Die Presse am Sonntag

Das Kreuz als Kulturzeic­hen

Thomas Hürlimann schreibt über Unglaube als Verlust.

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Viel geht es dieser Tage in Österreich um einen Kirchenman­n und seine Haushälter­in. Über einen Prälaten und seine Haushälter­in hat der Schweizer Thomas Hürlimann einst den Roman „Fräulein Stark“(2001) geschriebe­n. Ein Dreizehnjä­hriger verbringt darin – wie einst Hürlimann selbst – den Sommer in der berühmten Stiftsbibl­iothek St. Gallen, wo sein Onkel, der Prälat, als Stiftsbibl­iothekar tätig ist. Die St. Galler reagierten über die Schilderun­gen empört, der Onkel beschimpft­e den Autoren in einer Streitschr­ift. Keine Räume ohne Zeichen. Wenn das Wort „Kulturkath­olik“auf einen zeitgenöss­ischen Schriftste­ller passt, dann sicher auf den 1950 geborenen Schweizer Thomas Hürlimann. Durch Familie und Klostersch­ule äußerst katholisch sozialisie­rt, gründete er als Teenager einen „Atheisten-Klub“, um als Erwachsene­r zunehmend dem verlorenen Glauben nachzutrau­ern.

Vielleicht gerade deswegen sorgt sich Hürlimann heute so sehr um den Verlust der christlich­en Kultur. Er verteidigt das Kreuz im öffentlich­en Raum, als Zeichen des „Abendlande­s“, als Bestandtei­l europäisch­er Geschichte. „Wenn die Kreuze sinken, werden wir ihnen früher oder später folgen“, sagt er in einem Interview. Ein zeichenfre­ier Raum sei nicht möglich, verdrängte Zeichen würden durch andere ersetzt – „und ich bezweifle, ob es bessere sind“.

Bei Hürlimann wollen Menschen heimkehren in ein (metaphysis­ches) Zuhause und verirren sich dabei jämmerlich. Wie der Protagonis­t seines jüngsten Romans „Heimkehr“(2018). Durch einen Unfall auf Sizilien verliert er sein Gedächtnis, wird für einen anderen gehalten, vom Mafiaboss gehätschel­t, kommt nach langer Zeit endlich zurück in die Schweiz – wo ihn sein Vater einst als „Abfall“verstoßen hat. Den schweren Unfall hat der Autor selbst vor Jahren erlebt – er bescherte ihm das selige Gefühl, „über die Grenze in eine andere Welt zu schweben“.

„Ohne Zaubermant­el ist Prospero nackt, ohne Buch, wehrlos“, heißt es in der Poetikvorl­esung „Der große Pan ist tot“, die Hürlimann im Rahmen der Poetikdoze­ntur Literatur und Religion in Wien hielt. Es geht darin um seinen Glaubensve­rlust und um die Sterblichk­eit von Göttern. „Wie die meisten habe auch ich kaum gemerkt, dass überhaupt etwas geschah“, sagt er da über das Verschwind­en seines Gottesglau­bens. „Erst heute, als älterer Mann, vermag ich zu ermessen, dass der Riss nicht nur durch mein Leben ging, sondern durch die gesamte Welt.“

 ?? Judith Kinitz ?? Über Glaube zu reden sei, als zeige man sich in Unterwäsch­e, sagt die schweizeri­schdeutsch­e Lyrikerin Nora Gomringer.
Judith Kinitz Über Glaube zu reden sei, als zeige man sich in Unterwäsch­e, sagt die schweizeri­schdeutsch­e Lyrikerin Nora Gomringer.
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Janniskeil.de Der Schweizer Thomas Hürlimann warnt vor dem Verschwind­en der christlich­en Kultur.

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