Der unerwartete usbekische Frühling
Fast drei Jahrzehnte lang kapselte sich Usbekistan von der Außenwelt ab. Der neue Präsident hat ein Tauwetter eingeleitet. Während die Geschäftswelt beflügelt ist, sind die Zeichen in der Politik weniger eindeutig. Wohin bewegt sich das einwohnerstärkste
Könnte man Euphorie messen, der Pegel würde weit ausschlagen hier im Palast der der Jugend in Taschkent. Ein lebhafter Sprachmix aus Usbekisch, Russisch und Englisch erfüllt den Eingangsbereich. Männer in eng anliegenden Anzügen und Frauen in Businesskostümen stehen bei Tee und Teigtaschen zusammen, ihre Gespräche drehen sich um neue Projekte und Player. Und um die „Veränderungen“, wie man in Usbekistan die Reformen der politischen Führung nennt, von denen einige ganz neu sind, einige ein paar Monate alt. Zu schön, um wahr zu sein, sind sie noch immer.
Die zweite Ausgabe der Global Entrepreneurship Week findet in Taschkent in einer Woche im Spätherbst 2018 statt. Es ist eine Unternehmerkonferenz, wie es sie überall auf der Welt gibt, mit computerausgedruckten Badges und genormten Goody Bags. Nichts Besonderes? Doch, hier schon.
Im Jugendpalast, mit seiner Glasfront und den neubarocken Säulen ein Musterbeispiel der usbekischen Bürokratenarchitektur, feiert man ein Symbol der neuen Ära, das bis vor Kurzem kränkelte und nun endlich gedeihen soll in dem zentralasiatischen Land: den Privatunternehmer. Von London nach Taschkent. Usbekische Unternehmer sind dieser Tage euphorisch. „Excited“, wie Hikmet Abdurachmanow sagt, Organisator des Events. Da ist der Gründer der Supermarktkette Korsinka, der alle paar Tage eine neue Filiale eröffnet. Der Vorstandsvorsitzende der Universal Bank, der seinen Traum vom Onlinebanking bald verwirklichen will. Der Chef einer Werbeagentur, ein aufgeweckter Mann mit Undercut und Dreitagebart, der von seinem Geschäft schwärmt: „Mehr Menschen brauchen Reklame, weil die Konkurrenz wächst.“
Oder die Brüder Javlon und Jasur Umarow, smarte Typen „Ende zwan- zig, Anfang dreißig“, wie sie selbst sagen. Als Steuer- und Finanzberater nehmen es die Brüder sonst genau mit den Zahlen. Beide studierten und arbeiteten im Ausland, Jasur in London, Javlon in Dubai. Als sie von den Umwälzungen in Usbekistan erfuhren, entschieden sie sich für die Rückkehr. „Es war die richtige Zeit“, sagt Jasur. Vor einem halben Jahr gründeten sie ihre Consultingfirma Finspect Advisory. Für ausländische Firmen bieten sie günstige Finanzdienstleistungen an. Auch immer mehr heimische Unternehmen brauchen Beratung, jetzt, da man Business machen kann. „Die Nachfrage wächst rapide“, sagen sie.
Hinter all diesen Biografien steht die Geschichte eines unerwarteten, aufsehenerregenden Wandels. Usbekistan öffnet sich, nachdem es viele Jahre lang unter Staatschef Islam Karimow ein abgeschottetes Land mit einem allmächtigen Geheimdienst war. Seit dem Tod des Diktators im September 2016 hat sein Nachfolger, Schawkat Mirsijojew, ein Modernisierungsprogramm angeordnet, eine Evolution, von oben nach unten, nur ja nicht umgekehrt. Das Tauwetter kam unerwartet: Mirsijojew war lange Jahre Premierminister unter Karimow. Ein knallharter Apparatschik. Doch dann liberalisierte er die staatlich gelenkte Wirtschaft, lockerte die politischen Zügel ein wenig und öffnete die Grenzen zu den Nachbarstaaten. Für viele Usbeken fühlt sich das kleine Stückchen Freiheit wie eine große Befreiung an.
In Taschkent glauben viele Beobachter, Russland habe bei der Machtübergabe ein Wörtchen mitgeredet. Moskau habe auf einen Pragmatiker als Nachfolger statt eines Geheimdienst-
Für viele Usbeken fühlt sich das kleine Stückchen Freiheit wie eine große Befreiung an.
mannes gedrängt, heißt es. Tatsächlich verglichen Experten Karimows Kontrollsystem mit einem Druckkochtopf, der einmal explodieren würde. Der größte Feind der Buchhalter. Wenn man verstehen will, welche Chancen und Risken der 32 Millionen Einwohner zählende Binnenstaat hat, muss man mit Julij Jusupow sprechen. Der Mann mit randloser Brille und kahlem Haupt bezeichnet sich selbst als „ersten Ökonomen“Usbekistans. Es ist keine Übertreibung: Der 51-Jährige las Vorlesungen in kapitalistischen „Economics“, als an der Taschkenter Universität noch Planwirtschaft auf dem Lehrplan stand. Später gründete er das Center for Economic Development für Wirtschaftsforschung und Consulting. Seit Jahren war er in anderen Staaten Zentralasiens ein gefragter Berater, nur nicht in seiner Heimat. Das ist nun anders. „Ich kann kaum noch schlafen vor Anfragen und Aufträgen.“Auch von staatlicher Seite: Das liberale Steuergesetz, seit Jahresbeginn in Kraft, ist sein Werk. „Ich bin der größte Feind der Buchhalter“, sagt Jusupow und lacht. Buchhalter, die als Einzige das Ex-Diktator Islam Karimow wurde ins Museum verfrachtet. Der Journalist Nikita Makarenko (r.) ist dennoch nicht sicher, ob die politische Wende nachhaltig ist. alte System durchblickten und sich nun umstellen müssen.
Jusupow erzählt von den Veränderungen mit der ruhigen Stimme des Ökonomen, der seit jeher wusste, dass Karimows Staatswirtschaft schlecht für den Wohlstand der Bürger war. Er erzählt vom ersten und wichtigsten Schritt, der Freigabe des Wechselkurses, die den Schwarzmarkt so gut wie ausschaltete und ermöglichte, dass die Menschen an Devisen kommen. Von der Senkung der Importzölle. Und den vielen Dingen, die noch zu tun sind: der Reform der Landwirtschaft, der Eindämmung der Bürokratie, Gewaltenteilung, Dezentralisierung. „Es gibt riesige Widerstände“, beschreibt er die unterschiedlichen Machtzentren, allen voran den einflussreichen Geheimdienst SNB. „Der Präsident hat kein geeintes Kommando. Und es fehlen ihm geeignete Kader.“ Neue Geschäftsreisende. „Diese Leute waren vergangenes Jahr noch nicht da“, sagt Akis Drakinos und deutet auf die anderen Gäste im Frühstückssaal des Taschkenter Hyatt. Wer hier geschäftig