Wie sich die Opposition neu erfinden will
Das vergangene Jahr war für die Oppositionsparteien durchwachsen bis desaströs. In diesem Jahr wollen sie mit neuen Parteivorsitzenden, Themen und Strukturen einen Neustart wagen. Das sind ihre Rezepte gegen Türkis-Blau.
Kanzler Sebastian Kurz konnte sein Glück des vergangenen Jahres selbst kaum fassen. Er habe nach Angelobung seiner türkis-blauen Regierungskoalition Ende 2017 mit einem Absturz der Umfragewerte gerechnet, sagte er auf das vergangene Jahr zurückblickend.
Passiert war allerdings das Gegenteil: Seine Persönlichkeitswerte und die seiner Partei klettern stetig aufwärts. Neidvoll blicken Vorsitzende konservativer Parteien in ganz Europa nach Österreich. Und so ist es auch kein Zufall, dass sich der Spitzenkandidat der europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, nun zum Start seines EUWahlkampfs mit Kurz beim Neujahrskonzert zeigte. Seine Kampagne ähnelt der des österreichischen Kanzlers teilweise frappant. Weber hat angekündigt, dass er im EU-Wahlkampf starke Präsenz in Österreich zeigen wolle.
Der Erfolg der türkis-blauen Regierung ist aber nicht nur Polittalent Sebastian Kurz und dessen Strategen zuzuschreiben. Einen guten Anteil daran haben auch Kurz’ schwächelnde Gegner. Die Opposition kam im vergangenen Jahr nur schwer in die Gänge.
Die SPÖ sah es als zweitgrößte Partei des Landes die längste Zeit offenbar als historischen Irrtum an, nicht mehr auf der Regierungsbank zu sitzen. Sie fand nur schleppend in ihre Oppositionsrolle. Interne Querelen, Richtungsstreitereien und Machtkämpfe kamen dazu und gipfelten schließlich in einem überhasteten Abgang von Parteichef Christian Kern.
Ähnlich erging es der Liste Pilz, die sich vergangenes Jahr ebenfalls lieber mit Selbstfindung als mit Wählern und Inhalten beschäftigte. Nach den Vorwürfen der sexuellen Belästigung gegen Peter Pilz und dessen damit einhergehendem Ausscheiden aus dem Nationalrat begannen die internen Streitereien. Klubchef Peter Kolba verließ schließlich polternd die Bühne. Die Abgeordnete Martha Bißmann wurde aus dem Klub geworfen – und Peter Pilz bekam nach massivem internen Druck sein Nationalratsmandat zurück. Das war nur möglich, weil Maria Stern auf ihr Mandat verzichtete.
Die Grünen setzten all ihre Hoffnung nach dem Rauswurf aus dem Nationalrat auf die Länder – stürzten aber auch dort in den Landtagswahlen ab. Deswegen verloren sie weitere Mandate im Bundesrat und daraufhin Klubstatus. Seitdem versuchen sie, den Scherbenhaufen zu beseitigen.
Und dann waren da noch die Neos, deren Parteichef Matthias Strolz ob des desaströsen Zustands der oppositionellen Mitbewerber plötzlich als Oppositionsführer wahrgenommen wurde. Und der dann plötzlich beschloss, aus der Politik zu scheiden.
Die vergangenen Monate vor dem Jahreswechsel waren die Oppositionsparteien mit interner Neuaufstellung beschäftigt, um nun mit neuen Chefs, Strukturen und Strategien in das neue Jahr zu starten. Die SPÖ. In der Löwelstraße ist es vorerst etwas ruhiger geworden. Nach Christian Kerns Abgang übernahm Pamela Rendi-Wagner das Ruder. Sie ist die erste Frau an der Spitze der Sozialdemokratie. Sie machte Ex-Kanzleramtsminister Thomas Drozda zum neuen Bundesgeschäftsführer, Ex-Infrastrukturminister Jörg Leichtfried lenkt operativ den Klub, mit Stefan Hirsch gibt es seit Kurzem einen neuen Kommunikationschef. Noch weht Rendi-Wagner zum Teil rauer Gegenwind der Länderchefs entgegen – die Wogen sind aber momentan einigermaßen geglättet, sodass man sich auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren kann.
Die vier inhaltlichen Schwerpunkte für das kommende Jahr wurden bereits fixiert. So will man beim Thema „leistbares Wohnen“konstruktive Vorschläge machen: Die Umsatzsteuer auf Mieten soll gesenkt werden, Maklerprovisionen sollen künftig die Vermieter übernehmen – und die SPÖ fordert ein Universalmietrecht, das nicht nur für Alt-, sondern auch für Neubauten gilt.
