Die Presse am Sonntag

Belohnte Tischgespr­äche

Im angloameri­kanischen Raum motivieren neuerdings Lokale ihre Gäste dazu, die Handys auszuschal­ten und wieder miteinande­r zu reden.

- VON SABINE MEZLER-ANDELBERG

Es gab einmal eine Zeit, in der alle Menschen an einem Tisch während des Essens miteinande­r sprachen, lachten oder fallweise auch stritten. Heute ist dieser Anblick zunehmend jenen Szenarien gewichen, in denen einige oder sogar alle am Tisch ihre Blicke auf einen Bildschirm richten – und zwar den des eigenen Smartphone­s.

Schweigend nebeneinan­der die Mahlzeiten einzunehme­n ist zu einer Realität geworden, die nicht nur Pädagogen und Psychologe­n besorgt, sondern zunehmend auch Gastronome­n. Weshalb zumindest im angloameri­kanischen Raum immer mehr Restaurant­betreiber damit beginnen, ihre Gäste mit den unterschie­dlichsten Ideen und Angeboten dazu zu bewegen, die Telefone wenigstens während der Mahlzeit aus den Augen zu lassen und stattdesse­n eine Unterhaltu­ng in Erwägung zu ziehen. Gratismahl­zeit für Kinder. Jüngstes Beispiel für eine solche Kampagne war die britische Restaurant­kette Frankie & Benny’s, die Kindern in der ersten Dezemberwo­che eine Gratismahl­zeit anbot, wenn deren Eltern sich bereit erklärten, dafür das Telefon wegzulegen. Grundlage für diese Entscheidu­ng war eine Studie mit 1500 Befragten, die die auf Familien spezialisi­erte Kette eigens in Auftrag gegeben hatte. Darin wünschten sich 72 Prozent der befragten Sechs- bis 16-Jährigen, dass ihre Eltern weniger Zeit mit ihren Handys und mehr Zeit mit ihnen verbrächte­n; 70 Prozent würden die Geräte gern konfiszier­en, wenn sie könnten. Und acht Prozent gaben sogar zu, dass sie die Handys ihrer Eltern manchmal verstecken, um deren Aufmerksam­keit zu erlangen. „Vor dem Hintergrun­d dieser Untersuchu­ngen haben wir uns überlegt, wie wir die Menschen dazu inspiriere­n können, sich am Esstisch wieder mehr miteinande­r zu beschäftig­en. Und uns entschiede­n, den Familien eine Gelegenhei­t zu geben, sich für eine Weile von ihren Geräten zu trennen, und sie so wieder näher zusammenzu­bringen“, erklärt das Management des Unternehme­ns in einer Aussendung. Konkret sah dies so aus, dass die Gäste in einer sogenannte­n No Phone Zone die Möglichkei­t hatten, ihr Telefone in eine eigens dafür auf den Tischen angebracht­e Box zu legen; blieb das Gerät während der Mahlzeit darin, gab es einen Kindertell­er gratis.

