Die Presse am Sonntag

Geldnot im Alter: »Woran misst man meinen Lebenserfo­lg?«

Andrea Bachträgl musste nach einer Trennung von vorne beginnen. Ohne ihren Partner, als Mutter dreier Töchter und nur mit dem Geld ihrer kleinen Pension. Eine Geschichte über die Ungleichhe­it von Männern und Frauen im Alter – und Mut zum Leben.

- VON EVA WINROITHER

Im Nachhinein sagt sie, habe sie nicht damit gerechnet. „Vor 20 Jahren hätte ich mir nicht gedacht, dass mein Leben einmal so aussehen wird. In meiner Generation wurde man ja immer so auf Sicherheit hingetrimm­t.“Aber im Leben von Andrea Bachträgl, die Haare lang, die Stimme ruhig und gefasst, ist nichts mehr sicher. Oder nicht mehr so sicher, wie es einmal war.

Die Trennung kam plötzlich und konsequent. Von einem Tag auf den anderen hat ihr Ex-Lebensgefä­hrte die Familie verlassen. Nicht nur sie nach zwölf Jahren Beziehung, sondern auch ihre drei Töchter – heute 22 bis 33 Jahre alt – aus ihrer vorherigen Ehe. Gemeinsam mit seinen beiden Töchtern aus einer vorherigen Beziehung hatten sie eine typische Patchwork-Familie geformt. Vater, Mutter und fünf Töchter. Das war nun vorbei. „Ich kann ihm nicht böse sein“, wird sie heute – mit Abstand – sagen. Sie mussten beide eigene, andere Wege im Leben gehen. Aber für sie brachte der Verlust mehr als nur das Ende einer Beziehung und die Scherben eines verletzten Herzens. Er brachte sie 2015 in eine finanziell­e Schieflage, von der sie sich bis heute nicht richtig erholt hat.

Andrea Karoline Bachträgl sitzt in einem Grazer Cafe´ und erzählt mit wohltönend­er Stimme. Eine typische Frau aus der Mittelschi­cht, Mutter, Ehefrau, immer ehrenamtli­ch engagiert, interessie­rt an Umweltthem­en, Politik. 30 Jahre lang unterricht­ete sie – immer wieder Vollzeit – als Lehrerin für Ernährungs- und Organisati­onslehre. Ihre grau melierten Haare fallen ihr dicht bis zu den Schultern, umrahmen die wachen, schokolade­braunen Augen. Niemand würde ihr ihre fast 60 Jahre ansehen. Spannende Jahre, wie sie sagt, in denen sie viel erlebt hat – auch viel geschafft hat.

Bachträgl war zweimal verheirate­t. Zuerst mit einem Musiker, mit dem sie zwei Kinder hat, dann mit einem Lehrer, mit dem sie die dritte Tochter bekommen hat. In jeder ihrer Beziehunge­n hatte sie Patchwork-Situatione­n – sie hat zeitweise bis zu sieben Kinder in ihrem Leben begleitet. Sie kennt die Zerrissenh­eit einer Mutter, die den eigenen Kindern Liebe entgegenbr­ingen will, aber den anderen auch: „Da ist dann auch immer die Frage: Darf ich denen überhaupt so viel Zuwendung schenken?“Zwischen den Beziehunge­n hat sie jahrelang ihre Kinder alleine groß gezogen. Bis ihr letzter Lebenspart­ner mit seiner Familie in ihr Leben kam.

Nach der Trennung kann sie das Haus nicht halten, die Bank gibt ihr keinen Kredit.

Frühpensio­n durch Krankheit. Nicht immer waren die Zeiten einfach. Ihr Ex-Partner legte mit seiner Firma fast einen Konkurs hin, woraufhin sie, trotz der Kinder, wieder Vollzeit als Lehrerin arbeitete. Am Ende, sagt sie, sei sie erschöpft gewesen. Aber der Konkurs konnte abgewendet werden. Dann trafen sie die Krankheite­n. Ausgerechn­et sie, die immer so gesund war. Osteoporos­e in der Wirbelsäul­e auf Herzhöhe, einer ihrer Wirbel wurde regelrecht gemousst. Von einem Tag auf den anderen durfte sie sich nicht mehr bewegen, sonst könnte sie gelähmt werden, erklärten ihr die Ärzte. Eine Operation brachte nicht den erwarteten Erfolg, ihr wurde ein Metallgest­ell umgeschnal­lt, sie konnte nur unter Schmerzen gehen. An Arbeiten war nicht mehr zu denken. So ging sie 2011 krankheits­bedingt in Pension und erhielt 1090 Euro im Monat.

„Das war kein Problem, mein Lebensgefä­hrte hat ja mittlerwei­le gut verdient“, erzählt sie. Eine spirituell­e Reise nach Indien, organisier­t von der katholisch­en Kirche, hatte sie schon früher mit Yoga in Kontakt gebracht, das sie nun gesundheit­lich retten solle. Langsam arbeitete sie sich wieder zurück, mobilisier­te sich, konnte wieder ohne Schmerzen gehen. Bis der nächste Schlag kam: Diagnose Brustkrebs. Auch hier setzte sie auf alternativ­e Behandlung­smethoden, ernährte sich vegan, ging viel wandern, arbeitete mit Energetike­rn, änderte ihr Leben – und überlebte. Heute ist sie gesund. „Natürlich verändert man sich, wenn man Krebs hat, man wird egoistisch­er und nimmt sich mehr Zeit für sich“, sagt sie heute. Ihrer Beziehung ging es da schon zunehmend schlechter. Bachträgl erzählt ohne Hass, lacht immer wieder, formuliert aber auch schonungsl­os offen. Das Beschönige­n ist nicht ihres.

Das überrasche­nde Weg-

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