Man will eine Steuerreform, die „nicht nur die Konzerne, sondern die Arbeitnehmer entlastet“, sagt Drozda. Zuletzt hat es interne Diskussionen um die Vermögensteuern gegeben – ob Rendi-Wagner nun eine derartige befürworte oder nicht. „Natürlich ist das ein Thema – aber es steht momentan nicht im Vordergrund“, sagt Drozda.
Die zwei weiteren Schwerpunktthemen sollen Rendi-Wagners Expertise als Medizinerin hervorstreichen: die Pflege und der Hausärztemangel. Zur Pflege, einem Thema, das auch die Regierung als Schwerpunkt auserkoren hat, hat die SPÖ bereits ein Konzept präsentiert: So wünscht man sich bundesweit einheitliche Pflegeservicestellen, eine Attraktivierung des Pflegeberufs und einen Pflegegarantiefonds.
Und dann wäre da freilich noch die EU-Wahl im Mai, die ab sofort Kernthema der SPÖ sein soll – Thomas Drozda leitet den Wahlkampf. Zur Strategie will er nicht zu viel verraten. Thematisch werde man sich auf Sozialdumping, Digital- und Konzernbesteuerung konzentrieren. Die Neos. Die Neos starten mit weiblicher Führung in das neue Jahr. Als Nachfolgerin von Matthias Strolz wurde Neos-Wien-Chefin Beate Meinl-Reisinger erkoren – die wenig später ver- kündete, schwanger zu sein, und sich nun bald in eine kurze Babypause verabschieden wird. Claudia Gamon bewirbt sich für die EU-Spitzenkandidatur und gilt – obwohl es noch interne Wahlen gibt – als gesetzt. Mit Stefanie Krisper haben die Neos eine weitere Abgeordnete, die es mit dem BVT-U-Ausschuss im vergangenen Jahr geschafft hat aufzuzeigen.
Auch die Neos haben ihre Themenschwerpunkte fixiert. „Für uns ist die EU – und damit die Wahl – ein sehr wichtiges Anliegen“, sagt Nick Donig, Bundesgeschäftsführer der Neos. Man wolle die Union konstruktiv mitgestalten – und gegen die Nationalisten, aber auch die Konservativen kämpfen. „Die Konservativen sagen, es darf keine Mehrheit der Nationalisten geben. Wir sagen, es darf auch keine Mehrheit und keine Allianz mit den Nationalisten geben.“
Weiters wolle man bei den Themen Pflege und Pensionen auf Reformen drängen. Steuerautonomie soll dieses Jahr ebenso ein zentrales Thema sein wie Integration und wie diese gut gelingen kann. Außerdem wollen Neos einen breiten Dialog zum Thema „Freiheit“anstoßen. Die Grünen. Die Grünen starten vorsichtig optimistisch in das nächste Jahr. Grund dafür geben ihnen langsam steigende Umfragewerte und gute Persönlichkeitswerte von Bundessprecher und EU-Spitzenkandidat Werner Kogler. Darum wolle man für die EUWahl alle Kräfte bündeln. Die Klimakrise und die Agrarindustrie sollen dabei im Fokus stehen. „In Europa herrscht eine große Verunsicherung, wie man zu gesunden Lebensmitteln kommt – ein Thema, das alle betrifft“, sagt Stefan Kaineder. Der Oberösterreicher gilt als neue Zukunftshoffnung der Grünen und ist im neu gewählten Bun- desvorstand vertreten. Dieser will im Hintergrund weiter an einem Programmprozess arbeiten, der sich vor allem der ökologischen und sozialen Frage widmet. Strukturell versuche man, mit wenigen Ressourcen und Geld neue Netzwerke zu spinnen, um für die Landtagswahlen in Wien und Steiermark im nächsten Jahr fit zu werden.
Im zweiten Halbjahr will der neue Bundesvorstand sich selbst, aber auch das Programm präsentieren. Werner Kogler soll als Bundesgeschäftsführer einen Vertreter bekommen – dass dieser zum Spitzenkandidaten für die Nationalratswahl 2022 aufgebaut werden soll, gilt als wahrscheinlich. Eine Fusion mit der Liste Pilz – wie sie der grüne Innsbrucker Bürgermeister, Georg Willi, angedacht hat – komme derzeit übrigens nicht infrage. Es gebe dazu weder konkrete noch unkonkrete Gespräche.
SPÖ, Neos und Liste Pilz werden nun von Frauen angeführt.