Die Presse am Sonntag

Die Reichweite von Erfolgsspu­ren

Die Nordische WM in Seefeld kann Skispringe­rn, Langläufer­n und Kombiniere­rn neue Impulse geben, Talente und Sponsoren anlocken – Leerläufe sollen mit Medaillen getilgt werden.

- VON MARKKU DATLER

Die Nordische WM in Seefeld ist der Höhepunkt dieses Winters. Ab 19. Februar suchen 800 Langläufer, Kombiniere­r und Skispringe­r aus 60 Nationen in den Tiroler Bergen und auf Innsbrucks Bergisel Weltmeiste­r in 21 Bewerben. 200.000 Zuschauer samt Königsfami­lien aus Norwegen und Schweden (mit Loipen-Ikone Gunde Svan) werden erwartet. Russlands Präsident, Wladimir Putin, ist eingeladen, Polens Ministerpr­äsident, Mateusz Morawiecki, wird dabei sein, wenn Kamil Stoch abspringt. Ob Österreich ein „Wintermärc­hen“feiert wie in Ramsau 1999?

1964, 1976 und 2012 war Seefeld bereits Olympiaaus­tragungsor­t sowie 1985 ein WM-Gastgeber. Jetzt hat sich der 3300 Einwohner starke Ort auf 600 Metern Seehöhe wieder herausgepu­tzt. Schanze, Lift, Loipen, vier Schneekano­nen, neuer Bahnhof (WM-Betrieb im Halbstunde­ntakt aus Innsbruck, ICE-Stopp), schmuckes Sportzentr­um – das Event-Budget beträgt 18 Millionen Euro, 30 Millionen Euro wurden für die Infrastruk­tur aufgebrach­t. Es ist zwar nicht Olympia, aber trotzdem ein Sportfest mit weitreiche­nder Bedeutung. Die Baustellen. Eine sportlich erfolgreic­he WM wäre essenziell, weil Strukturen bei diversen Langlaufkl­ubs so festgefahr­en und verrostet sind, dass selbst in Österreich sesshaft gewordenen „Entwicklun­gshelfern“wie der norwegisch­en Traineriko­ne Trond Nystad die Haare zu Berge stehen. Neueinstei­ger sind rar gesät, von aussichtsr­eichen Weltcup-Hoffnungen in einer von Skandinavi­ern und Russen dominierte­n Sportart ganz zu schweigen. Die Familie Stadlober ringt zumeist allein an vorderster Loipenfron­t um den Anschluss zur Weltspitze.

Weil Kombiniere­r eine seltene Spezies sind in Österreich in Ermangelun­g von Perspektiv­en, öffentlich­er Wahrnehmun­g (bis auf den Weltcup in Ramsau) und Athleten. Auch bei den Skispringe­rn wird nach dem medaillenl­osen Olympia-Flop 2018 und einer durchwachs­enen Vierschanz­entournee händeringe­nd nach Talenten und Siegertype­n gesucht, weil jahrelang ungeachtet aller Folgen und Kosten ausschließ­lich ein Team mit fixen Startern forciert worden war. Biathleten für Langlauf-Staffel. Vom Wunder der WM 1999 blieben trotz sechs Medaillen – voran Staffel-Gold durch die Langläufer Markus Gandler, Alois Stadlober, Michail Botwinow und Christian Hoffmann – zu viele Wunden. Schwer gebeutelt durch diverse Dopingskan­dale, ob mit Blut, EPO oder dem Handel, befindet sich der Langlauf in Österreich wieder etwas im Aufwind. Zu verdanken ist das dem Einsatz von Alois Stadlober, der Gabe seiner Tochter Teresa, einzelnen Auftritten von Dominik Baldauf. Weil bei einer WM jedes Rennen von lokalen Größen besetzt sein will, im Langlauf speziell in der Staffel, fehlen aber aussichtsr­eiche Leistungst­räger. Nicht erst einmal keimte der Gedanke auf, zwei Biathleten „einzuladen“: Dominik Landerting­er und Julian Eberhard sollen, Gerüchten zufolge, noch für dieses Quartett nominiert werden.

Natürlich läuft Teresa Stadlober, 25, voraus ins Rampenlich­t. Eine Medaille würde ein weiteres Kapitel Loipengesc­hichte schreiben. 20 Jahre nach dem Vater auf dem WM-Podest zu stehen würde für viele als Inspiratio­n und Vorbild gelten. Für diese WM wurde alles andere hintangest­ellt, ihren Härtetest bestritt sie bei der Tour de Ski – mit Top-Ten-Plätzen. Ihr Auftritt, Franz-Josef! Kaum vorstellba­r, aber doch Realität: Würde man Medaillent­ipps aus Österreich suchen, gibt es um die Kombiniere­r kein Umhinkomme­n. Mario Seidl feierte in der WM-Saison im finnischen Ruka seinen ersten Weltcupsie­g. Dazu kommen Podestplät­ze durch Franz-Josef Rehrl, der mit 25 Jahren ebenfalls in der Weltspitze angekommen ist. Routiniers wie Lukas Klapfer und Bernhard Gruber sind auch noch im Rennen, sowohl im Einzel als auch mit der Staffel sind Podestplät­ze realistisc­h. 1999 war das ganz anders: Damals rettete Mario Stecher mit der einzigen Medaille (Bronze) dem Cheftraine­r den Job. Aufwind im Adlerhorst. Österreich­s Skispringe­r waren bei den Winterspie­len 2018 eine Enttäuschu­ng, spielten bis auf Stefan Kraft (Dritter in Oberstdorf, Zweiter in Innsbruck) bei der Tournee (Finale heute in Bischofsho­fen, 16.30 Uhr, ORF1) überhaupt keine Rolle. Das Flaggschif­f der Nordischen hat aber seit Oberstdorf 2005 noch bei jeder WM Edelmetall gewonnen. Vielleicht gelingt Gregor Schlierenz­auer ja der Sprung zurück in den WM-Kader. Der Tiroler feilt noch an Form und neuem Automatism­us – in Form wäre er die beste Hilfe. Lässt das vermeintli­ch stärkere Geschlecht aus, würden die Hoffnungen auf Schanzendo­yenne Daniela Iraschko-Stolz, 35, ruhen.

Die ÖSV-Adler gingen bei Olympia 2018 leer aus. Auch die Tournee 2019 war sieglos. Vater Alois gewann in Ramsau 1999 Gold. 2019 läuft Teresa Stadlober um WM-Edelmetall.

Den größten Gewinn dieser Saison aber stellt die bevorstehe­nde Rückkehr von Werner Schuster nach Stams dar. Sein Vertrag als deutscher Teamchef läuft mit Saisonende aus, der Abschied des 49-jährigen Vorarlberg­ers gilt als gewiss. Schuster will mehr Zeit bei seiner Familie verbringen – und Mario Stecher wird nichts unversucht lassen, um den karenziert­en Skisprungl­ehrer zurück an seine alte Wirkungsst­ätte zu führen. Mit Schuster als Leitwolf in der Ausbildung hätte Österreich wieder einen Trumpf im Ärmel. Unerlässli­ch für einen zukunftsfr­ohen Neustart aber sind Medaillen. Daran wird die WM in Seefeld gemessen werden.

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