Dantes Hölle im Jahr 2013
Sibylle Lewitscharoff bringt Himmel und Hölle in Bewegung.
Professoren aus aller Welt befinden sich 2013 auf einem Dante-Kongress in Rom, es geht gerade besonders ernsthaft zu, geredet wird über den Zusammenhang der „Göttlichen Komödie“mit den nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Da fährt plötzlich ein „nagelneues Pfingstwunder“dazwischen: Die Professoren beginnen zu hüpfen, zu zwitschern, zu blöken, mit den Armen wie mit Flügeln zu schlagen. Dann erklingt ein unbeschreiblicher Ton, alle sind selig, alle verstehen einander. Dann öffnet der Hausmeister ein Fenster, und die berauschten Wissenschaftler fliegen davon, hinauf in den Himmel. Derb, würzig, zart. Wie ein toller Spaß kommt das Wunder im Roman „Das Pfingstwunder“(2014) der BüchnerPreisträgerin Sibylle Lewitscharoff daher: „würzig, derb und zugleich zart“wie Lewitscharoffs Bücher (das Zarte darin wird allzu oft übersehen). Sie irritieren, weil sie herrlich komisch Himmel und Hölle in Bewegung setzen, ohne dass man sie bequem als Parodien verstehen könnte.
Sibylle Lewitscharoff, heute 64, wurde in ihrer Jugend geprägt vom frühen Selbstmord ihres Vaters, ihrer tiefgläubigen Großmutter und viel Trotzki- und Marx-Lektüre. Sie ist evangelisch und nimmt ernst, was viele Theologen heute nicht mehr wagen: Himmel, Hölle, Gnade, Wunder. Letzteres fasst sie wie Nora Gomringer (siehe In- terview auf der linken Seite) recht weit. Ein Wunder kann auch ein Löwe sein, der plötzlich im Arbeitszimmer eines Philosophen sitzt und nicht mehr weggeht (im Roman „Blumenberg“).
Natürlich hat Sibylle Lewitscharoff es als Schriftstellerin leichter als moderne Theologen mit dem Beim-WortNehmen der Bibel: Sie darf es spielerisch angehen. Und so experimentiert und spekuliert sie wild herum. In „Das Pfingstwunder“etwa darüber, wie man sieben Jahrhunderte nach Dante über die Hölle reden könnte (der Himmel blüht den Gelehrten erst auf den letzten Seiten). Erlösung darf nicht leicht sein. „Ohne Sünde und Hölle nämlich kann sich Lewitscharoff auch Himmel und Gnade nicht vorstellen. Eine höllenfreie Theologie, sagte sie im Interview mit der „Presse am Sonntag“, komme ihr vor wie „Seelenmassage light, ohne Verantwortung für den Nächsten. Unsere bösen Taten sind ja böse, weil sie anderen Leiden bereiten.“Erlösung dürfe nicht allzu leicht zu haben sein, und sie wolle doch nicht, dass Hitler und Stalin „fröhlich im Himmel herumturnen“.