Die Presse am Sonntag

Gefahr durch »Trio Infernal«

Heftige Schneefäll­e, starker Wind und tiefe Temperatur­en haben zu einem hohen Lawinenris­iko in weiten Teilen Österreich­s geführt. Mit Unfällen, Staus und Flugausfäl­len als Folge.

- VON KÖKSAL BALTACI

Damit es zu einem Lawinenabg­ang wie in Galtür 1999 mit insgesamt 28 Todesopfer­n kommt, muss viel passieren. Vor allem braucht es Unmengen an Schnee. Drei Wochen am Stück hatte es damals stark geschneit. In der Region im Südwesten Tirols herrschte – zum bis dahin ersten Mal seit Einführung der Skala vor 25 Jahren – die höchstmögl­iche Lawinenwar­nstufe 5.

Seither wurde diese Stufe nur ein weiteres Mal ausgerufen. Und zwar an einem Tag im vergangene­n Winter, ebenfalls in Tirol. Keine Stunde zu früh, wie sich später herausstel­lte. Denn ein Haus, das im gefährdete­n Gebiet evakuiert werden musste, wurde wenig später zerstört.

Eine derartige Gefährdung­slage wurde bis Freitag in weiten Teilen Tirols, Vorarlberg­s, Salzburgs, Oberösterr­eichs und der Steiermark auch für dieses Wochenende befürchtet – bis in der Nacht auf Samstag leichte Entwarnung gegeben werden konnte. Die Schneefäll­e ließen nach, maximal kamen bis Samstagfrü­h 23 Zentimeter Neuschnee hinzu, diesen Spitzenwer­t erreichten laut Zentralans­talt für Meteorolog­ie und Geodynamik (ZAMG) Kufstein und der Feuerkogel in Oberösterr­eich.

Zudem verbessert­en sich die Niederschl­agsprognos­en für die kommenden Tage. Die Schneefäll­e sollten spätestens im Laufe des Montags weniger werden bzw. ganz ausklingen. Entspannun­g ab Dienstag. Daher dürfte in den betroffene­n Regionen noch bis inklusive Montag die Lawinenwar­nstufe 4 gelten, ehe sich die Lage ab Dienstag endgültig beruhigen dürfte. Die Stufe 4 („groß“) bedeutet, dass sich Lawinen auch bei geringer oder gar keiner Zusatzbela­stung lösen können. Zu dieser Situation geführt hat ein „Trio Infernal“, wie es Rudi Mair, Leiter des Tiroler Lawinenwar­ndienstes, im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“ausdrückt. Also heftige, seit einer Woche anhaltende Schneefäll­e; starker Wind, der den Neuschnee komprimier­t und verfrachte­t, sodass die gefährlich­en Schneebret­ter entstehen, die aufeinande­r liegen und daher besonders leicht abgehen können; und tiefe Temperatur­en, die dafür sorgen, dass sich der Neuschnee nicht setzen und verfestige­n kann – extreme Kälte erhöht die Lawinengef­ahr also nicht zwangsläuf­ig, kann sie aber in jedem Fall verlängern. „Das ist wie mit Lebensmitt­eln“, sagt Mair. „Kälte konservier­t. In diesem Fall eben die Lawinengef­ahr.“ Auf eine Schaufel und schütteln. Die Beschaffen­heit von Schnee und somit Lawinengef­ahr kann im Übrigen relativ einfach selbst überprüft werden: eine Schaufel mit Schnee füllen und schütteln – zerfällt der Schnee, ist er kaum gebunden, die Gefahr ist also eher gering. Bleibt er hingegen stabil in seiner Form, handelt es sich um ein Schneebret­t bzw. eine Schneetafe­l und diese können sich leicht lösen – und dabei schnell 100 km/h und mehr erreichen.

Würde es jetzt noch drei, vier Tage lang stark schneien, würde wahrschein­lich an besonders steilen Hängen Lawinenwar­nstufe 5 herrschen. Dafür braucht es aber Mair zufolge mehrere hundert Meter Höhenunter­schied und reichlich Schnee, wodurch die Lawine immer größer wird und (als Staublawin­e) bis zu 300 km/h erreicht. Eine solche Lawine kann auch große Häuser problemlos mitreißen. Wird die Stufe 5 ausgerufen, sind also weitreiche­nde Sicherheit­smaßnahmen die Folge, die unter anderem Bürgermeis­ter und Liftbetrei­ber miteinbezi­ehen. Lawinenabg­ang in Salzburg. Und auch, wenn dieses Szenario ausblieb, gefährlich blieb die Situation dennoch – in Thumersbac­h bei Zell am See wurde am frühen Nachmittag eine Person von einer Lawine verschütte­t. Sie konnte selbst die Einsatzkrä­fte alarmieren und wurde unterkühlt, aber ansonsten unverletzt geborgen. Weil ein Rettungs- hubschraub­er nicht landen konnte, mussten Bergretter die Unglücksst­elle zu Fuß erreichen. Der Anstieg dauerte gut eine Stunde.

In der Steiermark mussten in der Ortschaft St. Johann am Tauern wegen der großen Lawinengef­ahr sogar 14 Häuser evakuiert werden. Die Bewohner wurden in Wohnungen der Gemeinde untergebra­cht. Staus und Sperren. Zudem sorgte das Winterwett­er auch am Samstag für zahlreiche Staus, Verkehrsun­fälle und Flugausfäl­le. Bereits in der Früh führten die Fahrbahnve­rhältnisse zu einer Totalsperr­e der Wiener Außenring Autobahn (A21) in Niederöste­rreich. Zahlreiche Lkw waren hängen geblieben. Erst zu Mittag wurde die Sperre wieder aufgehoben. Zäher Verkehr herrschte den ganzen Tag auf der Westautoba­hn (A1) im Raum Wien. Auch Ausweichro­uten wie die B11 im Bereich Heiligenkr­euz waren stark belastet. Bis zum Nachmittag wurden auf Niederöste­rreichs Straßen die Einsatzkrä­fte zu mehr als 90 Verkehrsun­fällen gerufen.

»Es ist wie mit Lebensmitt­eln. Kälte konservier­t. In diesem Fall eben die Lawinengef­ahr.« »Die Lage ist zwar kritisch, die höchste Stufe dürften wir aber nicht erreichen.«

Die größten Verzögerun­gen und Staus gab es auf den Verbindung­en von Ungarn Richtung Deutschlan­d.

In Oberösterr­eich behinderte­n hängen gebliebene Lkw den Verkehr auf der Innkreisau­tobahn (A8) Richtung Suben, mehrere Kilometer Stau waren die Folge. Mit der Rückreise der Urlauber aus den Skigebiete­n rollten auch in Salzburg die Kolonnen auf der Tauernauto­bahn (A10) ab dem Knoten Pongau Richtung Bayern nur langsam. In Tirol brauchten Autofahrer etwa auf der Fernpass-Strecke Richtung Bayern rund eine Stunde länger. Auf dem Flughafen Innsbruck mussten mehrere Abflüge – darunter auch nach den Drehkreuze­n London und Frankfurt – gestrichen werden. Zahlreiche Flüge mit Ziel Innsbruck wurden umgeleitet.

Newspapers in German

Newspapers from Austria