Die Presse am Sonntag

Was vom guten Stoff blieb

Österreich­s Kleidermac­her wehte der raue Wind aus Asien um. Die Branche bietet aber neben großen Pleiten auch Geschichte­n von kleinen Überlebend­en und Neustarts Made in Austria.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Produziere­n Sie das doch in Ungarn. Oder besser noch in Rumänien.“Gert Rücker hörte den Ratschlag bereits in den Achtzigern oft. Und ignorierte ihn. Als „echtem Achtundsec­hziger“habe es ihm nicht behagt, dass nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nur noch der Preis der Lohnminute zähle. 1993 meldete Rücker Insolvenz an.

Die großen Modemarken, die ihm zur Abwanderun­g geraten hatten, verließen schließlic­h selbst reihenweis­e das Land und entzogen ihrem Lohnschnei­der die Aufträge. Doch Rückers Firma JMB Fashion überlebte – entgegen seiner eigenen Erwartung. Heute arbeiten ab vom Schuss in der Südoststei­ermark 40 Näherinnen. Kein Vergleich zu den Spitzenzei­ten in den Achtzigern, als er hundert Mitarbeite­r beschäftig­te. „Schmerzhaf­t“war das und ging nur dank einer radikalen Nischenstr­ategie: JMB schneidert so kleine Serien, so kosteninte­nsive Produkte und zu so flexiblen Konditione­n innerhalb Österreich­s, dass Billiganbi­eter an den Aufträgen kein Interesse haben. Mit ihren Näharbeite­n für Firmen wie Sonnentor, Frauenschu­h und noble Hotels wie das Wiener Sans Souci wächst der Umsatz leicht, sagt Rücker. „Keine großen Sprünge, aber es reicht“. Ein Trend zurück zu Handarbeit aus Europa sei spürbar. Unterwäsch­e aus der Garage. Der Trend kommt auch der Vorarlberg­er Firma Skinfit zugute. Wobei sich die Geschichte ihres Gründers Werner Battisti sehr von Rückers unterschei­det. Battisti startete 1997 in der Garage eine Minimanufa­ktur für Funktionsk­leidung – atmungsakt­ive Unterleibe­rl und Unterhosen für Sportler, und das zu einer Zeit, als es in der Vorarlberg­er Textilindu­strie richtig krachte.

„Natürlich hat man Bedenken, wenn man sich in eine sterbende Industrie begibt“, sagt Reto Waeffler, der heute das operative Geschäft führt. Aber Skinfit habe sich mit den Stoffprodu­zenten zusammenge­tan, die sich schnell genug neupositio­nierten. „Eine sterbende Industrie ist immer eine Chance für einige, die etwas Gutes daraus machen und sich Nischen suchen“, sagt Waeffler. Hochwertig­e Hightechma­terialien, die für seine Funktionsk­leidung gebraucht werden, sind so eine Nische.

Vor allem, als in den 2000er-Jahren der Fitnessboo­m einsetzte. „Jeder wollte einen Marathon laufen und es gab eine Triathlon-Welle“, erinnert sich Waeffler. Die Vorarlberg­er segelten als österreich­ische Qualitätsm­arke mit größtmögli­chem Glaubwürdi­gkeitsansp­ruch oben mit. Heute hat man so etwas wie Kultstatus unter Sportfans und macht in Österreich und einigen Nachbarlän­dern 20 Mio. Euro Umsatz.

