Was vom guten Stoff blieb
Österreichs Kleidermacher wehte der raue Wind aus Asien um. Die Branche bietet aber neben großen Pleiten auch Geschichten von kleinen Überlebenden und Neustarts Made in Austria.
Produzieren Sie das doch in Ungarn. Oder besser noch in Rumänien.“Gert Rücker hörte den Ratschlag bereits in den Achtzigern oft. Und ignorierte ihn. Als „echtem Achtundsechziger“habe es ihm nicht behagt, dass nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nur noch der Preis der Lohnminute zähle. 1993 meldete Rücker Insolvenz an.
Die großen Modemarken, die ihm zur Abwanderung geraten hatten, verließen schließlich selbst reihenweise das Land und entzogen ihrem Lohnschneider die Aufträge. Doch Rückers Firma JMB Fashion überlebte – entgegen seiner eigenen Erwartung. Heute arbeiten ab vom Schuss in der Südoststeiermark 40 Näherinnen. Kein Vergleich zu den Spitzenzeiten in den Achtzigern, als er hundert Mitarbeiter beschäftigte. „Schmerzhaft“war das und ging nur dank einer radikalen Nischenstrategie: JMB schneidert so kleine Serien, so kostenintensive Produkte und zu so flexiblen Konditionen innerhalb Österreichs, dass Billiganbieter an den Aufträgen kein Interesse haben. Mit ihren Näharbeiten für Firmen wie Sonnentor, Frauenschuh und noble Hotels wie das Wiener Sans Souci wächst der Umsatz leicht, sagt Rücker. „Keine großen Sprünge, aber es reicht“. Ein Trend zurück zu Handarbeit aus Europa sei spürbar. Unterwäsche aus der Garage. Der Trend kommt auch der Vorarlberger Firma Skinfit zugute. Wobei sich die Geschichte ihres Gründers Werner Battisti sehr von Rückers unterscheidet. Battisti startete 1997 in der Garage eine Minimanufaktur für Funktionskleidung – atmungsaktive Unterleiberl und Unterhosen für Sportler, und das zu einer Zeit, als es in der Vorarlberger Textilindustrie richtig krachte.
„Natürlich hat man Bedenken, wenn man sich in eine sterbende Industrie begibt“, sagt Reto Waeffler, der heute das operative Geschäft führt. Aber Skinfit habe sich mit den Stoffproduzenten zusammengetan, die sich schnell genug neupositionierten. „Eine sterbende Industrie ist immer eine Chance für einige, die etwas Gutes daraus machen und sich Nischen suchen“, sagt Waeffler. Hochwertige Hightechmaterialien, die für seine Funktionskleidung gebraucht werden, sind so eine Nische.
Vor allem, als in den 2000er-Jahren der Fitnessboom einsetzte. „Jeder wollte einen Marathon laufen und es gab eine Triathlon-Welle“, erinnert sich Waeffler. Die Vorarlberger segelten als österreichische Qualitätsmarke mit größtmöglichem Glaubwürdigkeitsanspruch oben mit. Heute hat man so etwas wie Kultstatus unter Sportfans und macht in Österreich und einigen Nachbarländern 20 Mio. Euro Umsatz.
Noch bevor Skinfit startete oder Rücker Insolvenz anmelden musste, markierte das Jahr 1986 eine Wende für Österreichs Kleidermacher: 1986 wurde erstmals mehr Kleidung importiert (für 14,9 Mrd. Schilling oder umgerechnet 1,1 Mrd. Euro), als im Land produziert wurde. Die Branche ist mittlerweile realistisch geworden. Den Rückhalt aus der Politik und die nötige Lobby hatte man bei der Ostöffnung nicht und verlangt sie heute nicht mehr. Die goldenen Sechziger sind lange vorbei. „Wir können nicht mit der Masse punkten, sondern nur mit höherpreisiger Qualität“, sagt Eva Maria Strasser, die Geschäftsführerin des Fachverbands der Textil-, Beklei- dungs-, Schuh- und Lederindustrie. Strasser ärgert es, dass die Textilindustrie und die Bekleidungsindustrie landläufig in einen Topf geworfen werden. Schließlich produziert die eine Branche den Stoff, die andere arbeitet damit. Den Kostendruck der Billiglohnländer spürten aber beide. 1973 arbeiteten noch 63.700 Menschen in Österreichs Textilbetrieben, 2017 waren es 11.500. Im Bekleidungssektor schrumpfte die Zahl im selben Zeitraum von 40.000 auf 6900. Ungemütliche Nischen. Sonst verläuft das Schicksal der Schwesternbranchen nicht so parallel. Die 243 verbliebenen Textilproduzenten – darunter Namen wie Lenzing und Linz Textil – sind großteils von Hemdengarn auf hochwertige Spezialfasern für die Industrie umgestiegen und weisen Umsatzzuwächse vor. Unter den 130 Kleidermachern kämpfen dagegen viele. „Selbst hochwertige Nischenprodukte haben es sehr schwer und müssen hart gegen den Wind segeln, die Konkurrenz ist ungemein groß“, sagt Strasser und nennt Namen, die vor einigen Jahren noch als Vorzeigebetriebe galten: Der Schweizer Wäschekonzern Triumph sperrte 2015 sein letztes österreichisches Produktionswerk zu. Konkurrent Wolford produziert zwar noch am Vorarlberger Stammsitz, aber schreibt auch unter chinesischer Führung Verluste.
Und die meisten Kleider, die „Made in Austria“sind, sind es ein Stück weit doch nicht. Denn die Bekleidungsindustrie lässt zu 90 Prozent in Lohnarbeitsländern nähen – allen voran in Rumänien, Bulgarien und Ungarn. Oder wie im Fall der Vorarlberger Marke Skinfit in Polen und Tunesien. Lässt sich das mit der Botschaft von höchster – und hochpreisiger – Qualität von und für Sportler vereinbaren? „Wir machen kein Geheimnis daraus, wo die Fertigung stattfindet“, sagt Waeffler. Sonst ist von der Prototypenentwicklung über die Kleinseriennäherei,
»Natürlich hat man Bedenken, wenn man sich in eine sterbende Industrie begibt.«
Mio. Euro.
Umsatz machten die 130 Kleiderhersteller Österreichs 2017. Die Zahl ihrer Mitarbeiter schrumpfte seit 1973 von 40.000 auf 6900. markiert eine Wende für die Bekleidungsindustrie: In dem Jahr wurde erstmals mehr Kleidung ins Land importiert als in Österreich produziert wurde.
Dieselbe Zahl an Mitarbeitern näht und verkauft heute unter ihrer Tochter in Seewalchen und Wien. „Wir schauen, dass die Personalkosten nicht 50 Prozent der Gesamtkosten überschreiten, das schaffen wir aber nicht immer“, sagt sie. Ihr Ergebnis sei daher nicht so berauschend wie bei anderen, die nur noch die Verwaltung in Österreich hätten. „Es geht sich aus, wir sind straff organisiert. Aber wir können uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen.“
Die Konkurrenz schläft nicht, seit das Dirndl wieder en vogue ist. Am wenigsten Angst macht Tostmann-Grosser allerdings die Billigkonkurrenz aus dem Osten. „Sie schadet zwar leider dem Image des Dirndls.“Aber an sich seien Globalisierung und Wirtschaftskrise dem Geschäft mit der Heimattracht zuträglich gewesen. „Die Kunden haben bei uns nach etwas Beständigem gesucht.“