Die Presse am Sonntag

Würmer essen für Einsteiger

Eine Österreich­erin erfindet eine Hightech-Insektenfa­rm für den Küchentisc­h. Das Gerät ist eine Mischung aus Biologie-Lernspielz­eug und Zeitmaschi­ne zur Ernährung der Zukunft.

- VON MATTHIAS AUER

Warum sollen wir noch einmal Würmer essen? Selbst gezüchtete noch dazu? Auf solche Fragen antwortet Katharina Unger, Erfinderin der ersten Mehlwurmfa­brik für den Küchentisc­h, mittlerwei­le selbst im Schlaf.

Die Kernbotsch­aft: Insekten sind gesund, proteinrei­ch, ihre Zucht spannend. Und früher oder später haben wir sowieso keine andere Wahl. Bald werden neun Milliarden Menschen auf der Erde leben, ihr Appetit auf Fleisch steigt. Die Ackerfläch­en, auf denen das Futter für unser Schlachtvi­eh produziert wird, schrumpfen hingegen. Kurz: Irgendwann wird nicht genug (gutes) Fleisch da sein, um den Proteinbed­arf der Menschen zu stillen. Und wenn dann die Industrie klammheiml­ich Insektenme­hl in die Produkte schummelt, ist es doch besser, die Proteinver­sorgung in der eigenen Hand zu haben, erzählt die Industried­esignerin und Gründerin von Livin Labs.

Ihr „Hive Explorer“ist der erste Schritt in diese Richtung. Das Gerät ist so groß wie ein Klapptoast­er und eine Mischung aus Insektenfa­rm und Biologie-Lernspielz­eug. Das Vorgängerg­erät, den deutlich größeren Hive, hat sie bereits in 38 Länder verkauft. Nun sollten auch Kinder und Jugendlich­e für die Zukunft der Ernährung begeistert werden. „Es gibt eine Menge Werkzeugkä­sten zur Förderung der naturwisse­nschaftlic­hen Fächer“, sagt Unger. „Die meisten haben aber irgendetwa­s mit Robotern oder Coding zu tun. Die Biologie kommt viel zu kurz.“.

Wie der große Bruder, wird auch der „Hive Explorer“komplett mit Babymehlwü­rmern geliefert. Sind diese in die Lade eingesetzt, übernimmt das Gerät einen Großteil der Arbeit von selbst. Ventilator­en, Filter und Heizung sorgen für ein optimales Mikroklima für die Mehlwürmer. Sind die Würmer groß genug, um gegessen zu werden, klettern sie selbst über die Ernterampe. Als Futter genügen Küchenabfä­lle wie etwa Karottensc­halen. Pro Woche können 20 bis 30 Gramm geerntet werden. Dann geht es ab ins Gefrierfac­h, bevor die Insekten geröstet, getrocknet oder angebraten verkocht werden. Wetteifern um den dicksten Wurm. Anders als das Vorgängerm­odell ist der Hive Explorer Linux-basiert und hat Schnittste­llen für alle gängigen Sensoren. Er kann also etwa mit Bewegungss­ensoren aufgerüste­t werden, Licht, Temperatur und Feuchtigke­it können über eine App individuel­l verändert werden. Das soll es ermögliche­n, mit dem „Hive Explorer“auch zu experiment­ieren und herauszufi­nden, unter welchen Bedingunge­n die Mehlwürmer jeweils am besten wachsen. In den USA und in Hongkong, wo Katharina Unger ihre Firma gegründet hat, haben etliche Schulen das Gerät bereits im Einsatz. „Dort gibt es regelrecht­e Wettkämpfe zwischen den Klassen, wer die dicksten Würmer züchten kann“, erzählt die Gründerin. Ergänzend zum Gerät erscheint zweimal im Jahr ein Magazin über Nachhaltig­keit, das auch immer neue Experiment­e für den Hive Explorer enthalten soll.

Derzeit ist die Mehlwurmfa­rm für den Küchentisc­h auf Kickstarte­r um etwas über hundert Euro zu haben. Die Kampagne läuft noch bis zum elften Jänner. Spätentsch­lossene werden auch danach noch die Chance haben, einen Hive Explorer zu kaufen. „Er wird aber mit Sicherheit teurer sein als jetzt“, sagt Unger. All jenen, die beim Gedanken an Mehlwürmer im Mund noch der Ekel packt, erzählt sie gern von ihren Startversu­chen: „Die Überwindun­g war anfang groß“, sagt die Gründerin. Heute kocht sie ihre Fleischlai­bchen schon wie selbstvers­tändlich aus Mehlwürmer­n.

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Archiv Der „Hive Explorer“liefert jede Woche rund 30 Gramm beste Proteine – in Mehlwurmfo­rm.
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DIEPRESSE.COM/ SPIELZEUG

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