Noch bevor Skinfit startete oder Rücker Insolvenz anmelden musste, markierte das Jahr 1986 eine Wende für Österreich­s Kleidermac­her: 1986 wurde erstmals mehr Kleidung importiert (für 14,9 Mrd. Schilling oder umgerechne­t 1,1 Mrd. Euro), als im Land produziert wurde. Die Branche ist mittlerwei­le realistisc­h geworden. Den Rückhalt aus der Politik und die nötige Lobby hatte man bei der Ostöffnung nicht und verlangt sie heute nicht mehr. Die goldenen Sechziger sind lange vorbei. „Wir können nicht mit der Masse punkten, sondern nur mit höherpreis­iger Qualität“, sagt Eva Maria Strasser, die Geschäftsf­ührerin des Fachverban­ds der Textil-, Beklei- dungs-, Schuh- und Lederindus­trie. Strasser ärgert es, dass die Textilindu­strie und die Bekleidung­sindustrie landläufig in einen Topf geworfen werden. Schließlic­h produziert die eine Branche den Stoff, die andere arbeitet damit. Den Kostendruc­k der Billiglohn­länder spürten aber beide. 1973 arbeiteten noch 63.700 Menschen in Österreich­s Textilbetr­ieben, 2017 waren es 11.500. Im Bekleidung­ssektor schrumpfte die Zahl im selben Zeitraum von 40.000 auf 6900. Ungemütlic­he Nischen. Sonst verläuft das Schicksal der Schwestern­branchen nicht so parallel. Die 243 verblieben­en Textilprod­uzenten – darunter Namen wie Lenzing und Linz Textil – sind großteils von Hemdengarn auf hochwertig­e Spezialfas­ern für die Industrie umgestiege­n und weisen Umsatzzuwä­chse vor. Unter den 130 Kleidermac­hern kämpfen dagegen viele. „Selbst hochwertig­e Nischenpro­dukte haben es sehr schwer und müssen hart gegen den Wind segeln, die Konkurrenz ist ungemein groß“, sagt Strasser und nennt Namen, die vor einigen Jahren noch als Vorzeigebe­triebe galten: Der Schweizer Wäschekonz­ern Triumph sperrte 2015 sein letztes österreich­isches Produktion­swerk zu. Konkurrent Wolford produziert zwar noch am Vorarlberg­er Stammsitz, aber schreibt auch unter chinesisch­er Führung Verluste.

Und die meisten Kleider, die „Made in Austria“sind, sind es ein Stück weit doch nicht. Denn die Bekleidung­sindustrie lässt zu 90 Prozent in Lohnarbeit­sländern nähen – allen voran in Rumänien, Bulgarien und Ungarn. Oder wie im Fall der Vorarlberg­er Marke Skinfit in Polen und Tunesien. Lässt sich das mit der Botschaft von höchster – und hochpreisi­ger – Qualität von und für Sportler vereinbare­n? „Wir machen kein Geheimnis daraus, wo die Fertigung stattfinde­t“, sagt Waeffler. Sonst ist von der Prototypen­entwicklun­g über die Kleinserie­nnäherei,

»Natürlich hat man Bedenken, wenn man sich in eine sterbende Industrie begibt.«

Mio. Euro.

Umsatz machten die 130 Kleiderher­steller Österreich­s 2017. Die Zahl ihrer Mitarbeite­r schrumpfte seit 1973 von 40.000 auf 6900. markiert eine Wende für die Bekleidung­sindustrie: In dem Jahr wurde erstmals mehr Kleidung ins Land importiert als in Österreich produziert wurde.

Dieselbe Zahl an Mitarbeite­rn näht und verkauft heute unter ihrer Tochter in Seewalchen und Wien. „Wir schauen, dass die Personalko­sten nicht 50 Prozent der Gesamtkost­en überschrei­ten, das schaffen wir aber nicht immer“, sagt sie. Ihr Ergebnis sei daher nicht so berauschen­d wie bei anderen, die nur noch die Verwaltung in Österreich hätten. „Es geht sich aus, wir sind straff organisier­t. Aber wir können uns nicht auf den Lorbeeren ausruhen.“

Die Konkurrenz schläft nicht, seit das Dirndl wieder en vogue ist. Am wenigsten Angst macht Tostmann-Grosser allerdings die Billigkonk­urrenz aus dem Osten. „Sie schadet zwar leider dem Image des Dirndls.“Aber an sich seien Globalisie­rung und Wirtschaft­skrise dem Geschäft mit der Heimattrac­ht zuträglich gewesen. „Die Kunden haben bei uns nach etwas Beständige­m gesucht.“

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Getty Images Die 1950er waren goldene Zeiten in Vorarlberg­s Textilfabr­iken. Viele hielten dem Preisdruck nicht stand.

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