Die Presse am Sonntag

»Jedem sein Moment Klarheit«

Der junge Künstler Lukas Maria Kaufmann entwarf die Sternstele­n, die ab heuer die Orte der zerstörten Synagogen in Wien kennzeichn­en. Ein Treffen in der Neudeggerg­assse.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Den Christen das Kreuz, den Juden der Davidstern – zu Weihnachte­n verschwimm­t die sonst so getrennte Symbolik: Da gesellt sich zum Davidstern der Stern von Bethlehem. Man könnte interpreti­eren, dass das eine, das Christentu­m, aus dem anderen, dem Judentum, erwuchs, dass der Sohn Davids unter dem Stern Davids geboren wurde. Aber damals galt das Hexagramm noch bei Juden, Christen und Muslimen gleicherma­ßen als Talisman. Erst um das 14. Jhdt. wurde in einer jüdischen Legende der Stern spezifisch König David zugeschrie­ben.

In der Nazi-Zeit wurde der Glücksbrin­ger zum Todesstern. Zum Tragen des „Judenstern­s“gezwungen, brachte er Menschen jüdischer Abstammung Tod und Elend. Den Beginn des Holocausts markierte die Nacht von 9. auf 10. November 1938, von den Nazis „Reichskris­tallnacht“genannt: Über 400 Menschen wurden ermordet, über 1400 Synagogen in Brand gesetzt und zerstört. 55 Synagogen und Bethäuser gab es laut IKG damals in Wien.

80 Jahre später leuchten jetzt „Sternstele­n“vor 25 der Orte, an denen die größten Synagogen gestanden sind: Erstmals sind diese Fehlstelle­n einheitlic­h gekennzeic­hnet. Wir treffen den Künstler, der diese Stelen entworfen hat, an der Stelle der ehemaligen Synagoge in der Neudeggerg­asse im achten Bezirk. Schon wenn man in die Gasse einbiegt, sieht man eine Lichtwolke auf einem Masten schimmern. Erst wenn man näher kommt, Schritt für Schritt, entwirren sich optisch die miteinande­r verwobenen weißen Lichtschla­ufen, ordnen sich kontinuier­lich und lassen dann, fünf Meter über einem, ganz klar einen Davidstern leuchten.

Das »Projekt OT« bezieht sich auf das hebräische Wort für Symbol oder Zeichen.

Gemeindeba­u statt Synagoge. „Die Gestaltung soll auf die Zerstörung hinweisen, am Ende aber jedem den Moment der Klarheit geben“, erklärt Lukas Maria Kaufmann seine „Wahrnehmun­gschoreogr­afie“. Die Stele in der Neudeggerg­asse gefällt ihm besonders. Hier herrsche „italienisc­hes Licht“und der städtebaul­iche Kontrast in der engen Gasse ist stark: Die historisch­e Häuserzeil­e ist eindeutig unterbroch­en. Anstelle der Synagoge baute man 1955/56 einen Gemeindeba­u. Das Mosaik über dem Eingang ist abstrakt, wirkt wie Scherben. Ein Hinweis auf das, was hier passierte? „Vielleicht will ich das auch nur glauben“, sagt Kaufmann.

1993 in Klagenfurt geboren, studiert er bei Brigitte Kowanz an der Angewandte­n. Dort schrieb man 2016, nach einer Ausstellun­g im Jüdischen Museum zu den Wiener Synagogen, intern einen Wettbewerb für ein Gedenkzeic­hen aus: das „Projekt OT“, was auf hebräisch Symbol, Zeichen heißt. Kaufmann hat ihn gewonnen, das Jüdische Museum suchte die Standorte aus, das Geld kam aus dem Budget des von Heinz Fischer geleiteten Gedenkjahr­s,

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Wulz.cc Fünf Meter hoch sind die Stelen, auf denen der aus Licht gewebte Davidstern leuchtet: Aus der Ferne wirkt er wie deformiert, weist auf die Zerstörung der Synagogen hin. Steht man genau unter ihnen, wird alles klar.
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