Von null Religion zum Vikar
Für Christian Lehnert war Religion Rebellion – gegen die DDR.
Bekannt ist der gebürtige Dresdner Christian Lehnert vor allem für seine Gedichte. Während etwa Lewitscharoff, Hürlimann oder Hoppe den Glauben mit der Muttermilch aufgesogen haben, wuchs Lehnert in der DDR religionslos auf – um viele Jahre später, sogar als Vikar in Dresden, zum wohl kirchennächsten unter den renommierten deutschsprachigen Autoren zu werden. Kirche war Freiheit. Vielleicht zwei, drei Mal habe er als Kind zu Weihnachten eine Kirche betreten, erzählte er einmal. Erst als Teenager, als er „intellektuell erwacht“sei, habe die Kirche ihn angezogen – als „wichtigste Öffentlichkeitsform, die nicht staatlich kontrolliert war“. Lehnert verweigerte dann auch den Wehrdienst.
Für Lehnert ist Religion kein Glücklichmacher, allein schon weil sie mehr Fragen aufwirft, als sie beantwor- tet – und Gott ist bei ihm vor allem ein Abwesender. Gedichte haben für Lehnert nicht primär mit Religion zu tun. Doch er sieht sie wie das Gebet als ein „suchenden Sprechen“– mit Momenten, in denen man das Gefühl habe, nicht selbst zu sprechen, sondern „gesprochen zu werden“. Welten, die sich nicht sofort dem Zugang der Sprache erschließen, machen Angst, stellt er fest: „Das betrifft die Liebe, das betrifft den Tod, die Religion – und auch die Poesie“. Das religiöse Sprechen, sagte er in einer Wiener Poetikvorlesung, sei „hochprozentiger Art“– „unerwartet, dicht, wirksam“.