»Antworten auf Sehnsüchte zu geben ist unser Geschäft«
Seit Jahresbeginn ist das Konzerthaus schuldenfrei. Nun sei es Zeit, »mutiger und lästiger« zu werden, sagt dessen Intendant Matthias Naske. Warum es für den Kartenverkauf wichtig ist, das Publikum zu irritieren, erklärt Naske der »Presse am Sonntag«.
Für das Wiener Konzerthaus beginnt das Jahr 2019 so gut wie schon seit vielen Jahren nicht. Zum ersten Mal seit 2001 ist es endlich wieder schuldenfrei. Nach jahrelangen, mühsamen Verhandlungen mit dem Bund und der Stadt Wien fand man gemeinsam mit der Wiener Konzerthausgesellschaft eine Lösung, um das Haus von dem millionenschweren Ballast zu befreien.
Die Generalsanierung des über hundert Jahre alten Gebäudes hatte das Konzerthaus in arge finanzielle Nöte gebracht. Ein 6,4 Mio. Euro hoher Kredit belastete seitdem den privaten Verein, die Wiener Konzerthausgesellschaft. Das versuchte auch Intendant Matthias Naske der Öffentlichkeit immer wieder mit alarmierenden Botschaften klarzumachen: „Das Wiener Konzerthaus ist bankrott“, sagte der Konzerthaus-Chef etwa in einem Interview im September 2013. Kurz zuvor hatte er von seinem Vorgänger Bernhard Kerres den Chefsessel übernommen, nachdem Kerres überra- schend seinen Abgang mit Saisonende verkündet hatte. Noch in einem Gespräch mit der „Presse“im Mai 2017 zeigte sich Naske darüber enttäuscht, mit der Politik bisher keinen gemeinsamen Weg gefunden zu haben, um die Schulden des Konzerthauses zu tilgen. Die mangelnde Bereitschaft von Bund und Stadt, einen Konsens zu finden, führte er auf folgenden Umstand zurück: „Das Problem, das die öffentliche Hand mit uns hat, ist, dass wir ein privater Rechtsträger sind. (. . .) Ich hatte die Naivität zu glauben, es sei egal, wer Träger ist. Es gehe nur um die Sache. Das aber stimmt nicht.“Ob die öffentliche Hand Geld fließen lässt, hänge vielmehr vom institutionellen Hintergrund einer Organisation ab. Kurz gesagt: Privates Engagement fördert der Staat nicht so gern wie sein eigenes. „Das ist für mich ein enttäuschender politischer Ansatz“, resümierte Naske bitter. „Denn ein Politiker hat seine Gestaltungsmacht optimal für die Sache und nicht für die Strukturen zu nutzen. Bei unserem letzten Gespräch 2017 schien eine Entschuldung noch in weiter Ferne. Seit 1. Jänner 2019 darf sich das Konzerthaus schuldenfrei nennen. Was ist passiert? Matthias Naske: Entscheidend war letztendlich, dass die Stadt Wien schlussendlich gesagt hat: „Okay, wir räumen da jetzt einmal auf.“Das hat bewirkt, dass der Bund sich auch dazu bereit erklärt hat, mitzuziehen. So ist das meistens, wenn man mit Gebietskörperschaften zu tun hat. Sie beziehen sich immer aufeinander. Erst wenn eine handelt, ist auch die andere bereit, dasselbe zu tun. So kam es zu diesem Schritt kurz vor Jahreswechsel, für den ich sehr dankbar bin. Jetzt gehört das Haus wieder uns. Und heute bin ich sehr froh darüber, dass wir privat sind. Auf der einen Seite konstituiert uns das in unserer Existenz und in dem, was und wie wir Dinge tun, auf der anderen Seite gibt uns die private Trägerschaft sehr viel Freiheit und Verantwortung. 2017 klangen Sie da noch ganz anders. Natürlich, wenn man Freiheit hat und an ihr zugrunde geht, erlebt man selbst die Freiheit als negativ. Wenn man sie jedoch zu leben lernt und die Menschen als kulturelle Institution einen tragen, dann ist Freiheit etwas sehr Schönes. 