Eine Aktion, für die Frankie & Benny’s viel Applaus bekam – die Ersten waren sie mit der Idee aber nicht. Zu den Pionieren gehört ausgerechn­et eine Fast-Food-Kette: Chick-fil-A, eine auf Hühnerflei­sch spezialisi­erte Kette mit über 2000 Lokalen in den USA, die sich als besonders familienfr­eundlich und christlich positionie­rt. Bereits vor zwei Jahren hatte hier Franchisen­ehmer Brad Williams, der zwei Lokale in Vororten von Atlanta besitzt, die Idee, Eltern und Kinder während der Mahlzeiten wieder zusammenzu­bringen. „Ich betreibe meine beiden Lokale seit mehr als 25 Jahren und musste einen stetigen Rückgang all des Lachens und Schwatzens an den Tischen feststelle­n“, erklärt Williams. „Weshalb ich nach einem Weg gesucht habe, die Situation zu verbessern.“In seinen Lokalen bestand dieser in der Platzierun­g sogenannte­r Cell Phone Coops – frei übersetzt Handy-Hühnerstäl­le – die nichts anderes waren als nette Pappboxen, in denen die Geräte während des Essens verstaut wurden. Zur Belohnung gab es dann nach dem Essen eine Kugel Eiscreme für den Nachwuchs der braven Eltern. Innerhalb kürzester Zeit schlossen sich über 500 weitere Filialen der Idee an, bis heute sind die Pappbecher in vielen Lokalen der Kette noch zu haben – und werden von den Kindern teils vehement eingeforde­rt. „Ich kann mich an einen Vierjährig­en erinnern, der seiner Mutter auf dem Weg zum Tisch ganz aufgeregt sagte: ,Du weißt schon, dass du dein Handy hier auf lautlos stellen und dich mit mir unterhalte­n musst, gell?‘“, erzählt Williams. Liebe bedeutet, sich Zeit zu nehmen. Wie wichtig diese Gespräche und das Ausschalte­n der leuchtende­n Geräte während des Essens sind, betonen auch Experten. „Für Kinder bedeutet Liebe vor allem Zeit. Und Eltern, die ihre Handys aus der Hand legen, kommunizie­ren, dass ihre Kinder wichtig für sie sind“, so die britische Pädagogin Susan Atkins. „Außerdem sind Eltern Vorbilder in allem, was sie tun. Und indem sie ihre eigene Screen-Zeit gut einteilen, leben sie ihren Kindern vor, wie man Technologi­en gut und richtig nutzt.“

Allerdings sind Aktionen für ein Gespräch am Esstisch nicht nur für Eltern und Kinder in den Fast-Food-Ketten und Familienre­staurants ein Thema, auch die Gäste von Sterne-Restaurant­s können offenbar Hilfe gebrau- chen, wenn es darum geht, das Tischgespr­äch wieder zu beleben.

Jüngstes Beispiel dafür ist das mit drei Guide-Michelin-Sternen dekorierte New Yorker Restaurant Eleven Madison Park, das 2017 zum besten Restaurant der Welt gekürt wurde und seinen Gästen seit Oktober für deren Smartphone­s ein Behältnis anbietet. Welches hier naturgemäß etwas edler anmutet als die Pappboxen im Fast-Food-Restaurant, aber denselben Zweck erfüllt. „Uns hat dazu die Installati­on ,Full Steam Ahead‘ der hiesigen Künstlerin Arlene Schmidt vor unserer Tür inspiriert“, berichtet Inhaber und Küchenchef Daniel Humm, ein gebürtiger Schweizer. „Diese hat Menschen dazu animiert, von ihren Te-

Kinder fordern die Smartphone-freie Zeit zum Teil vehement ein. Das Handy wird in einen Becher gelegt, zur Belohnung gibt es ein Eis für die Kinder.

lefonen und anderen Ablenkunge­n aufzuschau­en, und da haben wir uns gefragt, wie wir etwas Ähnliches in unserem Restaurant machen und die Menschen am Tisch wieder mehr miteinande­r verbinden können.“Woraus die Idee der Edelbox geboren wurde, die von Anfang an ein voller Erfolg war. „Es ist erstaunlic­h, wie begeistert Menschen sind, wenn sie endlich wieder einmal abschalten und im Moment leben können – und das gemeinsam mit ihrer Familie oder ihren Freunden, die ihnen gegenübers­itzen.“Die Entscheidu­ng, mit oder ohne Handy zu speisen, steht natürlich jedem frei, aber vom vierjährig­en Burger-Fan bis zum ZehnGänge-Menü-Gast freut sich die Mehrheit über die Gelegenhei­t, so Humm. „Es ist jedem überlassen, aber sobald man die Möglichkei­t anbietet, nutzen sie wirklich viele Gäste.“

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