»Glaube ist wie ein Schuh – oder ein Tarnmantel«
Autorinnen wie Nora Gomringer und Sibylle Lewitscharoff passen so gar nicht ins verbreitete »brave« Image von christlichen Autoren. Im areligiösen Mainstream unseres Kulturlebens haben diese überhaupt etwas Rebellisches: Über eine rar gewordene Spezies.
Lang ist es her, dass „ketzerische“Autoren in Europa von der Zensur verfolgt und der öffentlichen Meinung gebrandmarkt wurden. Heute befremdet im deutschsprachigen Raum eher das Gegenteil: Schriftsteller, die überzeugte Christen sind. Sie sind, in Sachen Religion, die neuen Abweichler vom Mainstream. Rar sind sie geworden, vor allem in Europa, die Schriftsteller, die sich wie der Österreicher Alois Brandstetter als gläubige Christen bekennen.
In den USA etwas weniger. Dort erzählt etwa die fantastische, auch von Barack Obama verehrte und mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Marilynne Robinson vom Leben und Glauben im fiktiven Ort Gilead, Zentrum mehrerer Romane. Ein bekennender Christ war auch der 2009 verstorbene John Updike, der Autor der Affären und scheiternden Ehen. Im Grunde dreht sich in seinen Romanen alles um Sex – und Religion. Kirchengemäße christliche Moral findet man bei ihm nicht, für Updike aber war das kein Widerspruch: Er feierte im Sex das Leben; und im Leben Gott, den Schöpfer und endlosen Vergeber.
Auch die schweizerisch-deutsche Lyrikerin Nora Gomringer wirft gängige Vorstellungen von einem „christlichen Autor“über den Haufen. Sie gewann mit ihrem Team die deutschen PoetrySlam-Meisterschaften, 2015 den Bachmannpreis, ihre Kunst ist frisch, wild, ungeniert. Mit der „Presse am Sonntag“sprach sie über ihr frommes und weniger frommes Leben, ihren weiten Wunderbegriff und warum über den Glauben zu reden ist, als würde man sich in Unterwäsche zeigen. Einst stießen nicht gläubige Künstler die Menschen vor den Kopf, heute ist es umgekehrt. Welche Reaktionen erleben Sie als Autorin, wenn es um Ihren Glauben geht? Nora Gomringer: Es gibt Verwunderung, ich habe aber das Gefühl, das hat nicht generell damit zu tun, dass da eine Au- torin gläubig ist, es hat mit meiner Person zu tun. Man wundert sich: Gerade die! Diese junge, sehr lebendige Frau – ich bin das Gegenteil von dem, was sich viele unter christlich vorstellen. Die Leute haben ein sehr konservatives Verständnis davon, das finde ich ganz schlimm. Der Glaube, für den Jesus eintritt, ist etwas anderes, er ist auf viele Lebensentwürfe anwendbar. Ich habe mich dort nie abgewiesen gefühlt. Auch dass Sie frei heraus über Ihren Glauben reden, ist nicht selbstverständlich . . . Manche Bekannte sagen mir auch: Du musst das nicht allen auf die Nase binden! Aber ich kann dadurch auch meine Arbeit authentischer machen. Wenn ich im Gedicht „Für Anna“schreibe: „Dein Herz ein Kuckucksei in deiner Schilfbrust“, oder: „nennt dich alle Welt Hiobtochter, Moseskind“, dann fragen mich Schüler bei Lesungen immer nach diesen Bildern. Ich sage dann, dass diese Bilder auch von einem Ort kommen, den ich Glaube nenne. Ich komme gerade von einer Lesung vor 300 Schülern, da hat mich einer gefragt: „Ja sind Sie auch fromm?!“ Sind Sie es? Ich lebe fromm und nicht so fromm, auch, was die Gebote angeht. Viele gucken auf mein Leben und sagen, wo bitte ist denn die gläubig?! Aber die Grenzen des Glaubens sind für mich weiter gefasst, wie die Grenzen jedes Wunders. Die Geburt eines Babys ist für mich zum Beispiel ein Wunder wie die Teilung eines Meeres. In der Kirche bin ich oft, nur nicht immer in der gleichen. Und natürlich gibt es zwischendurch auch das Gefühl, nicht in den eigenen Glauben zu passen. Wie fühlt er sich an für Sie? Er kann sein wie ein guter Schuh, der einen sehr weit laufen lässt, ein Leben lang. Oder auch wie ein Tarnmantel, in dem man sehr still leben kann.