56,8 Prozent des Gesamtetats dieser Institution kommt aus dem Ticketverkauf, also unserer Kernaktivität. Das ist ein derart hoher Anteil am unternehmerischen Gesamtvolumen, wie es kaum bei einer anderen kulturellen Initiative der Fall ist. Verraten Sie uns, wieso hier gelingt, was woanders nicht gelingt? Das ist, glaube ich, möglich, weil dieses Haus in einer jahrzehntelangen Tradition steht und nicht nur gegenwärtig, sondern schon seit Langem gut geführt wird. Wir gestalten ein sozioökonomisches Ambiente, das Wien auch ausmacht. Das werden wohl auch andere Intendanten für sich in Anspruch nehmen. Das ist auch nichts, was wir hier erfunden haben, sondern entspricht einer langen Tradition. Unsere Aufgabe ist, sie lebendig zu machen und sie lustvoll und freudvoll zu erleben. Dass das gelingt, ist nicht nur unser Geschick. Wir versuchen Antworten auf Sehnsüchte von Menschen zu geben, und zwar sauber in Richtung Exzellenz. Das ist unser Kerngeschäft. Was heißt das genau, „in Richtung Exzellenz“? Exzellenz ist eine Metapher für etwas, was ganz schwer zu fassen und noch schwieriger zu definieren ist. In einem gelungenen Konzert spürt man, was Exzellenz ist. Ein gelungenes Konzert ist ein gelungenes Wunder, wie der ungarische Pianist Geza´ Anda sagt. Das ist natürlich eine Mystifizierung, denn ein gelungenes Konzert zu gestalten hat auch handwerkliche Komponenten. Der Künstler auf der Bühne muss in der Lage sein, den Zuschauern das Gefühl zu geben, dass sie etwas Exzellentes erleben. Wann kauft ein Zuschauer erneut eine Konzertkarte: Wenn seine Sehnsucht erfüllt wurde oder sie danach noch größer geworden ist? Sie sollte immer größer werden. Wirklich entscheidend ist, ob es zu einer Resonanz gekommen ist. Damit meine ich die Antwort des Einzelnen auf das, was da von außen kommt. Und Resonanz kann am besten entstehen, wenn es von außen ein Element der Irritation gibt. Nur Harmonie befriedigt nicht, nur Opposition aber auch nicht. Wir versuchen hier, das Element der Irritation ganz bewusst einzusetzen. Deshalb spielt hier eine Violinistin wie Patricia Kopatchinskaja Konzerte von Antonio Vivaldi und kombiniert sie mit zeitgenössischer italienischer Musik. Profan gesagt: Wenn es Ihnen nicht in den Konzerten gelingt, die Sehnsüchte der Menschen zu adressieren und sie auch zu irritieren, werden Sie auch wirtschaftlich nicht erfolgreich sein? Natürlich nicht. Darum gefällt es mir, dass wir hier so einen hohen Grad an Autonomie haben. Und ich habe mit der Zeit erkannt, dass der hohe Grad an Eigenwirtschaftlichkeit ein Vorteil ist – wenn man überlebt. Wenn man daran stirbt, ist es eher ungünstig. Stimmt. Was genau ist der Vorteil? Wir sind gezwungen, mit unserem Programm ganz nah an den Menschen zu sein. Wir können nicht einfach irgendwohin segeln. Darum ist es uns wichtig, mit den Preisen niederschwellig zu bleiben, dass wir sozial inklusiv arbeiten und barrierefrei sind. Dieses Gebäude ist 1913 eröffnet worden, da hatte man gegenüber behinderten Menschen noch nicht dieselbe Aufmerksamkeit wie heute. Wir werden nun eine große Fundraising-Kampagne starten, um das Haus für Menschen jeder Verfassung zugänglich zu machen. Das ist eine Herausforderung. Apropos Herausforderung. Haben Sie sich auch neue Finanzierungskonzepte überlegt? Selbstverständlich. Unser Haus ist ein Unternehmen wie jedes andere, nur ist unsere Gewinnorientierung eine andere. Die Wertschöpfung soll primär in den Menschen selbst entstehen.