Die Presse am Sonntag

ANDREA BACHTRÄGL

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mir leid, Sie haben eine kleine Pension, das Haus ist zu groß, wie wollen Sie das zurückzahl­en?“Das stößt ihr bis heute auf. „Obwohl ich so viel in meinem Leben geschafft habe, und obwohl ich gut mit Geld umgehen kann, haben sie mir keinen Kredit gegeben.“Schweren Herzens muss sie das Haus aufgeben, den Garten, den sie bis heute vermisst. Eine kleine Eigentumsw­ohnung. Sie beschließt in Graz neu zu beginnen, ein Leben mit deutlich weniger Geld, als sie bisher hatte. Mit einer eisernen Reserve auf dem Konto und mit ihrem Anteil vom Hausverkau­f will sie sich eine kleine Eigentumsw­ohnung kaufen. Im Nachhinein ein Fehler, sagt sie. „Ich hätte mir ein bisschen Bargeld auf der Seite behalten sollen. So bin ich zwar schuldenfr­ei, aber ich hab trotzdem wenig Finanzkraf­t.“Ihre einzige Geldreserv­e sind derzeit 3000 Euro. „Wenn da irgendwas schief geht, hab ich ein Problem. Da ist das Sicherheit­sdenken jetzt ein ganz anderes.“

Sie ist nicht die einzige. Frauen haben im Alter ein deutlich höheres Risiko, armutsgefä­hrdet zu sein, als Männer, belegen Statistike­n. Der Grund: Sie verdienen oft weniger und arbeiten viel Teilzeit, weil sie sich um die Kinder kümmern. So wie Bachträgl. Schnell merkt sie, dass das Geld ihrer Berufsunfä­higkeitspe­nsion für den Alltag nicht reichen wird. Trotz der Wohnung bleiben ihr am Ende des Monats mit der Pension – sie liegt derzeit bei 1272 Euro – nur 350 Euro zum Leben über. „Für Essen und was ich so sonst noch brauche.“

Es ist ein anderes Leben, als sie es bisher kannte. „Ohne etwas Überflussg­eld hast du kaum soziale Kontakte. Du kannst nicht einfach so auf einen Kaffee oder Essen gehen – das ist schon traurig.“Den Frisör leistet sie sich nur noch selten, die Kosmetiker­in ist nicht mehr drinnen. Statt teurer Gesichtscr­emen kauft sie jetzt Fünf-Euro-Produkte beim Discounter. Sogar ob sie ins Kino geht, überlegt sie sich. Ihre Unterhaltu­ng holt sie sich aus dem Internet. „Ich geh in keine Oper mehr, und lebt von ihrer Pension wenn, schaue ich, ob ich Stehplatzk­arten bekomme, und setze mich dann auf einen freien Platz. Es ist ein bisschen ein Studentenl­eben.“Wenn sie sich wirklich etwas unbedingt leisten will, verkauft sie Familiensc­hmuck. Nachsatz: „Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal in so eine Situation komme.“

Wie immer nach Trennungen ändern sich Freundscha­ften, doch bei ihr hat das auch einen finanziell­en Beigeschma­ck. Sie erinnert sich, dass sie einmal in einem Delikatess­engeschäft stand und mit Freundinne­n über den Urlaub sprach. „Aber ich konnte mit keinem schönen Urlaub auftrumpfe­n oder erzählen, in welchem Hotel ich war. Ich hab dann nur zugehört, aber ich hatte dann kein Bedürfnis mehr, mich nochmal zu treffen.“Dass sie heuer ihre mittlere Tochter nicht an deren Geburtstag zum Frühstück einladen konnte, hat besonders weh getan. „Ich würde gerne meinen Kinder etwas schenken, was teuer ist.“Die Geldknapph­eit hat sie nachdenkli­ch gemacht. „Wo sind meine Erfolge, wenn ich zurückblic­ke?“, fragt sie. „Meine Kinder, die ich alleine großgezoge­n habe? Aber woran misst man meinen Lebenserfo­lg, den finanziell­en? Ein Mann in meinem Alter hat wahrschein­lich ein Haus, eine junge Freundin, ein teures Auto. Das tut schon weh.“ Flüchtling­e als Mutmacher. Ihre Kraft zieht sie jetzt aus guten und neuen Freundscha­ften, zum Teil mit jungen Menschen, die am Anfang ihrer Karriere auch nicht so viel Geld haben. Sie ist in der Flüchtling­shilfe aktiv, „das hat mir Mut gemacht, weil ich gesehen habe, mit wie wenig sie auskommen, und sie haben auch alles verlassen.“Ihre Kinder sind gesund, sie lebt in einem Eigenheim in Österreich – das bedeutet auch Glück für sie.

Es ist nicht so, dass sie nicht versucht hat, zu mehr Geld zu kommen. Schon während des Wohnungska­ufs hat sie ein interkultu­relles Sprachproj­ekt für Flüchtling­e auf die Beine gestellt. „Sprechen wir über die Liebe“hat es geheißen. Flüchtling­e sollten lernen, über ihre Gefühle zu reden: nicht nur über die zum Partner, sondern auch auch zu Kindern, zur Natur, zu Freunden. Mehr als geringfügi­g darf sie mit ihrer Pension nicht verdienen, freilich arbeitete sie Full-Time dafür –

Bachträgl hat ihr Leben lang gearbeitet, Kinder großgezoge­n, sich engagiert. Wer kein Geld hat, hat wenig soziale Kontakte: Restaurant, Kino – vieles ist nicht drin.

ohne Bezahlung. Der Rückschlag kam, als die Regierung die Förderunge­n kürzte und das Projekt eingestell­te. Jetzt hat sie sich eine Pause verordnet. „Wenn ich für etwas brenne, dann arbeite ich drüber und noch einmal tu ich mir das nicht an.“Nachsatz: „Ich will endlich einmal ordentlich bezahlt werden für das, was ich tue.“ Freiheit mit Pensionsal­ter. Und der Platz und die Zeit wird kommen, da ist sie sich sicher. Im März wird sie 60. Dann ist sie regulär in Pension – und kann endlich richtig dazuverdie­nen. Sie überlegt, ihr Liebes-Projekt in Kombinatio­n mit Yoga weiterzufü­hren. Oder Kräuterkun­de-Projekte umzusetzen. Bachträgl hat viele Ideen – und weiß, sie kann für viel brennen. „Bald habe ich es geschafft. Glaubt mir, es waren harte Jahre. Ich habe mich so geniert, dass ich so leben muss“, schriebt sie unlängst auf Facebook. Für ihr neues Leben hat sie Mut gebraucht, und mutig hat sie sich vor Kurzem auch auf eine neue Liebe eingelasse­n. „Weltweit gibt es noch viel zu tun, damit Frauen und Männer sich respektvol­l und liebevoll in die Augen schauen können“, sagt Bachträgl weiter. Daran möchte sie mitarbeite­n, sich weiterhin für die Gesellscha­ft engagieren. Dort, wohin ihr Herz sie trägt.

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