shelley hat mit „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“1818 eine wahnsinnig mutige, maskuline Geschichte geschrieben, die hoch philosophisch ist und sogar Gott infrage stellt. Sie widersetzte sich allen Klischees, sie schrieb nicht Poesie oder politische Essays, sondern hat sich an diesen außergewöhnlichen Stoff gewagt. Diese Geschichte ist ein Vermächtnis an Frauen. Eine Geschichte über Tradition und Rollenerwartungen kann Ihnen natürlich nicht fremd sein. Sie sind schließlich die erste Frau aus Saudiarabien, die bei einem Film Regie geführt hat. Vor allem verspüre ich großen Respekt und Demut, wenn ich an Mary Shelley denke. Ich habe noch nichts geleistet, was ihrem Buch auch nur nahe kommen könnte – es ist ein intelligenter Klassiker der Weltliteratur. Als saudiarabische Frau ist es schwer für mich, meine Stimme zu nutzen. Frauen haben es in Saudiarabien nicht leicht, nirgendwo auf der Welt werden sie so unterdrückt wie dort. Sie haben einen US-Diplomaten geheiratet, haben zwei Söhne und leben heute in Bahrain. Wie viel Rebellin steckt in Ihnen? Einiges. Meine Eltern waren recht liberal. Daher lief ich zu Hause ohne Schleier herum, auch im Garten und gegenüber männlichen Angestellten. In der Schule musste ich natürlich komplett verschleiert sein. Ich fühlte mich daher oft als Außenseiterin. Wie war damals eigentlich die offizielle Reaktion auf „Das Mädchen Wadjda“? Die Konservativen sahen es gar nicht gern, wenn eine Frau einen Film dreht, der andere Araberinnen inspirieren könnte. Im Internet sind entsprechende Kommentare erschienen, aber ich habe sie nicht persönlich genommen. Gibt es in Saudiarabien schon einen „AlMansour“-Effekt? Interessieren sich mehr Frauen für das Regiehandwerk? Auf jeden Fall kann man beobachten, dass Frauen viel mehr für ihre Chancen kämpfen und neue Dinge ausprobieren wollen. Der Umbruch in Saudiarabien geht nur sehr langsam voran, aber zumindest passiert irgendetwas.