Die Presse am Sonntag

Das Massaker im Kopf

- SOM

Frederika Amalia Finkelstei­n beschreibt in »Überleben« Frankreich nach den Terroransc­hlägen aus der Sicht der jungen Generation: angstbeset­zt, atemlos und doch auf der Suche nach innerer Freiheit.

Ava gehen die Bilder nicht mehr aus dem Kopf – die Bilder der Toten vom 13. November 2015, als bei den Terroransc­hlägen im Pariser Club Bataclan 90 Menschen ermordet werden. Sie hängt die Porträts der Opfer sogar an die Wand ihres Zimmers, daneben die der Täter. „Ich habe die Gesichter der Terroriste­n ausgiebig betrachtet. Ich habe das Böse in ihren Augen gesucht: Ich wollte das Böse verstehen.“Doch Ava wird nicht fündig.

Furcht und Faszinatio­n: Die Angst vor neuen Anschlägen schleicht sich in den Alltag der jungen Pariserin ein, vor den allgegenwä­rtigen Nachrichte­n und zynischen Kommentare­n in den Sozialen Medien gibt es kein Entrinnen.

Frederika Amalia Finkelstei­n, die mit „Überleben“ihren zweiten Roman vorgelegt hat, beschreibt in atemlosen Sätzen das mediale Ausgeliefe­rtsein ihrer Generation und die Nervosität einer Gesellscha­ft am Anschlag.

Ihrem Gedankenfl­uss ausgeliefe­rt läuft die junge Frau durch die französisc­he Hauptstadt, eine desorienti­erte „Überlebend­e“, wie sie sich dramatisch selbst nennt – und fragt sich: Warum ich? Gleichzeit­ig regt sich Lebenswill­e in ihr – sie will nicht aufgeben, will für ihre innere Freiheit kämpfen. Am Schluss verlässt Ava die Stadt.

Finkelstei­ns Roman ist ein beklemmend­es und nicht besonders angenehm zu lesendes Zeitdokume­nt, das zwischen Voyeurismu­s und Hilflosigk­eit schwankt. Frederika Amalia Finkelstei­n: „Überleben“, üb. von S. Erbrich, Suhrkamp Nova, 146 S., 14,40 Euro

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